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       # taz.de -- Spielstile beim Golf: Schildkröten und schnelle Bullen
       
       > Sehr unterschiedliche Menschen spielen sehr unterschiedlich Golf.
       > Nirgends zeigt sich das Wesen eines Menschen so spiegelscharf.
       
   IMG Bild: Beim Golfen bleiben keine Macken und Eigenheiten verborgen
       
       Wie immer im Leben gibt es auch beim Golf solche und solche. Bei manchen
       SpielerInnen fragt man sich, ob sie ihr Tun wohl Sport nennen würden. Ohne
       jede Dynamik schlendern sie zum Abschlag, statt tatendurstig loszugehen, um
       dann die Bälle gemächlich vor sich her zu schubsen. Manche spielen sogar
       mit offener, wehender Jacke. Und stören sich nicht daran – ist ja nur ein
       Spaziergang mit Stöcken und Kugeln.
       
       Andere sind mit Energie, Lust und Laune unterwegs, voller Ehrgeiz bis hin
       zur Verbissenheit. Manche nehmen Fehler stoisch, andere fluchen laut. Es
       heißt, nirgends [1][zeige sich der Charakter eines Menschen so
       spiegelscharf, wie nach einem missglückten Golfhieb.] PsychologInnen können
       ihre Couchen einmotten: Lasst die Seelenklienten einfach einen Ball
       fehlschlagen.
       
       Andere, wie unser Mitspieler N., erzählen unterwegs ständig ihre jüngsten
       Erlebnisse („Samstag lag mein Ball hier“), machen eine Wissenschaft aus dem
       schönen Spiel und demonstrieren das auch gern: Sie berichten von neu
       entdeckten Youtube-Filmchen, wer da welche Tipps gegeben hat: „Das hat mir
       echt geholfen. Guck mal, so …“ Andere korrigieren Stand, Ausrichtung und
       Schwungebene ihrer Mitspieler, freundlich gemeint, aber nah an der Grenze
       zu nerviger Besserwisserei.
       
       Und es gibt die ehrgeizigen Tatmenschen wie H., der sich gern die neuesten
       Schläger kauft. Sein Motto: „Ihr seid alle 5 oder 10 Jahre jünger als ich,
       das muss ich mit Technik ausgleichen.“ Der neueste Driver der Firma
       Callaway, seiner Marke, kostet 900 Euro. 900, ein Schläger! „Great Big
       Bertha“ heißt die Wunderwaffe, ist weitteilig aus Karbon, hat eine
       „Jailbreak-Technologie“, den „UST Helium Nanocore Schaft“, einen
       verstellbaren Schlägerkopf sowieso und Spin-Optimierung dank besonderer KI.
       Aber 900 ist unserem Senior dann doch zu viel. Bislang. Mal sehen, [2][was
       er mit 80 macht.] Vielleicht kostet die neueste Gerätschaft dann 1.900 und
       schlägt von selbst.
       
       ## Nicht schleichen, Himmel!
       
       Und da sind die Schildkröten. Jede Gruppe GolferInnen hält die Gruppe vor
       sich dafür, 150 oder 200 Meter entfernt. „Mein Gott, das dauert … was
       machen die denn da? Tauschen sich noch Backrezepte aus oder
       Bundesliga-Analysen …? Das kann man auch im Gehen… Ja, ge-hen! Nicht
       schleichen, Himmel, die Zeitlupe ist doch schon erfunden…“
       
       Mitspieler P. ist selbst eine Schildkröte. Er braucht („Ach, bin ich
       dran?“) bis knapp vor ewig, bevor er am Ball steht, es folgt: Sortieren der
       Gliedmaßen, ein, zwei Probeschwünge, neue
       Konzentrationssekundenphasen, Ruckeln der Füße um Millimeter. Bis er
       den Ball geschlagen hat, dauert es immer 44,9 Sekunden. 45 sind die
       Obergrenze, laut Regel. Im Turnier würde er im Wiederholungsfall erst
       ermahnt, dann verwarnt, schließlich gäbe es einen Strafschlag. [3][Auch bei
       Profis alles schon vorgekommen.]
       
       Das Gegenteil ist J.: Der geht zum Ball, stellt sich hin und knallt das
       Ding weg. Ruckzuck: kaum mehr als 0,9 Sekunden. Probeschwung? „Ich spiele
       seit 30 Jahren, wenn ich jetzt immer noch nicht vernünftig schwingen kann,
       dann würde was nicht stimmen.“ Der Mann war Polizist, da hatte er im
       Einsatzfall auch keinen Übungsschuss.
       
       Schildkröten gibt es auch bei den Profis, vorneweg der US-Amerikaner
       Patrick Cantlay, derzeit Weltrangliste Platz 4. Seine Schlagroutine ist
       legendär langsam, vor allem beim Putten. Da geht er hinter dem Ball in die
       Hocke, äugt mit Adlerblick, berät sich gestikulierend mit seinem Caddie,
       stellt sich breitbeinig neben die gedachte Puttlinie, damit ihm seine
       Fußsohlensensoren letzte Informationen liefern, ob sich die vermutete
       Minimalneigung des Grüns auch so anfühlt. Anschließend versucht er, von
       hinter der Fahne alles noch mal zu adlerblicken. Da gab es schon genervte
       Buhrufe von den Tribünen. Dann schiebt er den Putt vorbei.
       
       Manchmal trifft er auch. Neulich schoss Cantlay sogar ein Hole in One, 160
       Meter und drin. Geht doch mit dem schneller Spielen, twitterte er danach in
       gemütlicher Selbstironie.
       
       26 May 2023
       
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