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       # taz.de -- Gesundheitsökonom über Krankenhausreform: „Wollen wir ein kaltes Kliniksterben?“
       
       > Um die Krankenhausreform wird in dieser Woche weiter gerungen. Der
       > Gesundheitsökonom Wolfgang Greiner spricht über seine Horrorvision.
       
   IMG Bild: Es gebe gute und schlechte Krankenhäuser, sagt Gesundheitsökonom Wolfgang Greiner
       
       taz: Herr Greiner, wie schwer krank ist der Patient Krankenhauswesen? 
       
       Wolfgang Greiner: Das Bild passt aus meiner Sicht gar nicht. Wir haben auf
       der einen Seite sehr gute Krankenhäuser in Deutschland, die auch
       international mithalten können. Aber wir haben auf der anderen Seite viel
       zu viele Grundversorger. Und denen geht es schlecht, die sind teilweise
       runtergewirtschaftet.
       
       Wenn Sie selber ins Krankenhaus müssten, woran erkennen Sie, ob das zu den
       guten gehört? 
       
       Das werde ich öfter auch von Bekannten gefragt. Ich schaue dann immer erst
       mal in der weißen Liste nach, ob die entsprechende Behandlung überhaupt für
       das Krankenhaus verzeichnet ist und wie oft sie dort durchgeführt wird.
       Experten gucken auch noch mal in einen Qualitätsbericht rein, aber das wird
       dann schon sehr komplex.
       
       Sollte ich mich als Patient*in nicht darauf verlassen können, dass ein
       Krankenhaus, das zum Beispiel Krebsbehandlungen anbietet, auch über die
       entsprechende Erfahrung verfügt? 
       
       Im Moment ist das leider nicht immer ausreichend der Fall. Es gibt, wie
       gesagt, gute und schlechte Krankenhäuser. Und man sollte nicht unbedingt
       sofort in das nächste gehen, weil Oma Erna da mit einer ganz anderen
       Krankheit lag und gesagt hat, die Pfleger sind so nett. Gerade bei
       Krebsbehandlungen sollte man darauf achten, dass die Klinik dafür
       zertifiziert ist.
       
       Mit der Krankenhausreform will das Bundesgesundheitsministerium jetzt
       einheitliche Qualitätsvorgaben festlegen. Geht das in die richtige
       Richtung? 
       
       Auf jeden Fall. Ein relativ unumstrittener Teil der Reform sind ja die
       Leistungsbereiche, mit denen definiert wird, welche sachliche und
       personelle Ausstattung ein Krankenhaus braucht, um eine bestimmte
       Behandlung anzubieten. Aber um eine entsprechende Steuerung kommen wir
       nicht herum, wenn die Qualität insgesamt steigen soll.
       
       Bislang sind die Länder für die Krankenhausplanung zuständig. Sie sollen
       eigentlich auch für notwendige Investitionen aufkommen. Ist diese
       Aufteilung aus ökonomischer Sicht sinnvoll? 
       
       Überhaupt nicht. Einige Krankenhäuser sind überdimensioniert, andere
       unterfinanziert. Das folgt oft gar nicht den tatsächlichen Notwendigkeiten,
       sondern der politischen Lage vor Ort. So kommt es zu regionalen
       Schieflagen.
       
       Haben Sie ein Beispiel? 
       
       Oft gibt es ein mäßig ausgestattetes Krankenhaus in dem einen Kreis und
       direkt nebenan, im nächsten Kreis, noch mal das gleiche Angebot.
       Betriebswirtschaftlich wäre es viel sinnvoller, die Ressourcen da zu einem
       gut ausgestatteten Krankenhaus zusammenzulegen.
       
       Das System ist überökonomisiert, sagt Bundesgesundheitsminister Karl
       Lauterbach. Was sagt der Gesundheitsökonom? 
       
       Ökonomisierung ist inzwischen leider zum Kampfbegriff geworden. Aber ganz
       nüchtern betrachtet, bedeutet das zunächst einmal, dass eine ökonomische
       Denkweise eine Rolle spielt. Was nicht falsch sein kann, denn die
       Ressourcen sind nun mal begrenzt. Auch jeder noch so gemeinnützige Betrieb
       muss sich letztlich daran ausrichten. Der eigentliche Subtext der
       Ökonomisierungsdebatte ist: Es geht gar nicht mehr um die Patienten. Und
       das würde ich nicht unterschreiben. Ich glaube, was einfach nach der
       Einführung der Fallpauschalen vergessen wurde, ist, dass jedes System alle
       2 bis 4 Jahre evaluiert und nachjustiert werden muss.
       
