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       # taz.de -- Berliner Karneval der Kulturen: Tradition verpflichtet
       
       > Der 25. Karneval der Kulturen steht vor der Tür, und die
       > Multikulti-Institution hat große finanzielle Sorgen. Der neue
       > Kultursenator sichert Unterstützung zu.
       
   IMG Bild: Der neue Kultursenator Joe Chialo (CDU, 3.v.l.) inmitten der Karnevalsmacher*innen 2023
       
       Ab wann ist etwas eine Tradition? Für Aissatou Binger ist die Sache klar:
       Beim Karneval der Kulturen, der an diesem Wochenende zum 25. Mal in
       Kreuzberg auf die Straße geht, „können wir von einer Tradition sprechen:
       Herzlichen Glückwunsch, Berlin hat eine postmigrantische Tradition“,
       erklärte die eine der zwei neuen Chefinnen des Karnevalsbüros am Montag
       beim Pressetermin, der passenderweise im Berlin Global Village in Neukölln
       stattfindet.
       
       Doch Berlins „größte kulturelle Intervention im öffentlichen Raum“, wie
       ihre Kollegin Geraldine Hepp sagte, steht vor großen, vor allem
       finanziellen, Problemen. Inflation und Fachkräftemangel hätten eine
       Kostensteigerung von 40 Prozent und damit ein Defizit von rund 300.000 Euro
       verursacht, so Hepp.
       
       Die Folge: Der Karneval der Kulturen (KdK), der vor seiner dreijährigen
       [1][pandemiebedingten Pause] jedes Jahr an Pfingsten rund eine Million
       Besucher*innen aus dem In- und Ausland anzog, muss schrumpfen. Die
       Strecke wird leicht gekürzt, statt wie sonst 70 bis 90 gehen in diesem Jahr
       48 Gruppen mit rund 2.500 Akteur*innen an den Start. Nur das Straßenfest
       rings um den Blücherplatz bleibt in vollem Umfang erhalten: Es sei ja
       „unser wichtigstes Drittmittel“, so Hepp, und zur Finanzierung des Umzugs
       seinerzeit gegründet worden.
       
       Ein Gutes, so die Botschaft der Karnevals-Macher*innen, habe die Krise der
       Pandemie aber auch gehabt: Man habe die „kreative Pause“ genutzt, sich noch
       einmal über die Grundidee des KdK zu vergewissern. Das Ganze, so Hepp, sei
       ja 1996 als „antirassistische Bewegung“ entstanden – die Berliner Antwort
       auf die Baseballschläger-Jahre könnte man sagen. Und damit sei man dann so
       erfolgreich geworden, dass der Karneval heute primär als Großveranstaltung
       wahrgenommen werde. Doch den teilnehmenden Gruppen sei es wichtig, dass
       dieser „Ursprungsimpuls“ wieder stärker ins Bewusstsein rücke.
       
       Darum haben die Gruppen gemeinsam [2][ein Manifest] verabschiedet, in dem
       es unter anderdem heißt: „Wir sind für ein Miteinander: Wir wollen uns
       kennenlernen und mit Respekt voneinander lernen! Wir wollen sehen und
       gesehen werden, weil wir stolz auf unsere Vielfalt sind!“ Diesen Bewegungs-
       und Netzwerkcharakter gelte es zu stärken, ergänzte Binger, der KdK sei
       eben nicht nur eine riesige Party, sondern die Arbeit vieler Gruppen und
       Menschen das ganze Jahr über.
       
       Doch wie kann diese Arbeit besser finanziert werden? Hilfe erwartet man
       sich berechtigterweise vor allem von der Politik, die in Gestalt des neuen
       Kultursenators Joe Chialo (CDU) am Montag mit auf dem Podium saß. Und
       Chialo sparte nicht mit Lob und Bekenntnissen: Er könne sich „sehr
       persönlich an diese Zeit erinnern, an den Druck“ damals, „wo Rassismus so
       eine ganz große Rolle gespielt hat“, sagte der Senator, der als Schwarzer
       zweifelsohne selbst Rassismuserfahrungen hat. Und der Karneval habe bis
       heute eine wichtige Aufgabe: zur Vernetzung kultureller Akteure, als „Ort
       der Begegnung, auch für Postmigrant*innen“, wo die Akteur*innen
       wichtiges „soziales Engagement“ leisteten. Dies sei genau das, was Berlin
       heute brauche, so Chialo: eine Veranstaltung als Brückenbauer „nicht nur
       zwischen verschiedensten Nationalitäten, die diese Veranstaltung so bunt
       erscheinen lassen“, sondern auch zwischen verschiedenen Altersgruppen und
       sozialen Schichten – davon müsse es noch viel mehr geben. „Das war für uns
       während der Koalitionsverhandlungen ganz, ganz wichtig zu unterstreichen,
       dass Karneval der Kulturen für Berlin auch zukünftig passieren muss und
       dass ihr in uns auch zukünftig einen starken Partner haben werdet.“
       
       Konkrete Zusicherungen machte der Senator allerdings nicht – und bat dafür
       um Verständnis, da die Haushaltsverhandlungen ja noch liefen. Ob es also
       mehr wird als die bislang rund eine Million Euro, die die Landeskasse
       jährlich in den Karneval steckt, bleibt offen. Chialo sieht wohl eher „die
       Wirtschaft“ am Zug.
       
       Tatsächlich hat der Karnvel beschlossen, sich dem Sponsoring zu öffnen, wie
       Hepp erklärte. Darum, so Chialo, könne die Wirtschaft, die vom Image des
       KdK profitiere, „auch mal zur Kasse greifen“.
       
       Einen neuen Hauptsponsor gibt es bereits, wie auf Plakaten und Flyern zu
       sehen – den Akteur*innen nützt dies erstmal nichts, auch nicht Chialos
       Lob und Wertschätzung ihrer Arbeit. Seit 2015, so Hepp, gebe es zwar einen
       „Gruppenfonds“ für Material- und Transportkosten von 100.000 Euro – aber
       das reicht bei rund 50 Gruppen natürlich hinten und vorne nicht. Viele
       mieten etwa auf eigene Kosten Räume für die Proben, weil das Haus, das das
       Land zur Verfügung stellt, in Marzahn liegt – viel zu weit weg, wenn sich
       Dutzende Menschen über Monate jeden Abend zum Proben treffen.
       
       Er sei „müde“, sagte denn auch Dada Mercelino de Roha von der Samba-Gruppe
       Furiosa, die seit Beginn dabei ist. „Die ganze Arbeit, die dahinter steckt,
       das ganze Jahr über und schon seit Jahren, wird nie bezahlt.“ Am Anfang, in
       den 90ern, seit die Euphorie groß gewesen, „aber irgendwann ist es vorbei“.
       Sonia de Oliveira von der Gruppe Amasonia klang noch trauriger: Wenn sich
       nichts ändere, werde sie nächstes Jahr wohl nicht mehr dabei sein. „Die
       Hälfte meiner Kostüme ist kaputt. Wer bezahlt mir die Reparatur?“
       
       22 May 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Karneval-der-Kulturen-faellt-komplett-aus/!5785486
   DIR [2] https://www.karneval.berlin/de/karneval/manifest.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Memarnia
       
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