# taz.de -- Sprache und Aktivismus: Eine Sprache finden
> Diskussionen zu Antirassismus oder postkolonialer Geschichte finden oft
> auf Englisch statt. Für viele Interessierte ist das eine Hürde.
IMG Bild: Demonstration „Nein zu Rassismus“ in Berlin
Mein Englisch ist schon okay. Trotzdem nervt es mich, wenn
Diskussionsrunden zu Antirassismus, Migration, postkolonialer Theorie oder
Schwarzen Bewegungen in Frankfurt, Köln oder Berlin nur in englischer
Sprache und ohne Übersetzung für Beteiligte und Publikum angeboten werden.
Für viele, die sich für diese Themen interessieren, ist das eine Hürde.
Englischkenntnisse sind oft eine Frage von Alter, Klasse, Ost oder West und
des „richtigen“ Migrationshintergrunds.
[1][Über ein Privileg] wird in Schwarzen und PoC-Communities nämlich nicht
gesprochen: Das Privileg des richtigen Colonizers. Eltern zu haben, die
aus dem englischen Sprachraum migriert sind, macht vieles leichter. Ich
weiß nicht, ob einige prominente Aktivist*innen und
Wissenschaftler*innen of Color wirklich denken, dass sie mehr Menschen
mitnehmen, wenn sie auf Englisch vortragen und publizieren oder ob es
vielmehr darum geht, die eigene Arbeit besser international vermarkten zu
können. Unangenehm wird es, wenn auf einer Bleiberechts-Demo alle
Redebeiträge ins Englische übersetzt werden, die beteiligten
Geflüchtetenorganisationen aber hauptsächlich auf Französisch und Arabisch
kommunizieren. Das hatte vorher niemand erfragt.
## Realität und Kämpfe in Worte fassen
Ich bin ein Fan von Anglizismen und anderem Sprachgemisch. Sprachreinheit
ist nicht mein Point. Doch um herauszufinden, wo uns die Worte fehlen,
müssen wir miteinander sprechen und Leerstellen aufzeigen, anstatt sie
schnell und vor allem ohne gemeinsame Definition mit Wörtern aus anderen
Kontexten zu füllen. Sichtbarkeit schaffen und eine Sprache finden. Das
sind wesentliche Bestandteile der Empowerment-Arbeit und der
Selbstorganisation in marginalisierten Communities.
Für Leute wie mich gab es im Deutschen über Jahrhunderte nur rassistische
Bezeichnungen. Mitte der 1980er Jahre organisierten sich Schwarze Menschen
in Deutschland und prägten Begriffe wie afrodeutsch oder Schwarze Deutsche.
Wörter in der eigenen Sprache finden, die die eigene Positionierung und
Lebensrealität wiedergeben, das ist wichtig – um Erfahrungen benennen,
Missstände beschreiben und solidarische Gemeinschaften bilden zu können.
Der Begriff „PoC“ zum Beispiel hilft als Sammelbezeichnung für Menschen,
die von Rassismus betroffen sind. So ganz lässt er sich aber nicht aus dem
US-amerikanischen Kontext in den deutschsprachigen Raum übertragen. Solange
der Lückenbüßer funktioniert, werden wir nicht die Energie aufbringen, eine
passendere Bezeichnung zu kreieren.
Wir müssen unsere Realität und unsere Kämpfe in Worte fassen. [2][Damit die
Begriffe und Selbstbezeichnungen, die wir wählen, praktischen Einfluss auf
den Alltag haben], müssen wir in der Sprache diskutieren, in der unser
Zusammenleben gestaltet wird. In der Sprache, mit der Politik und
Verwaltung arbeiten.
21 May 2023
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## AUTOREN
DIR Simone Dede Ayivi
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