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       # taz.de -- Bedrohter Trockenwald in Argentinien: Grüne Zeiten, schlechte Zeiten
       
       > Immer schneller wird im Gran Chaco für die Viehzucht gerodet. Wird das
       > Freihandelsabkommen mit der EU das weiter beschleunigen?
       
   IMG Bild: Ein Bulldozer macht Platz für Weideland und den Anbau von Soja
       
       Formosa taz | Sanft hebt der kleine Helikopter ab, dreht eine Schleife
       und schraubt sich nach oben. Der Flug geht über den Wald im Norden
       Argentiniens. Aus der Höhe sind drei verschiedene Grüntöne zu erkennen.
       „Das dunkle Grün ist Wald, das hellere sind gerodete Flächen und das
       Hellgrün sind die künstlich angelegten Weiden“, sagt Noemi Cruz von der
       Waldkampagne Greenpeace Argentina.
       
       [1][Greenpeace Argentina] fordert den sofortigen Stopp der Abholzungen und
       dokumentiert die Entwaldung im Norden des Landes. Mit Beobachtungen vor Ort
       und Satellitenbildern. „Was wir da unten sehen, ist das hier“, sagt Cruz
       und zeigt auf ihren Laptop. Auch hier sind die drei Schattierungen deutlich
       zu erkennen, wie mit der Rasierklinge gezogen unterteilen sie die Bilder in
       Wald-, Kahlschlag- und Weideflächen.
       
       Der ursprüngliche Wald in Formosa ist Teil des Gran Chaco, ein Waldgebiet,
       das sich über Argentinien, Paraguay und Bolivien erstreckt. Mit mehr als 1
       Million Quadratkilometer ist der Gran Chaco das zweitgrößte Waldökosystem
       in Südamerika. In Sachen Artenvielfalt steht er dem international weitaus
       bekannteren Amazonas-Regenwald kaum nach: 3.400 Pflanzenarten gibt es hier,
       500 Vogel-, 150 Säugetier-, 120 Reptilien- und 100 Amphibienarten, so die
       neuesten Erhebungen.
       
       Leicht gebeugt fliegt der Helikopter. Am Horizont schlängelt sich der Río
       Bermejo in braunen Kurven durch den Wald. Unten sind jetzt die scharfen
       Kanten zwischen den verschiedenen Grüntönen klar zu erkennen. Kleine braune
       Punkte bewegen sich auf dem Hellgrün. „Rinder, die auf den neu angelegten
       Weiden grasen“, sagte Noemi Cruz und deutet auf einen gelben Punkt im
       dunklen Grün: „Ein Bulldozer.“ Der Hubschrauber geht tiefer, zieht Kreise
       über dem Bagger, der mit seiner Stahlplatte voraus den Wald niederreißt.
       Der Lärm des Rotors übertönt das Krachen und Knacken der umgeknickten und
       fallenden Bäume.
       
       ## 30.000 Hektar werden pro Jahr abgeholzt
       
       [2][Argentinien gehörte einmal zu den zehn Ländern mit der größten
       Waldfläche der] Erde. Die seit 1976 erstellten Statistiken zeigen, dass
       immer mehr abgeholzt wird – im Gran Chaco noch schneller als im
       Amazonas-Regenwald. Um der Abholzung Einhalt zu gebieten, wurde 2007 ein
       viel gelobtes Waldschutzgesetz in Kraft gesetzt. Die Provinzen sollten
       Bestandsaufnahmen ihrer noch vorhandenen Wälder machen und in drei
       Schutzzonen einteilen: eine rote, strenge Schutzzone, eine gelbe Zone für
       gemischte Nutzung von Forst- und Landwirtschaft, aber ohne Abholzung, und
       eine grüne Zone für weitgehend freigegebene Abholzung.
       
       In Formosa erwies sich das Schutzgesetz als Bumerang. 45 Prozent der 7
       Millionen Hektar Wald wurden als grün ausgewiesen, 65 Prozent davon dürfen
       gerodet werden. Anstatt sie zu bremsen, wurde die Abholzung des Walds
       legalisiert. Die Grundbesitzer in den grünen Zonen freuten sich über die
       stark gestiegenen Preise ihrer Waldflächen. Im Durchschnitt werden hier
       jedes Jahr 30.000 Hektar abgeholzt. Wenn diese Geschwindigkeit beibehalten
       wird, ist bald nicht mehr viel von einem zusammenhängenden Waldgebiet
       übrig.
       
