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       # taz.de -- Veterinäramt beendet Weideprojekt: Tote Kälber und offene Fragen
       
       > Ein Nabu-Weideprojekt steht in der Kritik. Zwei Kälber sind tot, aufgrund
       > unglücklicher Umstände, sagt der Nabu. Der Landkreis Leer sieht das
       > anders.
       
   IMG Bild: Eine Herde Heckrinder bei einem ähnlichen Weideprojekt
       
       Hannover taz | Die Bilder sind schwer zu ertragen: Ein Heckrind-Kalb liegt
       im Matsch zwischen nassem Stroh, versucht vergeblich auf die Beine zu
       kommen, immer wieder, bis es irgendwann erschöpft in einer Pfütze liegen
       bleibt, schon halbtot aussieht, aber noch atmet wie am Kräuseln der
       Wasserfläche zu erkennen ist.
       
       Es sind private Handy-Aufnahmen, die zunächst der Bild-Zeitung zugespielt
       wurden, [1][dann auch im NDR zu sehen waren.] Denn dieses Heckrind-Kalb
       verendet nicht auf irgendeiner Weide – sondern auf einer, die zu einem
       Weideprojekt des Naturschutzbundes (Nabu) in Ostfriesland gehört.
       
       Eine weitere Aufnahme – der Perspektive nach vermutlich mit Hilfe einer
       Drohne gefertigt – zeigt ein zweites Kalb, das lahmt und nicht mehr mit der
       Herde mitkommt. Beide Tiere müssen von einem Tierarzt von ihrem Leid erlöst
       werden.
       
       Im Landkreis Leer in Ostfriesland hat das hohe Wellen geschlagen. Das liegt
       vor allem daran, dass es nicht das erste Mal ist, dass dieses Nabu-Projekt
       in die Schlagzeilen gerät. [2][2008 waren hier zwölf Heckrinder
       verhungert,] weil sie auf dem verschlammten Gelände einsanken und nicht
       genügend zu fressen fanden. Auch bei Nabu-Projekten in anderen
       Bundesländern hatte es immer mal wieder Negativ-Schlagzeilen gegeben.
       
       ## Der Fall weckt Erinnerungen an ähnliche Skandale
       
       In diesem Fall hat der Landkreis nun offenbar die Reißleine gezogen,
       nachdem es in der vergangenen Woche noch hieß, man habe dem Nabu strenge
       Auflagen gemacht, hieß es am Freitag das Projekt solle eingestellt, die
       Heckrinder-Herde aufgelöst werden.
       
       Der Nabu betont, er habe bis heute keinen entsprechenden Bescheid erhalten.
       Überhaupt habe der Verband die Lektionen aus dem Skandal von 2008 gelernt
       und entsprechend nachgebessert. Die aktuellen Fälle seien aufgrund einer
       Verkettung unglücklicher Umstände zu Stande gekommen und hätten mit den
       Bedingungen von damals nichts zu tun.
       
       2008 war der Fall vor Gericht gelandet. Dem Nabu waren gravierende
       Haltungsfehler attestiert worden. Ein Geschäftsführer und zwei Mitarbeiter
       mussten gehen und wurden außerdem zu einer Geldstrafe verurteilt. Damals
       war nach einem extrem regenreichen Frühjahr der Ertrag der aufgeweichten
       Flächen überschätzt und nicht ausreichend zugefüttert worden.
       
       Das sei nun schon lange nicht mehr der Fall. Die Flächenbewirtschaftung sei
       so verändert worden, dass immer genügend trockene Ausweichflächen zur
       Verfügung stehen, auch sei den ganzen Winter über zugefüttert worden.
       
       Die Verletzungen der beiden Kälber sollen bei einem unglücklich verlaufenen
       Zusammentrieb entstanden sein. Man habe der Herde – wie vom Veterinäramt
       vorgeschrieben – Blutproben entnehmen wollen. Allerdings sei das durch
       starke Regenfälle vereitelt worden, sodass die Aktion abgebrochen werden
       musste. Beim Auseinandertreiben der Herde müssten sich die Kälber dann
       verletzt haben.
       
       ## Nabu spricht von Personalproblemen
       
       Zumindest das erste verletzte Kalb, das schon am 11. Mai, einen Tag nach
       dem Zusammentrieb eingeschläfert wurde, habe man auch im Blick gehabt und
       auf die Meldung vom zweiten Kalb am 21. Mai auch sofort reagiert.
       
