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       # taz.de -- Tod des Star-Arbeitslosen Arno Dübel: „Wer arbeitet, ist doch blöd“
       
       > Er war „schwer vermittelbar“, außer als Provokateur in den Medien. Arno
       > Dübel, Deutschlands Star-Arbeitsloser aus den nuller Jahren, ist tot.
       
   IMG Bild: Machte in den nuller Jahren als Deutschlands berühmtester Arbeitsloser Karriere: Arno Dübel
       
       Das mit dem Song war dann doch zu viel. „Der Klügere kippt nach“ hieß das
       Lied, [1][das Arno Dübel,] gekleidet in ein T-Shirt mit der Aufschrift „Ich
       krich vom Amt“ in Hamburg in einem Lokal vor Publikum zum Besten geben
       wollte. Er wurde von der Bühne gebuht. So erzählte es die Bild-Zeitung. Das
       war vor 13 Jahren.
       
       Jetzt ist Deutschlands bekanntester Langzeitarbeitsloser, Talkshowgast und
       Jobcenter-Schreck aus den Zeiten um 2010 im Alter von 67 Jahren in einem
       Hamburger Krankenhaus gestorben. Und Deutschland verliert eine Medienfigur,
       die es heute wohl nicht mehr zu ähnlicher Berühmtheit bringen könnte wie
       noch in den nuller Jahren, als der „bekennende faule Arbeitslose“ beim
       Publikum eine Mischung aus Faszination und Abscheu hervorrief.
       
       Dübels Leitsatz „Wer arbeitet, ist doch blöd“ ebnete dem
       langzeitarbeitslosen Mann mit der abgebrochenen Malerlehre den Weg in die
       Talkshows und in die Boulevardmedien. „Ich will niemandem den Job
       wegnehmen, ich stell mich ganz hinten an, ganz hinten“, sagte er und bewies
       damit eine gewisse Intuition, mit der Ambivalenz des engen Jobmarkts zu
       spielen. Mit Pferdeschwanz, Zigarette, dunklen Augenrändern,
       Freizeitklamotten und Hund lieferte er das perfekte [2][Klischee des
       langjährigen Stützeempfängers] mit Motivationsproblemen.
       
       Man erinnere sich: Im Jahre 2005 [3][wurde Hartz IV eingeführt]. Es
       herrschte schon seit Jahren Massenarbeitslosigkeit, bedingt durch die
       Konjunktur, durch die Automatisierung, die Globalisierung und auch noch als
       eine Spätfolge der Wiedervereinigung. Unbekümmert dieser Tatsache äußerten
       neoliberale Sozialpolitiker:innen immer wieder den Verdacht,
       Arbeitslose, sehr viele Arbeitslose wollten ja gar nicht arbeiten, sondern
       sich mit dem Geld vom Staat ein faules Luxusleben gönnen. „Arbeiten? Ich
       will mich doch nicht verschlechtern!“, sagte Dübel und goss Öl ins Feuer
       der Neoliberalen und Konservativen. Das Ressentiment gegenüber
       Langzeitarbeitslosen half im übrigen, die Regelsätze für die Grundsicherung
       niedrig zu halten.
       
       ## Die Bild dichtete von „Florida-Rolf“
       
       Zuvor war schon [4][„Florida-Rolf“] in der Sozialstaatsdebatte zu
       unfreiwilligem Ruhm gelangt. Rolf J. ist ein Deutscher, der in die USA
       gezogen war und dort in Florida lebte und arbeitete. Als er erkrankte,
       verlor er seinen Job und beantragte schon in den 90er Jahren als
       Auslandsdeutscher Sozialhilfe beim Landessozialamt von Niedersachsen, wo er
       herkam. Die Gesetze damals erlaubten im Ausland lebenden deutschen
       Staatsbürger:innen ein Recht auf Sozialhilfe im Falle von besonderen
       Notlagen.
       
       Als die Bild-Zeitung im Jahre 2003 von dem Fall Wind bekam, dichtete sie
       Schlagzeilen über „Florida-Rolf“, den „Sozialschnorrer“. Die damalige
       rot-grüne Regierung brachte erstaunlich flott eine Gesetzesänderung durch,
       die Sozialhilfe ins Ausland nur noch unter strengen Voraussetzungen
       gestattet. Rolf J. kehrte nach Deutschland zurück, was den Staat im Übrigen
       keineswegs billiger kam.
       
       ## Allen Versuchen des Jobcenters widerstanden
       
       Arno Dübel widerstand allen Versuchen des Jobcenters, ihn doch noch in den
       Arbeitsmarkt zu integrieren. „Die wollten mich als Inventurhelfer
       vermitteln. Aber ich bin doch lungenkrank, kann nicht mal eine Leiter hoch.
       Da haben die mich wieder nach Hause geschickt“, erzählte er über einen
       Vermittlungsversuch bei einer Zeitarbeitsfirma. Bald galt er als „schwer
       vermittelbar“. 2010 wollte Dübel ins Showgeschäft wechseln, schließlich
       hatte er schon komödiantisches Talent bewiesen. Mit seinem ersten Song „Der
       Klügere kippt nach“ kam er allerdings nicht weit. Ein Video über den
       nächsten Song „Ich bin doch lieb“ ist heute noch auf Y[5][outube] abrufbar.
       Doch der große Erfolg blieb aus, zudem gab es Stress mit einem angeblichen
       Manager.
       
       Obwohl Neoliberale davor gewarnt hatten, wurde Dübel nie zum Modell.
       Massenhafte verdeckte Arbeitsverweigerung aus schierer Unlust ist nicht
       eingetreten. Mit Anziehen der Konjunktur und auch demografiebedingt ist die
       Arbeitslosigkeit deutlich zurückgegangen. Wer heute dauerhaft im
       Hartz-IV-Bezug beziehungsweise Bürgergeld-Bezug lebt, hat oft vielfältige
       [6][Vermittlungshemmnisse]. Aus der Forschung weiß man: Die Leute können
       wegen Kinderbetreuung keine Schichtarbeit machen oder sie sind nicht
       ausreichend qualifiziert oder sie sprechen nicht gut genug Deutsch oder sie
       sind krank, körperlich oder psychisch, oder sie wohnen sehr abgelegen und
       die Verkehrsverbindungen sind schlecht. Das sind die Probleme der
       allermeisten. Die Gruppe der komplett Unmotivierten, die es immer auch
       gibt, hat sich offenbar nicht vergrößert.
       
       Hinter dem Phänomen Arno Dübel stand stets auch die unausgesprochene Frage,
       ob Langzeitarbeitslosigkeit und Abhängigkeit vom Sozialstaat am Ende
       vielleicht doch das bessere Leben bieten als Erwerbsarbeit in einem
       anstrengenden, schlechtbezahlten Job. Die Frage stellt sich heute anders,
       da überall Personal gesucht wird und die Solidaritätsbereitschaft der
       arbeitenden Steuerzahler:innen auch deswegen wackelt. Ein Arno Dübel
       heute in einer Talkshow würde wirken wie ein Verhaltensauffälliger, der
       irgendwie aus der Zeit gefallen ist. Der Verdacht gegenüber
       Langzeitarbeitslosen, sie wollten ja gar nicht werktätig werden, der
       allerdings bleibt.
       
       24 May 2023
       
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