       Nachdem der Helikopter von seinem Flug zurückkehrt, werden die neuen
       Beobachtungen ausgewertet. „Wenn das Abkommen EU-Mercosur in Kraft tritt,
       wird der Abholzungsdruck auf die letzten ursprünglichen Wälder
       Argentiniens immens steigen“, sagt Noemi Cruz. „Die Zerstörung des Walds
       ist ein Verbrechen und sollte als Straftat verfolgt werden.“
       
       Am kommenden Donnerstag tagt der EU-Rat für Auswärtige Angelegenheiten in
       Brüssel zum Thema Handel. Dabei soll auch über den Stand der Dinge beim
       Freihandelsabkommen mit der lateinamerikanischen Wirtschaftsorganisation
       Mercosur gesprochen werden, über das seit mehr als 20 Jahren verhandelt
       wird. Vor drei Jahren wurde dabei eine Einigung erzielt, das Abkommen ist
       aber auch wegen fehlender Umwelt- und Klimaschutzbestimmungen noch nicht
       ratifiziert. Geht es nach dem Willen des Bundeswirtschaftsministeriums in
       Berlin, soll es mit entsprechenden Zusatzvereinbarungen schleunigst in
       Kraft treten.
       
       Und unten, auf dem Boden der Tatsachen, sehen manche die Rodungen weniger
       dramatisch als Greenpeace.
       
       „Das Einzige, was der Wald bringt, ist Armut, Elend und Unterernährung. Der
       Wald produziert keine Nahrungsmittel“, sagt Juan de Hagen.
       Produktionsleiter von „El Torro“. Mit seinem Pickup ist er auf dem Weg zur
       Rinderfarm. „Nach dem Waldschutzgesetz von 2007 haben wir in Formosa ein
       Abholzungspotenzial von 3 Millionen Hektar Wald“, sagt er und deutet auf
       den entlang der Landstraßen stehenden Wald. Davon könnten 2 Millionen in
       landwirtschaftliche Nutzflächen umgewandelt werden. Dieses Potenzial nicht
       zu nutzen, hieße, die Provinz und ihre Menschen zur Armut zu verurteilen.
       
       Ginge es nach de Hagen, würde in Formosa der ganze Wald in Weideland
       verwandelt. „In-Produktion-Setzung“ nennt er das. „In Formosa kostet ein
       Hektar Wald zwischen 300 und 400 Dollar“, rechnet er vor. „Dazu kommen etwa
       500 Dollar für Rodung und Umwandlung in Weideland.“ Das ist viel billiger
       als in Argentiniens Kernland, wo zwischen 10.000 und 14.000 Dollar pro
       Hektar Ackerland verlangt wird. Die Aussicht auf derartige Wertsteigerungen
       hat Immobilienunternehmen auf den Plan gerufen, die Waldflächen aufkaufen,
       entwalden lassen und auf einen profitablen Weiterverkauf hoffen.
       
       De Hagen hat den Pickup am Straßenrand abgestellt und steigt über den
       Drahtzaun einer Weide. „Hier ist nichts abgeholzt. Die Rinder dort stehen
       auf der früheren Sandbank eines Flusses“, sagt er und deutet auf eine Herde
       brauner und schwarzer Bradford- und Brangus-Rinder. Bradford und Brangus
       sind Kreuzungen mit den aus Asien stammenden Zebu-Rindern. Sie können den
       extremen Temperaturen im Sommer standhalten.
       
       Auf „El Torro“, benannt nach dem Stier, ist der Name Programm. Die
       Rinderfarm umfasst 5.200 Hektar Fläche. 1.900 Hektar sind Weideland, 560
       Hektar Ackerland für den Anbau von Mais. Der Rest ist Wald – noch. Bis zu
       3.600 Rinder werden pro Jahr produziert. „Jungrinder aus hundertprozentiger
       Weidewirtschaft für den Export“, sagt de Hagen. Erst vor ein paar Tagen
       hätten sie vier Lkws mit 200 jungen Ochsen beladen. Jeder mit etwa 500
       Kilo, bestimmt für einen Schlachthof in Rosario mit dem anschließenden
       Exportziel EU.
       