       Also ist die viel gescholtene Abrechnung der Krankenhausleistungen über
       Fallpauschalen gar nicht das Problem? 
       
       Ich war und bin Anhänger der Fallpauschalen. Nur eben nicht so, wie sie im
       Moment angewendet werden. Die Krankenhäuser brauchen eine Finanzierung der
       Vorhaltekosten unabhängig von den abgerechneten Fällen.
       
       Das sehen die Vorschläge für die Krankenhausreform ja jetzt vor. Und
       trotzdem [1][warnen die Länder] und viele Ärzt*innen vor einem
       Krankenhaussterben durch die Reform. 
       
       Das werden wir so oder so haben. Der Prozess hat längst begonnen. Die Frage
       ist: Wollen wir ein strukturiertes oder ein kaltes Krankenhaussterben? Wenn
       wir keine Reform auf den Weg bringen, werden sicher zum Teil auch die
       richtigen Krankenhäuser eingehen, aber eben nicht nur. Fakt ist: Es müssen
       weniger Krankenhäuser werden. Das wissen eigentlich alle.
       
       Momentan sind es um die 1.900 Kliniken. Wie viele sollten es am Ende sein? 
       
       Ich habe Kolleg*innen, die da Zahlen raushauen: Ein Drittel weniger, oder
       so. Daran will ich mich wirklich nicht beteiligen. Das verschreckt eher und
       lässt sich sowieso nicht im Hinterzimmer festlegen. Es gibt gewachsene
       Strukturen, die auch berücksichtigt werden müssen.
       
       Wenn irgendwo eine Abteilung oder gar ein ganzes Krankenhaus geschlossen
       werden soll, geht nicht selten die halbe Stadt auf die Straße. 
       
       Das ist genau das, was ich meinte mit den politischen Gegebenheiten vor
       Ort. Für die Kommunalpolitiker ist das das Schwerste überhaupt. Im Grunde
       sind sich alle einig, dass wir Krankenhäuser mit klaren Qualitätsvorgaben
       und davon auch weniger brauchen. Aber wenn es dann um einen speziellen Ort
       geht, dann gibt es einen Aufstand. Wir müssen die Leute schon vor dieser
       Abwehrschlacht in der Diskussion mitnehmen – nicht erst wenn sich die erste
       Initiative gegründet hat. Im Vordergrund muss stehen, dass man ihnen nichts
       wegnimmt, sondern dass die Qualität besser wird, gerade auch im ländlichen
       Raum. Vielleicht habe ich dann für eine Spezialbehandlung eine Stunde
       längere Fahrzeit. Aber angesichts der Qualität, die da möglich ist, sollte
       es uns das wert sein.
       
       Die [2][Flächenländer kritisieren], dass dann selbst bei einem Herzanfall
       der Fahrtweg deutlich weiter werden könnte. 
       
       Aber auch das ist sinnvoll. Gerade bei einem Herz- oder Schlaganfall ist
       die Überlebenswahrscheinlichkeit in einem gut ausgestatteten und erfahrenen
       Krankenhaus deutlich höher. Ökonomisch macht es mehr Sinn, entsprechend
       ausgerüstete Rettungswagen wohnortnah zur Verfügung zu haben, als in allen
       Krankenhäusern für wenige Behandlungen im Jahr die Ausstattung und das
       Personal für solche Spezialbehandlungen vorzuhalten. Das geht vor dem
       Hintergrund des Fachkräftemangels sowieso nicht mehr.
       
       Ist eine so radikale Zentralisierung von Krankenhausleistungen wie in
       Dänemark auch für Deutschland erstrebenswert? 
       
       Wenn man das auf unsere Verhältnisse übertragen würde, dann bräuchte man
       eine viel weitergehende Reform. Da kämen auch ganz andere Härten auf uns
       zu, was zum Beispiel Wartezeiten, aber auch die Transformationskosten
       betrifft. Nein, ich glaube, wir können mit viel weniger an Veränderung
       schon sehr viel schaffen.
       
       Apropos Transformationskosten – was wird der Umbau kosten? 
       
