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       # taz.de -- BVB, Verfassungsschutz und Netflix: Vaterländische Flatulenz
       
       > Nemand fragt, wer künftig Scholz umarmt. Erdbeeren haben mehr Vitamin C
       > als Orangen. Und dann wären da noch die Borussen.
       
   IMG Bild: Walks alone: Olaf Scholz
       
       taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche? 
       
       Friedrich Küppersbusch: [1][Die 96. Minute im Westfalenstadion].
       
       Und was wird besser in dieser? 
       
       Wir können schweigen.
       
       Unser Inlandsgeheimdienst nennt sich Verfassungsschutz. Wie könnten wir
       Personenschützer nennen, die dafür verantwortlich sind, dass sich in
       Frankfurt ein Autofahrer mit seinem Privatwagen dem Konvoi von
       Bundeskanzler Olaf Scholz anschließen und diesen auf dem Rollfeld umarmen
       konnte? 
       
       Tendenziell arbeitslos. Die Behördenchefs bis rauf zur Innenministerin
       kündigen Konsequenzen an, also bei der Bundespolizei, zuständig für den
       Flughafen, und beim BKA, zuständig für die Bodyguards. Irgendwer hat nicht
       in den Rückspiegel geschaut, jemand anderes die Nummernschilder nicht
       kontrolliert. Aber niemand fragt, wer künftig Scholz umarmt und ihm einen
       guten Tag wünscht. Traurig.
       
       Account-Teilen wird teurer. [2][Netflix] will seine Umsatzeinbrüche mit
       Zusatzkosten für Nutzer*innen ausgleichen. Gehen Sie da mit? 
       
       Klassiker. Der Dealer gibt den ersten Schuss umsonst, und hängt man dran,
       wird’s teuer. Interessant, dass ein Standard-Abo plus 1 Gast haarscharf bei
       der öffentlich-rechtlichen Haushaltsgebühr landet, ein komfortableres
       Angebot deutlich drüber. Klar, Netflix ist kein Zwang, doch was alles gegen
       die ÖR-Gebühr polemisiert wird, läuft in diesem Vergleich schwungvoll ins
       Leere. Fernsehen kostet, Punkt. In den frühen TV-Jahren rüstete man sich
       mit Bier und Kartoffelsalat, um Nachbarn zu überfallen, die bereits ein
       Empfangsgerät hatten. Das hatte eine sehr vorübergehende soziale Wirkung.
       Mein Schwager könnte damit handeln inzwischen.
       
       [3][CDU und CSU möchten ein „Bundesprogramm Patriotismus“ einführen], das
       die Sichtbarkeit nationaler Symbole im öffentlichen Raum und den 3. Oktober
       als „verbindenden nationalen Erlebnismoment“ stärken soll. Ein Ziel: das
       „Integrationspotential“ von Patriotismus nutzen. Kann das funktionieren? 
       
       Ein auch in dieser Höhe verdientes 3 zu 0 gegen England; ein ausnahmsweise
       mal authentischer deutscher Beitrag zum ESC und ein paar pünktliche ICEs:
       Das täte mehr Wirkung als der 60er-Jahre-Souvenirshop von Friedrich Merz.
       Kohls 3. Oktober wie auch der zufällige 23. Mai als Verfassungstag sind
       nicht durchblutet, ein deutscher Schicksalstag wäre eher der 9. November.
       Kernsatz der vaterländischen Flatulenz ist die Warnung, das schlaaandige
       Potenzial „keinesfalls den gesellschaftlichen Rändern zu überlassen“.
       Hinterm patriotischen Schaum dräut Angst vor AfD und Linksnationalen wie
       Wagenknecht. Patriotismus entsteht, wenn es so okay läuft, dass man keinen
       braucht.
       
       Ist es Ihnen noch wichtig zu wissen, [4][wer nun die
       Nord-Stream-Gaspipeline hat explodieren lassen]? 
       
       Ja, wegen des Schwejk-Faktors. „Nach dem Krieg um halb sechs“ treffen sich
       alle Überlebenden im Wirtshaus und finden, Nord Stream war eigentlich eine
       gute Idee. Geboren in der Ära Jelzin, dessen knallkorrupte Oligarchie auch
       von den USA durchgefüttert wurde, auch mit klarem Blick auf gute Geschäfte
       mit russischem Gas und Öl. Nach Putin mag das dann wieder so sein.
       Regime-Change in Moskau ist ein Ziel der aktuellen Choreo, und ob nun
       westliche, russische, ukrainische Täter es waren: Es wird eine fein absurde
       Pointe werden, wenn es je rauskommt. So schimpft der Rohrspatz.
       
       Orangensaft wird immer teurer. Grund dafür sind schlechte Ernten in
       Brasilien, wo 90 Prozent der Orangen für Säfte angebaut werden. Auf welches
       Produkt auf O-Saft-Basis können Sie diesen Sommer verzichten? 
       
       Auf frisch erpressten. Menschenrechtsorganisationen schreiben von
       „Sklaverei-ähnlichen Arbeitsverhältnissen“ in den Herstellungsländern.
       Außerdem blicke ich bei „Konzentrat“, „auf Fruchtsaftbasis“ oder „hat schon
       mal von Ferne eine Orange gesehen“ nicht durch. Jetzt Erdbeerzeit – je nach
       Rücken selber pflücken, dabei auf den Schweinekapitalismus schimpfen und:
       die haben mehr Vitamin C als Orangen. Ätsch.
       
       Amsterdam hat zur Bewältigung seines Übertourismus-Problems ein Kiffverbot
       rund um den Stadtkern eingeführt – für Tourist*innen und Einheimische.
       Wäre das auch eine Idee für Dortmund oder Berlin? 
       
       Der Tag, an dem Dortmund ein Übertourismus-Problem angehen muss, möge
       kommen.
       
       Und was machen die Borussen? 
       
       Wir müssen nicht unentschieden spielen, wir sind es wirklich.
       
       Friedrich Küppersbusch ist Journalist, Produzent und überfußballt
       
       29 May 2023
       
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