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       # taz.de -- „Lärmblitzer“ am Kurfürstendamm: Lärmjagd mit Köpfchen
       
       > Berlin testet am Breitscheidplatz seinen ersten „Lärmblitzer“. Was aus
       > den gewonnenen Daten folgt, ist allerdings völlig offen.
       
   IMG Bild: Röhr, röhr: Der Lärmblitzer soll jetzt rausfinden, wer's war
       
       Berlin taz | Die Hydra war eine vielköpfige Schlange, deren Trick darin
       bestand, für jeden abgetrennten Kopf zwei neue nachwachsen zu lassen –
       Herkules hatte seine liebe Mühe damit. Die Köpfe der „Hydre“ sind dagegen
       erst auf den zweiten Blick zu erkennen: Es handelt sich um zwei Bündel
       Richtmikrofone, die sich hinter Gitterblenden verbergen. Das gesamte
       Konstrukt in Form eines länglichen Kastens, aus dem auch Kameraobjektive
       ragen, hängt an einem Mast gegenüber der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.
       
       „Arrête, arrête“, ruft ein Techniker seinem Kollegen zu, der die „Hydre“
       gerade justiert, „plus à gauche!“ Dass die beiden Französisch sprechen,
       liegt daran, dass sie das Gerät, das die Senatsmobilitätsverwaltung und die
       Technische Universität (TU) für acht Wochen von der Lärmschutzorganisation
       Bruitparif geliehen haben, punktgenau aus Paris angeliefert worden ist.
       Dort hat es zuletzt an einer Straße im 20. Arrondissement seinen Dienst
       getan.
       
       [1][Die „Hydre“ misst Lärm], und zwar sehr präzise. Sie ist in der Lage,
       besonders aktive Lärmquellen selbst in einer ohnehin schon lauten Umgebung
       zu identifizieren und Foto- sowie Videoaufnahmen davon zu machen. An
       Straßen hängt man sie auf, um Auto- oder Motorradfahrende dingfest zu
       machen, die ihr vielleicht sogar per Tuning angeschärftes Gefährt ohne
       triftigen Grund aufheulen lassen. Das ist in Deutschland zwar eine
       Ordnungswidrigkeit, die mit 80 Euro Bußgeld sanktioniert werden kann, aber
       die Täter zu erwischen, ist für die Polizei bislang extrem kompliziert.
       
       ## Laut auch ohne Raser
       
       Auf der anderen Straßenseite sagt die neue Mobilitätssenatorin Manja
       Schreiner (CDU) in die Mikrofone der Presse, dass Verkehrslärm Stress
       erzeuge, dass sie gespannt sei auf die Messresultate der „Hydre“, und dass
       Lärmblitzer – ein solcher nämlich ist die französische Innovation – künftig
       mehr Regelkonformität garantieren könnten. Sie muss laut reden, denn auch
       ohne Raser und Poser, die an dieser Stelle mutmaßlich besonders häufig
       unterwegs sind, ist die Geräuschkulisse beachtlich. Dabei macht der
       Straßenmusiker mit seinem Kochtopf-Schlagzeug ein paar Meter weiter
       freiwillig Pause.
       
       In Frankreich hoffe man noch in diesem Jahr auf die Zulassung des Geräts,
       sagt Raphael Coulmann von der Firma, die die „Hydre“ entwickelt hat. In
       sieben Städten sei sie bereits getestet worden, nun fehle das Votum der
       Prüfanstalt Laboratorie Nationale de métrologie et d'essais. „Strafzettel
       gibt es in Frankreich bis jetzt nicht.“
       
       In Berlin wird die Sanktionierung von Krachmachern wohl noch länger auf
       sich warten lassen. Jetzt werde erst mal getestet, sagt Senatorin
       Schreiner. Danach flössen die Erkenntnisse in den [2][Lärmaktionsplan ein,
       der 2024 neu aufgelegt werde]. Und dann? „Müssten wir eine Änderung der
       StVO in den Blick nehmen“, so die Senatorin, „und Gesetzgebungsprozesse
       dauern ja leider immer länger, als man denkt.“
       
       Blitzen wird der Blitzer übrigens nicht. Schon weil man nicht fördern
       wolle, dass Autofahrende das Gerät mit ihrem Gaspedal absichtlich
       auslösten, heißt es in der Senatsverwaltung. Eine Art „Hau den
       Lukas“-Effekt für Krachmacher, das fehlte Berlin gerade noch.
       
       31 May 2023
       
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