       Auch wenn aus geschlossenen Abteilungen oder Häusern Mittel frei werden,
       werden zusätzliche Investitionsmittel benötigt. Genau wie bei der
       Digitalisierung muss auch bei der Krankenhausreform relativ viel Geld in
       die Hand genommen werden. Aber dann haben wir eben auch eine Struktur, die
       20, 30 Jahre lang wirklich gut funktioniert.
       
       Bis zu 100 Milliarden Euro geistern durch die Diskussion … 
       
       Das ist Kaffeesatzleserei! Es werden auf jeden Fall zweistellige
       Milliardenbeträge sein, aber das ist ja keine explosionsartige Reform. Das
       wird sich über mehrere Jahre verteilen.
       
       Und von wem soll das Geld für den Umbau kommen? 
       
       Ob das jetzt von den Krankenkassen bezahlt wird oder aus einem staatlichen
       Gesundheitsfonds, ist letztlich nicht so entscheidend. Die Krankenkassen
       haben ja jetzt schon Milliardendefizite, die wiederum vom Staat
       ausgeglichen werden müssen.
       
       Würden Sie die Verantwortung für Krankenhausinvestitionen aus den Händen
       der Länder nehmen? 
       
       Die Grundidee dieser Aufteilung ist doch: Wer mitbezahlt, soll auch
       mitentscheiden können. Aber das haut ja jetzt schon nicht hin. Auch die
       Länder, die seit Jahren viel zu wenig in die Krankenhäuser investieren,
       entscheiden im gleichen Maße mit. Das spräche für eine Mitfinanzierung aus
       Bundesmitteln. Dafür müssten die Steuereinnahmen zwischen Bund und Ländern
       natürlich teilweise umverteilt werden. Ökonomisch wäre das aus meiner Sicht
       absolut sinnvoll.
       
       Aber realistisch ist es nicht? 
       
       Nein. Wir müssen wohl mit den Gegebenheiten, die wir jetzt haben, also der
       anteiligen Länderfinanzierung, weitermachen. Es ist aber auch unrealistisch
       zu glauben, dass die Länder jetzt nach all den Jahren auf einmal mit
       Investitionen im ausreichenden Umfang um die Ecke kommen.
       
       Sie sind einer der führenden Gesundheitsökonomen in Deutschland. Wie oft
       klopfen bei Ihnen Lobbyisten an? 
       
       Ich werde oft auf Veranstaltungen eingeladen, um meine Meinung zu sagen.
       Ich rede mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft, mit den Krankenkassen
       und so weiter. Aber wir streiten auch viel. Das ist meine Rolle. Ich erlebe
       jedenfalls nicht, dass Menschen auf mich zukommen und sagen, sagen Sie doch
       mal das und das. Ich glaube auch nicht, dass sich die Lobbyisten etwas
       davon versprechen, wenn der Greiner was in ihrem Sinne sagt. Da muss man
       den eigenen Einfluss realistisch sehen.
       
       Diese Woche will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach den Ländern wohl
       seinen Entwurf für die Krankenhausreform vorstellen, noch bis zur
       Sommerpause soll er abgestimmt sein. Was erwarten Sie? 
       
       Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass wir jetzt zwar eine
       Krankenhausreform mit Qualitätsvorgaben und einer Bindung an
       Leistungsgruppen bekommen. Aber mit einer Riesenöffnungsklausel könnte so
       eine Reform durch lange Übergangsfristen und Ausnahmeregeln schlimm
       verwässert werden. Dann kann Minister Lauterbach sagen, er hat eine Reform
       durchbekommen. Und die Länder können sagen, macht euch keine Sorgen, wir
       machen natürlich trotzdem erst mal so ähnlich weiter wie bisher. Dass sich
       auf diese Weise fast gar nichts ändert, das wäre meine Horrorvision. Ich
       sehe aber in Teilbereichen wie der Notfallversorgung, dass sich da mehr
       bewegt. Insofern bin ich nicht ganz pessimistisch.
       
       Die Mitglieder der Regierungskommission, die den Vorschlag für die Reform
       erarbeitet haben, sehen die [3][Not als so groß an], dass nur ein
       grundlegender Umbau helfen kann. 
       
       Vielleicht müssen leider noch ein paar Krankenhauspleiten über uns kommen,
       damit der Reformbedarf nicht nur gesehen wird, sondern auch der Wille zur
       Umsetzung in der Fläche ankommt. Auszuschließen ist das nicht.
       
       22 May 2023
       
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