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       # taz.de -- Bundesliga-Relegation HSV-Stuttgart: Herr Walter macht die Wagenburg zu
       
       > Vor dem Duell gegen den VfB Stuttgart redet HSV-Trainer Tim Walter sein
       > Team stark. Das unglückliche Saisonfinale soll aus den Köpfen.
       
   IMG Bild: Hoffnungsraute: Tim Walter mit einer HSV-Fahne
       
       Tim Walter, 46, sitzt im Presseraum des Volksparkstadions und versprüht
       eine Mischung aus Vorfreude und Zuversicht. Knapp drei Tage sind seit dem
       Niederschlag von Sandhausen vergangen, als sich der HSV sechs Minuten wie
       ein Aufsteiger fühlen durfte. [1][Walter] soll beantworten, wie er seine
       Mannschaft aufbauen will: „Es geht nicht um die Frage, wie wir das
       hinbekommen. Wir haben es schon hinbekommen.“
       
       Walter ist kein begnadeter Rhetoriker. Wahrscheinlich sind diese Sätze im
       Moment geboren. Aber es sind Sätze, die einen Geschmack geben, warum seine
       Mannschaft für ihn durchs Feuer geht. Der Sorge, dem mentalen Stress der
       Relegation am Donnerstag und Montag (auf Sat.1) gegen den VfB Stuttgart zu
       unterliegen, haben Walter und Vorstand Jonas Boldt keinen Raum gelassen.
       
       Manchmal, nach bizarren öffentlichen Auftritten, kam die Frage auf: Will
       dieser Mann gar nicht gemocht werden?
       
       Er hat sich mit allen angelegt. Der gegnerischen Bank, dem Schiedsrichter,
       den Journalistinnen und Journalisten. Es gab Pressekonferenzen nach
       Spielen, in denen eine unsichtbare Mauer zwischen ihm und dem Kollegen
       wuchs. Tim Walter verhielt sich anmaßend, unhöflich, beleidigt. Es fiel ihm
       schwer, das Können anderer anzuerkennen. Er hat viel dafür getan, den
       Hamburger SV noch unbeliebter zu machen.
       
       ## Genau richtige Trainer
       
       Aber in den Tagen nach dem großen Drama von Sandhausen wirkt er wie der
       genau richtige Trainer für den HSV. Denn da ist doch eine Chance. Mit den
       mutigen Kittel, Jatta und Glatzel, mit einem Ludovit Reis im Mittelfeld,
       der ordnet und antreibt. Vor allem, weil diese Mannschaft intakt ist, weil
       Walter die Wagenburg geschlossen hält. Für ihn ist das Glas halb voll, und
       das hat er dem Team mitgegeben. Tim Walter sagt: „Ich kann nicht negativ
       denken und positiv handeln.“ Seine Spieler mögen ihn.
       
       Dabei ist diese vierte Relegation des HSV seit 2014 alles andere als ein
       Erfolg. Es ist kein Ruhmesblatt, mit einem Spieleretat von 22 Millionen
       Euro Dritter hinter Heidenheim und Darmstadt zu werden. Ganz anders als vor
       einem Jahr wirkt die Saisonverlängerung wie eine Strafe.
       
       Auf der anderen Seite haben 66 Punkte bislang nur einmal nicht zum direkten
       Aufstieg gereicht. Weder gab es im Frühling den krassen Einbruch wie unter
       Walters Vorgängern, noch ist dem HSV der waghalsige Offensivstil derart auf
       die Füße gefallen, dass er sich im Saisonendspurt mit Niederlagen gegen
       bereits Abgestiegene blamiert hätte, im Gegenteil: Zehn Punkte aus vier
       Partien waren Ausweis von Nervenstärke.
       
       ## Weniger Ballbesitzfußball
       
       Dass Walter seine Spielidee des kompromisslosen Ballbesitzfußballs, der nur
       den Weg nach vorn kennt, zuletzt angepasst hat, spricht für ihn. Plötzlich
       war der Aufbau per langem Ball erlaubt, zur Not auch der Befreiungsschlag
       auf die Tribüne. Der Ballbesitzanteil ist zurückgegangen, und es tat dem
       HSV gut, nicht immer in der spielgestaltenden Rolle zu sein. Zugegeben hat
       Tim Walter diese Justierung selbst auf Nachfrage nicht.
       
       Im Kern ist es ja gut, dass diese Mannschaft ihr Markenzeichen hat. Auch
       deswegen kommen mehr als 50.000 Fans ins Stadion. Die Unterstützung ist
       sowieso zauberhaft. 10.000 Anhänger reisten nach Sandhausen. Ein Satz fiel
       zuletzt häufig und blieb unwidersprochen: Das Beste an diesem HSV sind
       seine Fans. Immer wieder hat Walter sie gelobt. Da ist etwas gewachsen,
       entstanden.
       
       Zur Wahrheit vor der zweiten [2][Relegation] hintereinander im fünften
       Zweitligajahr gehört, dass es an Substanz fehlt. Ohne Mario Vušković, ohne
       die verletzten Noah Katterbach, Laszlo Benes und Andras Nemeth ist der
       Kader dünn gestrickt. Für das Rückspiel drohen Jonas David, Sonny Kittel
       und Robert Glatzel Gelbsperren. Es müsste schon sehr viel klappen, um die
       Stuttgarter Offensive abzuwehren; in Sachen Restverteidigung und
       Gegenpressing hat der HSV Nachholbedarf, um es sanft auszudrücken. Hinzu
       kommt, dass Walters Code entschlüsselt ist, dass selbst Mittelklasseteams
       der zweiten Liga wussten, wie ihm zu begegnen sei.
       
       Walter hat zuletzt das gemacht, was er am besten kann. Er hat seine
       Mannschaft stark geredet. Er hat den Glauben vermittelt, nach Rückschlägen
       wieder aufzustehen. Davon hat es einige gegeben, und letztlich war eine der
       Niederlagen in Karlsruhe, Kaiserslautern oder Magdeburg im April eine zu
       viel. Walter hat sich auch dort nie lange mit Negativem aufgehalten, eben
       so wenig hat er Verletzungen, Sperren oder [3][Vuškovićs Doping-Prozess]
       als Erklärung oder Ausrede verwendet, warum es seiner Mannschaft auswärts
       an Souveränität mangelte.
       
       An die Stelle einer Erläuterung setzte Tim Walter sein Mantra: „Wir sind
       der HSV. Wir gehen unseren Weg.“ Dafür lieben ihn viele Fans.
       
       1 Jun 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Frank Heike
       
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