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       # taz.de -- Album von Avalon Emerson und The Charm: Zwischen Dancefloor und Indiepop
       
       > US-DJ Avalon Emerson ruht sich nicht auf den Lorbeeren ihres Erfolgs aus.
       > In ihrem Album „& The Charm“ nimmt sie ironisch Oberflächlichkeit aufs
       > Korn.
       
   IMG Bild: Natürlich im Scheinwerferlicht: Avalon Emerson
       
       „This moment flung you far/Into a future where you are/ Another unreality
       star“, spottet Avalon Emerson auf ihrem jüngst erschiennen Album über
       Social-Media-Sternchen. Mit zarter, angesichts ihrer beißenden Songtexte
       fast ironisch zurückhaltender Stimme singt Emerson über Beziehungen,
       Intimität und Spiritualität im Zeitalter der Nonstop-Medialität. Richtig:
       Sie singt.
       
       Denn gerade als die US-amerikanische Elektro-DJ einen Punkt in ihrer
       Karriere erreicht hatte, an dem sie sich getrost auf ihren Lorbeeren hätte
       ausruhen können, veröffentlicht sie ein neues Projekt: Avalon Emerson & The
       Charm, und das Debütalbum klingt eher nach Popmusik.
       
       Zumindest ließe sich dem gleichnamigen Album dieser etwas unscharfe
       Genrebegriff überstülpen, in Wahrheit klingt Emersons Musik viel zu
       eigensinnig, um sie einem eindeutigen Stil zuzuordnen. Die 34-jährige
       Musikerin wuchs in Arizona im Südwesten der USA auf und begann in den
       Zehner-Jahren auf Warehouse-Partys in der Bay Area aufzulegen. 2014 zog sie
       nach Berlin und mauserte sich binnen wenigen Jahren zu einer Koryphäe der
       internationalen elektronischen Musikszene.
       
       In kaum einem Club mit Renommee hat sie noch nicht gespielt, im
       [1][Berliner Berghain] gehört sie zum Stamm der Resident-DJs. 2020 erhielt
       sie den Ritterschlag, als sie einen Mix für die Reihe „DJ Kicks“ des Labels
       „Studio!K7“ aufnehmen durfte.
       
       ## Schillernde Synthesizer-Träumerei
       
       Schon damals bewies Emerson mit ihrer Coverversion von „Long
       Forgotten-Fairytale“ der The Magnetic Fields, dass sie nicht nur auflegen,
       sondern auch singen kann. Nun wurden [2][Magnetic Fields mit ihrem
       Synthesizer-Nerdtum] zum stilistischen Vorbild ihres Debütalbums. Ebenso
       führte Avalon Emerson die [3][Musik von Arthur Russell] als Inspiration an,
       dessen experimentierfreudiger Sound zwischen zeitgenössischer Avantgarde
       und Dancefloor seiner Zeit weit voraus war und stilbildend für den
       elektronischen Dancefloor wurde.
       
       Mit elektronischer Clubmusik hat das Werk von Emerson & the Charm wenig zu
       tun. Lieber wollte die 34-jährige US-Amerikanerin mit ihrem neuen Projekt
       etwas schaffen, „dessen Vergnügen länger anhält als ein oder zwei Drehungen
       auf der Tanzfläche“, lässt sie sich in der Pressemitteilung zum Album
       zitieren. Dafür tat sie sich erstmals mit Künstlerkolleg:Innen wie
       etwa dem britischen Avant-Popproduzenten Bullion (Nathan Jenkins) zusammen,
       der das Album auch produzierte.
       
       Bullion hat Emersons Stimme zum Signalinstrument gemacht, sie trägt alle
       Songs, begleitet von verspielten, treibenden Melodien, durch eine
       schillernde Synthesizer-Träumerei: So entsteht Dreampop, wie er im Buche
       steht, und doch durch die Songtexte und Singstimme von Emerson sehr
       eigensinnig wirkt.
       
       In den Texten navigiert sich die Künstlerin durch komplizierte Beziehungen
       („Sandrail Silhouette“) und macht sich im „Karaoke Song“ über belanglosen
       Smalltalk lustig: „What are you reading /How is your mom/ Where did the
       time go/I don't want to know/Not wondering what I don't know“. Dabei bleibt
       ihr Sound, selbst wenn die Texte zynisch oder düster, fast dystopisch
       werden, stets hoffnungsvoll und warm.
       
       Mitunter meint man gar die karge Wüstenlandschaft Arizonas aus den Texten
       herauszuhören, in der Emerson aufgewachsen ist. Auch wenn in der zweiten
       Hälfte der Tracks auf dem Album mehr elektronische Elemente auftauchen,
       bleibt die Stimmung der Musik sanft, fast ein wenig benebelt.
       
       Dem Album gelingt damit die schwierige Balance der Popmusik: Sie ist
       eingängig, ohne beliebig zu sein. Mit Avalon Emerson & The Charm hat sie
       etwas gänzlich Neues geschaffen, das dennoch unweigerlich vertraut, fast
       tröstlich wirkt. Auf ihrer anstehenden Tour wird sie live mit ihrer Frau
       Hunter Lombard und ihrem langjährigen Freund Keivon Hobeheidar auftreten.
       Eine feste Besetzung soll „The Charm“ jedoch nicht haben. Vielmehr ist eine
       fortlaufende, sich ständig verändernde Zusammenarbeit geplant.
       
       15 May 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Livia Lergenmüller
       
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