       Aber de Hagen ist wütend auf Europa. Was den 39-Jährigen aufregt, ist die
       neue EU-Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten. Sie verbietet die
       Einfuhr und den Verkauf von Rindfleisch und Sojabohnen, deren Produktion
       mit Entwaldung in Verbindung stehen. Seit Anfang des Jahres müssen
       Importunternehmen nachweisen, wann und wo diese produziert wurden, und
       überprüfbare Angaben machen, dass sie nicht von Waldflächen stammen, die
       nach dem 31. Dezember 2020 abgeholzt wurden.
       
       Was für die EU dem Schutz des Walde und des Klimas dienen soll, ist für de
       Hagen eine Einmischung in die Angelegenheiten seines Landes. „In Europa
       haben sie seit den Zeiten der Römer alle Wälder abgeholzt, und jetzt wollen
       sie uns das verbieten.“ Die heutigen EU-Bürokraten und -Parlamentarier
       seien sicher nicht dafür verantwortlich, dass in Europa keine
       ursprünglichen Wälder mehr stünden, so de Hagen. Aber sie würden dafür dem
       Rest der Welt auch keine Bußgelder zahlen. „Wenn der Wald in Lateinamerika
       einen Umweltservice leisten soll, in dem er unangetastet bleibt, dann
       sollte die EU dafür auch eine Gegenleistung erbringen“, sagt er.
       
       Seit dem Beginn des Soja- und Maisbooms in den Nullerjahren werden im
       Kernland der argentinischen Landwirtschaft zunehmend Flächen für deren
       Anbau genutzt. Der Anbau von Ölsaaten und Getreide garantiert weitaus mehr
       Rendite als die Rinderzucht. In den Provinzen Buenos Aires, Santa Fe und
       Córdoba wurde in großem Umfang Weideland in Ackerland umgewandelt.
       Inzwischen wird auf jedem noch so kleinen Zipfel Anbau betrieben.
       
       Viehwirtschaft dagegen ist mobiler als Ackerbau, lautet eine
       Produzentenweisheit. Und so drängt die Rinderzucht immer weiter nach Norden
       und erschließt neue Weideflächen. Einst marginale Provinzen wie Formosa mit
       ihren unrentablen Wäldern geraten in den Fokus, wenn es darum geht, neue
       Flächen für die Rinderzucht zu gewinnen.
       
       Darauf, dass sich dieser Prozess entschleunigen könnte, deutet nichts hin.
       Im Gegenteil, die massive Steigerung der Produktion von Agrarerzeugnissen
       für den Export ist Staatspolitik, unabhängig davon, welchem politischen
       Lager die jeweilige Regierung angehört.
       
       Wenn das Freihandelsabkommen zwischen Mercosur und der Europäischen Union
       in Kraft treten sollte, dürften die Exporte aus den landwirtschaftlich
       hochentwickelten zentralen Regionen Argentiniens deutlich zunehmen. Die
       Produktion ohne Schutzklauseln für andere Abnehmerländer dürfte sich
       dagegen nach Norden verlagern, auch nach Formosa.
       
       Der Druck auf die Wälder wird steigen – und die EU-Verordnung für
       entwaldungsfreie Lieferketten droht ihr Ziel zu verfehlen. „Was den Wald
       gerade am meisten schützt, sind die weiten Transportwege“, sagt Juan de
       Hagen. Bisher muss das Vieh aus Formosa weite Strecken zu den Schlachthöfen
       und dann über 1.000 Kilometer zum Exporthafen in Rosario gebracht werden.
       Auch de Hagen hat heute noch einen weiten Weg vor sich, er verabschiedet
       sich, und fährt in seinem Pickup davon.
       
       Lange war der Gran Chaco ein ungestörtes, zusammenhängendes Waldgebiet für
       die dort lebenden indigenen Völker. Die Sommer sind hier extrem heiß,
       während es im Winter sogar Frost geben kann. Europäische Kolonisatoren und
       Einwanderer bevorzugten deshalb andere Regionen. Der Name „Chaco“ stammt
       aus der indigenen Sprache Quechua. Das Wort cha bezeichnet eine ruhende
       Sache, und das Suffix cu drückt den Plural aus. Und „Chacu“ war auch eine
       Jagdmethode: Ein Ring von Jägern kreiste ein Waldstück ein und verengte den
       Kreis immer mehr.
       
