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       # taz.de -- Erwachsene auf Hobbysuche: Ich will doch nur spielen
       
       > Ein Hobby muss her, um die verbliebene Zeit nach der Lohnarbeit sinnvoll
       > zu nutzen. Aber als Erwachsene eins zu finden, ist gar nicht so einfach.
       
   IMG Bild: Die Freizeit mit etwas füllen, das man liebt
       
       Neulich saß ich bei einer Geburtstagsfeier und unterhielt mich mit einer
       Frau in meinem Alter. Ich kannte weder ihren Namen noch ihren Beruf. Ich
       wusste nur, dass sie eine leidenschaftliche [1][Tangotänzerin] ist. Sie
       erzählte mir, wie sie zum Tanzen kam, was der Tango mit ihrem Körper und
       mit ihrer Seele macht, und ich fragte sie aus – weil es so schön ist, wenn
       jemand von etwas spricht, das sie oder ihn bewegt.
       
       „Und was machst du so, außer arbeiten?“, fragte die Frau irgendwann. Der
       gefürchtete Hobbyvergleich. Meistens antworte ich auf diese Frage, dass
       Schreiben ja meine Leidenschaft ist – und ich das Glück habe, [2][das auch
       beruflich zu machen]. Gedanklicher Nebensatz: Da brauche ich kein Hobby.
       Trotzdem beneide ich Leute, die in ihrer [3][Freizeit] mehr als Pause
       machen.
       
       Die meisten Leben sind auf Lohnarbeit ausgerichtet, alles andere bauen wir
       bestmöglich drumherum. Wie gut das Bestmögliche ist, hängt ab von Geld,
       Gesundheit, Care-Arbeit. Und vom Job. Je nachdem ob jemand am Fließband
       steht, Menschen pflegt oder im Büro sitzt, können Unterschiede riesig sein.
       Meine Arbeit erlaubt mir viel. Schon während ich ihr nachgehe, bin ich
       häufig frei in Gedanken, in der Einteilung von Zeit, in der Wahl des
       Arbeitsortes. Und doch glaube ich, dass mir etwas fehlt, wenn ich mich nur
       mit ihr beschäftige.
       
       ## Das Hobby als Persönlichkeitsdarstellung
       
       Natürlich stimmt es nicht, dass ich gar nichts tue, wenn ich nicht arbeite.
       Ich koche, pflanze, spaziere, alles gern. Aber um diese Tätigkeiten Hobbys
       zu nennen, fehlt die Regelmäßigkeit. Ehrlich gesagt bin ich mit freier Zeit
       meistens erst mal ein bisschen überfordert. Und vor allem bin ich nicht so
       begeistert wie meine Gesprächspartnerin, die vom Tango sprach.
       
       Als Erwachsene auf Hobbysuche stellen sich ganz neue Herausforderungen:
       sich Zeit nehmen, die Zeit festhalten und dann mit etwas befüllen, das
       weder Binge-Watching noch Selbstoptimierung ist. Etwas, das Spaß macht.
       Hobbys sollen oft etwas, haben ein Ziel. Körper „in Form“ bringen, Stress
       bekämpfen, uns für die Lohnarbeit fit halten. Und ist das Hobby gefunden,
       dient es zur Persönlichkeitsdarstellung: Schaut, wie ich
       töpfere/meditiere/wandere und wie ausgeglichen ich dabei bin.
       
       Ich erinnere mich noch, wie schön es ist, an einer Sache zu wachsen, die
       sich zunächst ziellos anfühlt. Wie toll lernen an sich ist, ohne dass das
       Erlernte sofort als weiterer skill in einen finanziellen, sozialen,
       kulturellen Wert übersetzt werden muss. Stundenlang vor sich hin zeichnen,
       alle Songtexte im Booklet auswendig lernen.
       
       Gut möglich, dass ich die Tangofrau gar nicht um ein Hobby beneidet habe,
       sondern darum, dass sie ihre Freizeit so entschieden mit etwas füllt, das
       sie liebt. Sehr gut möglich, dass ich kein Hobby im Sinne eines Mal- oder
       Kampfsportkurses brauche, sondern die Hingabe zu einer Beschäftigung ohne
       Rahmen. Vielleicht, denke ich, muss ich einfach wieder mehr spielen.
       
       25 May 2023
       
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       ## AUTOREN
       
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