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       # taz.de -- Heidenheim vor dem Bundesliga-Aufstieg: Profikick und Streuobstwiese
       
       > Die Schwäbische Alb bereitet sich auf Fußballfans vor. An den Aufstieg
       > des 1. FC Heidenheim glauben hier alle. Auch die DKP, die im Gemeinderat
       > sitzt.
       
   IMG Bild: Heidenheim goes Bundesliga, das Stadtbild verändert sich
       
       Niemals, wirklich niemals sollte man die Tücken der Provinz unterschätzen.
       Schnell wird sie als Idyll beschrieben, in der Fuchs und Bambi gemeinsam
       Yoga machen. Und noch schneller kommt die [1][Großstadtarroganz] im
       Journalisten durch, der sich ja aus Prinzip gern über eine Provinz erhebt,
       von der er nicht einmal weiß, wo sie jetzt genau liegt. Beides, so viel sei
       verraten, haut nicht hin in Heidenheim, dessen größter [2][Fußballverein]
       am Wochenende in die erste Liga [3][aufsteigen] könnte.
       
       Das fängt schon damit an, dass hier oben auf der Schwäbischen Alb eher
       nicht die Kühe auf der Alm grasen, auch wenn die Stadt schön gelegen ist,
       wie man dann sieht, wenn man auf dem Rückweg vom Stadion den Schlossberg
       hinunter wandert. Vorbei an Streuobstwiesen und freundlichen Rentnern, die
       natürlich längst wissen, dass der 1. FCH jetzt noch einen Sieg braucht, und
       dann kommen tatsächlich die Bayern- und Dortmund-Fans hierher. Aber „Kühe,
       Schweine, Heidenheim“ (wahlweise: „Osnabrück“ oder ein anderes dreisilbiges
       Wort), was Großstadtfans gern singen, trifft es hier halt nicht. Heidenheim
       ist industriell geprägt.
       
       Der Maschinenbaubetrieb Voith beschäftigt 4.500 Menschen, die ewig gleichen
       Heimsuchungen der Globalisierung prägen auch hier die Innenstadt: Der
       Drogeriemulti aus dem nahen Ulm, der Aufbacksandwich-Laden, ein paar andere
       Ketten. Im kleinen Park am Bahnhof sitzen derweil ein paar
       politisch-progressive Jugendlichen, die deutschen HipHop hören, und die
       wenigen Fußballfans, die mit der Bahn angereist sind, ziemlich demonstrativ
       ziemlich verächtlich anschauen.
       
       So viel also zu Heidenheim, das eine ganz normalen Kleinstadt wäre, wenn
       ihr oberstes Gremium nicht eine Besonderheit aufwiese. Denn einer der 32
       Gemeinderätinnen und Gemeinderäte ist Reinhard Püschel. Und der ist seit
       1973 Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei. Die DKP war im alten
       Westdeutschland ziemlich präsent bei Demos oder Ostermärschen.
       
       ## Heimat linker Idealisten
       
       Sie war die Heimat linker Idealisten und kämpferischer Gewerkschafter. Aber
       auch die von bornierten Ideologen, die die DDR für die wahre deutsche
       Demokratie hielten. Als ausgerechnet eine Regierung unter Willy Brandt 1972
       den Radikalenerlass durchsetzte, zielte das auf Lehrer (und Postboten), die
       Mitglieder der Kleinstpartei waren. Viel Paranoia für eine Partei, die bei
       Wahlen selten über 0,2 Prozent kam und heute 2.800 Mitglieder hat.
       
       Drei davon sitzen einem nun in einer Kneipe gegenüber, die – im Ernst jetzt
       – „Kleine Heile Welt“ heißt. Es soll über den 1. FCH gehen, dessen Schal
       Dieter Vogel trägt, ein Ur-Heidenheimer, der in Lüneburg wohnt. Wilhelm
       Benz, der Kreisvorsitzende, ist auch gekommen. Und eben Püschel, der im
       nächsten Jahr wieder für den Gemeinderat kandidieren will. Klappt die
       Wiederwahl, gibt es 2025 ein Jubiläum zu feiern. Dann ist die DKP seit 50
       Jahren hier im Rat der Stadt vertreten. Glaubt man den drei freundlichen
       Herren, ist das allerdings so überraschend auch wieder nicht.
       
       „Wir haben nie irgendeiner Erhöhung der Kita- oder Friedhofsgebühren
       zugestimmt“, sagt Püschel. „Das sind wichtige Sachen für die Menschen.
       Genau wie ein bezahlbarer Nahverkehr.“ Kein Wunder, dass sich der
       langjährige Oberbürgermeister Bernhard Ilg mal beschwert hat, dass die von
       der DKP immer gegen alles seien. Aber sie konnten schließlich nur dagegen
       sein, als es darum ging, die städtischen Wohnungen zu verkaufen. Keine
       kommunale Aufgabe, fand Ilg. Die allerwichtigste kommunale Aufgabe, fand
       Püschel.
       
       ## Püschel interessiert sich nicht wirklich für Fußball
       
       Wechselseitig krumm genommen haben sie sich ihre Meinungsverschiedenheiten
       indes nicht. Und das sagt jetzt vielleicht doch etwas aus über das
       politische Klima in Heidenheim. Denn CDU-Mann Ilg hat der DKP
       selbstverständlich städtische Räume überlassen, als die eine Ausstellung
       zur örtlichen Parteigeschichte plante. „Früher gab es ein ungeschriebenes
       Gesetz, dass man mit uns keinen Kontakt haben durfte“, sagt Benz. „Heute
       sitzt man nebeneinander und unterhält sich ganz normal.“
       
       Püschel bestätigt das und will jetzt noch mal etwas klarstellen: Er
       interessiere sich zwar nicht sehr für Fußball. Aber wenn der 1. FCH
       aufsteige, freue er sich. Auch mit dessen Vorsitzenden, der mal für die CDU
       im Gemeinderat saß, habe man kein Problem: „Ich kann gegen Holger Sanwald
       nichts Negatives sagen. Politisch lägen wir sicher in vielem auseinander,
       aber der Umgang ist völlig korrekt und höflich. Er hat uns auch mal
       erlaubt, eine Aktion auf dem Stadiongelände durchzuführen.“
       
       Aber ja, es stimme schon, dass die DKP immer dagegen war, den Verein mit
       Steuergeldern zu unterstützen. Und genau das hat die Kommune immer wieder
       getan, als ihr das Stadion noch gehörte. „Der stufenweise Ausbau hat die
       Stadt 18 Millionen Euro in zehn, zwölf Jahren gekostet.“ Als der
       Oberbürgermeister dem Verein dann noch das Stadion zum symbolischen Preis
       von einem Euro überlassen wollte, hat Püschel die Welt gar nicht mehr
       verstanden.
       
       „Das wenige Geld, das die Kommunen haben, muss zuerst im sozialen Bereich
       ausgegeben werden. Und dann sollten wir, bevor wir die Erhöhung der
       Kita-Gebühren beschließen, noch schnell dem FCH ein Stadion schenken?“ Da
       schüttelt auch Vogel den Kopf, der den Werdegang des FCH seit Kindertagen
       verfolgt und jetzt mal zehn Tage auf Heimaturlaub ist. Das Ticket fürs
       Spiel in Regensburg hat er seit Wochen.
       
       25 May 2023
       
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