       „Wir Indigene haben existiert, bevor es den Nationalstaat gab und bevor
       Kolumbus und all die anderen kamen. Wir waren Nomaden und sind von Zeit zu
       Zeit weitergezogen“, sagt Noolé vom Volk der Pilagá. Für den Nationalstaat
       heißt sie Zipriana Palomo. „Als wir Personalausweise bekamen, wurde wir als
       weiblich oder männlich eintragen, unser Alter wurde geschätzt.“
       
       Damals konnten viele weder lesen noch schreiben und schon gar nicht
       Spanisch verstehen. Auf den Ämtern hätten sie oft abwertende oder hässliche
       Namen bekommen. „Mir haben sie den Namen Zipriana Palomo gegeben. Meine
       Mutter nannte mich Noolé“, sagt sie.
       
       Noolé macht sich auf den Weg zum Kürbisfeld ihrer Chacra. Chacras werden in
       Argentinien die kleinen Farmen genannt. „Wir denken gar nicht darüber nach,
       wie viel Geld das Land wert ist“, sagt sie. Am Ende des Pfads öffnet sich
       der Wald zu ihrem Feld. Rinder muhen in der Ferne, nicht sichtbar, aber
       deutlich hörbar. „Dort hinten haben sie den Wald gerodet und Weiden
       angelegt“, sagt sie und zeigt in die Richtung, aus der das Muhen der Tiere
       kommt.
       
       Der Wald um ihre kleine Farm werde immer löchriger, sagt Noolé, bückt sich
       und reißt ein Grasbüschel aus. „Diese Art von Gras wächst hier eigentlich
       nicht.“ Die werde auf den Weiden ausgesät, der Wind wehe die Samen überall
       hin. Ihr prüfender Blick gilt jedoch den Kürbissen. Es ist Erntezeit. Ein
       paar Schritte entfernt liegt ein angefressener Kürbis. „Auch den Tieren im
       Wald wird der Lebensraum genommen. Sie kommen jetzt immer öfter auf unsere
       Felder.“
       
       Die Sonne steht jetzt hoch, Insekten surren in der Hitze. „Vorgestern hat
       es zum Glück geregnet. Noch zwei Tage, dann können wir ernten“, sagt sie
       und macht sich auf den Rückweg durch den schattigen Wald zu ihrem kleinen
       Anwesen. Drei kleine Holzhäuser, die Dächer mit halbierten Palmenstämmen
       gedeckt.
       
       Hühner laufen umher, spindeldürre Hunde schnüffeln neugierig herum. Neben
       einer Schubkarre liegen die Melonen der gestrigen Ernte. Auf der offenen
       Feuerstelle dampft es aus einem Wasserkessel. Der Matetee wird aufgegossen
       und macht im Schatten eines großen Johannisbrotbaums die Runde.
       
       ## Fortschritt, nur für wen?
       
       Ja, im Fernsehen sei über ein Abkommen zwischen dem Mercosur und der EU
       gesprochen worden, sagt Noolé. Sie hätten über Handel und Fortschritt
       gesprochen. „Fortschritt, immer heißt es Fortschritt. Für wen?“ Noolé
       schaut sich fragend um, dann gibt sie die Antwort. „Für uns ist dieser
       Fortschritt Kahlschlag und Entwaldung.“
       
       Zu keinem einzigen Treffen seien sie eingeladen worden. „Wir Indigene
       existieren da gar nicht.“ Ihr Fortschritt seien die Chacras und der Wald.
       Hier produzieren sie die Nahrungsmittel für ihre Familien und ein wenig für
       den Verkauf, um andere Produkte wie etwa Zucker oder Fleisch zu kaufen.
       
       In einem ihrer Lieder heiße es, der Wald sei ihre Mutter, er gebe ihnen
       Schutz, Nahrung und Medizin, erzählt sie. Und der Wald habe auch viele
       gerettet, als damals das Flugzeug kam, aus dem geschossen wurde und sie
       sich unter den Bäumen versteckten. Mehr als 400 Pilagá wurden 1947 von
       bewaffneten Polizisten erschossen. „Einfach so, weil wir die Weißen
       störten“, sagt sie.
       
       Noolé erzählt vom Massaker von Rincón Bomba, ein Blutbad, das lange Zeit
       verschwiegen wurde. Doch die Indigenen schlossen sich zusammen, sammelten
       Zeugenaussagen und reichten eine Klage wegen Menschenrechtsverbrechen
       gegen den argentinischen Staat ein, die nun vor einem Bundesgericht in
       zweiter Instanz anhängig ist.
       