       Auffällig ist allerdings: Auf dem Handyvideo sieht es so aus, als sei das
       Kalb sich selbst überlassen worden. Und die zweite Meldung ging beim
       Veterinäramt ein und kam nicht von den zuständigen Nabu-Mitarbeitern.
       
       Man habe, verteidigt sich der Nabu weiter, zur Zeit leider erhebliche
       Personalprobleme. Der zuständige Geschäftsführer hat schon im vergangenen
       Jahr gekündigt, seine Stelle konnte bisher nicht wieder besetzt werden.
       Außerdem sei ein weiterer Mitarbeiter ausgefallen und es sei schwierig,
       geeignetes Fachpersonal zu finden. Mittlerweile habe der Nabu aber
       personell aufgestockt und die Auflagen des Landkreises in dieser Hinsicht
       erfüllt. Zweimal täglich werde nun nach der Herde gesehen.
       
       Allerdings sei die Herde insgesamt zu groß geworden für die Fläche.
       Versuche sie zu verkleinern, scheitern bisher daran, dass der beauftragte
       Schlachter immer noch auf seine EU-Zertifizierung für die Weideschlachtung
       wartet. Die Vorschriften dazu seien neu und es habe eine Weile gedauert,
       bis man in Zusammenarbeit mit den Behörden geklärt habe, wie die
       entsprechenden Anträge und Konzepte denn überhaupt auszusehen hätten,
       erklärt der Nabu-Landesvorsitzende Holger Buschmann.
       
       Der Nabu geht bisher davon aus, dass der Rest der Herde in einem
       ordentlichen Zustand ist. Dem widerspricht das Veterinäramt: Es habe
       mehrere Tiere in unzureichendem Ernährungszustand angetroffen, auch seien
       Probleme beim Flächen- und Herdenmanagement offenbar geworden. Die Probleme
       hätten sich allerdings erst seit 2022 schleichend zugespitzt, in den 15
       Jahren zwischen dem ersten großen Skandal und jetzt habe es keine
       Beanstandungen gegeben.
       
       ## Alte Frontstellungen spielen eine Rolle
       
       Seitdem die Vorwürfe öffentlich wurden, geht es hoch her. So wurden dem
       Nabu in der vergangenen Woche Heu- und Silageballen vor die Geschäftsstelle
       gekippt, die Herden durch Drohnenüberflüge verschreckt und in der Nacht von
       Freitag auf Samstag sogar ein Weidegatter aufgebrochen. „Das ist wirklich
       gefährlich, die Tiere könnten auf die Straße laufen und für Unfälle
       sorgen“, sagt Buschmann.
       
       Dabei spielen womöglich auch alte Frontstellungen eine Rolle. Der
       „Friesische Verband für Naturschutz“, der die Tierschutzverletzungen
       öffentlich gemacht hat, setzt sich aus traditionellen Landwirten und Jägern
       zusammen. Bei denen sind die Sympathien für diese Art von Weideprojekten
       nicht sehr groß – auf der Webseite findet sich auch ein Videobeitrag aus
       2010, in dem mit [3][dem niederländischen Vorbildprojekt
       Oostvaardersplassen scharf ins] Gericht gegangen wird.
       
       Der Verband will auch nicht sagen, wie die Videos entstanden sind. Sie
       seien ihm zugespielt worden, sagt der Vorsitzende Hansjörg Heeren. In Folge
       der Veröffentlichungen habe er aber weitere Hinweise auf katastrophale
       Zustände auf den Weiden erhalten. Der Verband hat Anzeige erstattet und
       sich einen Anwalt genommen. Er will auf ein Tierhaltungsverbot hinwirken.
       Die CDU-Kreistagsfraktion in Leer hat sich diese Forderung schon zu eigen
       gemacht.
       
       4 Jun 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/Zwei-Kaelber-verendet-Landkreis-will-NABU-Weideprojekt-beenden,nabu482.html
   DIR [2] /Skandal-beim-Nabu/!5182679
   DIR [3] http://fvnj.eu/oostvardersplassen-neue-natur-oder-tierquaelerei-in-den-niederlanden/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nadine Conti
       
       ## TAGS
       
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