       ## Ohne Wald, ohne Hoffnung
       
       „Ohne den Wald sind die Indigenen ohne Hoffnung“, sagt Pablo Chianetta. Er
       ist Experte für die indigene Bevölkerung der Wälder des Gran Chaco. Er
       leitet eine lokale NGO, die mit indigenen Völkern wie den Pilagá
       zusammenarbeitet, die heute noch in rund 180 Gemeinschaften leben.
       Chianetta sagt: „Der Wald ist der Schlüssel für die Kontinuität der
       indigenen Völker. Der Wald ist die Schule für ihre Kinder. “
       
       Dieser Wald ist nun in Formosa in Gefahr. Dabei sei die Region einmal
       Vorreiter bei der Vergabe von Land an Indigene gewesen, sagt Chianetta. Von
       den 1980ern bis Anfang der 90er Jahre wurden Landtitel für 300.000 Hektar
       an anerkannte indigene Gemeinschaften übergeben.
       
       Ende der 1990er begann dann das Rollback. „Heute werden die indigenen
       Gemeinschaften nicht mehr als eine Bereicherung angesehen, sondern als eine
       triste Angelegenheit, die Kosten verursacht und denen man Land geben muss.
       Sie sind wie der schmutzige Wald, der sauber gemacht werden muss.“
       
       Absurd, meint Chianetta. „Dort, wo Indigene und Kleinbauern leben, sind die
       am besten gepflegten Wälder, mit den besten Bedingungen. Für sie ist der
       Wald ein Lebensraum, hier leben die Geister, die Mythen, die Ahnen.“
       
       Viele indigene Gemeinschaften haben keinen Eigentumstitel für das Land, auf
       dem sie leben. Sie müssen sich zu Gemeinschaften und Genossenschaften
       zusammenschließen, die wiederum von der Provinz anerkannt werden müssen.
       Und dort, in den Schreibtischschubladen der Provinzbehörde, verstauben die
       Anträge.
       
       Die Sonne steht jetzt tief. Auf der Chacra von Mariela Soto kommen die
       Ziegen zurück. „60 Muttertiere und eine Menge Zicklein“, sagt die
       41-jährige Farmerin. Mit Schwung öffnet sie das Gatter. „Sie sind den
       ganzen Tag draußen im Wald und kümmern sich um sich selbst.“ Abends kommen
       sie von allein zurück. „Das macht vieles einfacher“, sagt Soto, die die
       Farm allein mit ihrem kleinen Sohn betreibt. Für Rinder habe sie auf ihren
       15 Hektar zu wenig Platz und nicht genügend Wasser.
       
       „Ich stehe jeden Tag mit der Ungewissheit auf, dass sie mir mein Land
       wegnehmen könnten“, sagt Mariela Soto. Obwohl schon ihre Eltern auf der
       Chacra lebten, hat sie hier nur eine Duldung. Eigentümer ist der Staat, und
       der erkennt ihre Kooperative nicht an.
       
       „Es gibt tausend Hindernisse, und sie erfinden immer neue“, sagt Soto und
       entrollt demonstrativ die Fahne der Frente Nacional Campesino, dem
       Dachverband der Kooperativen. Wenn große Unternehmen Tausende Hektar Wald
       kauften, um ihn abzuholzen, gehe alles ruckzuck, sagt sie. „Dann kommen sie
       mit einem Räumungsbefehl und tragen dich weg wie einen Müllsack.“
       
       Als die Finca La Florencia im Westen der Provinz Formosa 2011 geräumt
       wurde, begannen sie sich zu organisieren. Damals wurden über 200 Familien
       von den 90.000 Hektar vertrieben. Ein geräumter Campesino, also ein Farmer,
       sterbe an Traurigkeit, sagen sie. „Wenn sie dir dein Land wegnehmen, deine
       Wurzeln ausreißen, wo deine Kinder und Enkelkinder aufgewachsen sind,
       fühlst du nur noch eine tiefe Ohnmacht“. Tränen stehen ihr in den Augen.
       „Wir würden den Wald nie abholzen, nicht nur weil unser Vieh davon lebt.
       Der Wald ist unser Leben, einfach alles.“
       
       Bis Ende des Jahres will die Europäische Union das Freihandelsabkommen mit
       den Mercosur-Staaten nach über 20 Jahren Verhandlungen ratifizieren.
       
       Die fünftägige Recherchereise wurde von Greenpeace organisiert. Die Kosten
       hat die taz getragen.
       
       24 May 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.greenpeace.org/argentina/
   DIR [2] /Braende-in-Argentinien/!5901151
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Vogt
       
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