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       # taz.de -- Annalena Baerbock in Saudi-Arabien: Pragmatismus am Golf
       
       > Der Besuch in Saudi-Arabien war für die Außenministerin nicht leicht. Das
       > Land ist ein schwieriger Partner – aber auch eine wichtige Regionalmacht.
       
   IMG Bild: Baerbock mit dem saudischen Außenminister Faisal bin Farhan am Montag in Dschiddah
       
       Berlin taz | Annalena Baerbock hat ihren Besuch in Saudi-Arabien beendet
       und ist am Dienstag nach Katar weitergereist. Die Visite war keine einfache
       für die grüne Ministerin, die sich eine wertegeleitete Außenpolitik auf die
       Fahnen schreibt. Der Zufall wollte es dann noch, [1][dass Amnesty
       International just am Dienstag neue Zahlen zur Todesstrafe vorlegte].
       Demnach hat sich die Zahl der Hinrichtungen in Saudi-Arabien 2022 von 65
       auf 196 verdreifacht. An nur einem einzigen Tag wurden 81 Menschen
       exekutiert.
       
       Doch die Menschenrechte in Saudi-Arabien spielten eine untergeordnete Rolle
       bei Baerbocks Besuch. Im Fokus der Reise stand der Krieg in Jemen. In der
       Rotmeerstadt Dschiddah traf sich die Außenministerin am Dienstag mit dem
       UN-Nothilfe-Koordinator im Jemen, David Gressley, sowie mit ihrem
       jemenitischen Amtskollegen Ahmed bin Mubaraka.
       
       Baerbock forderte einen Waffenstillstand und sprach von einem
       „Hoffnungsschimmer“, dass Bewegung in den Jemenkonflikt kommen könnte.
       Zuletzt hatten sich die Regionalmächte Saudi-Arabien und Iran einander
       angenähert.
       
       Saudi-Arabien ist aktive Kriegspartei in Jemen und neben Iran einer der
       wichtigsten Akteure in dem Land. 2015 hatte Riad im Rahmen einer
       Militärkoalition in den Krieg eingegriffen, doch seit einigen Jahren schon
       suchen die Saudis einen Ausweg aus dem kostspieligen Konflikt.
       
       ## Baerbock will „belastbare Kanäle“
       
       Deutschland lag 2022 mit rund 198 Millionen Euro auf Platz zwei der größten
       humanitären Geber für Jemen. Im Februar hat Deutschland weitere 120
       Millionen Euro für 2023 angekündigt. Zugleich ist Deutschland allerdings
       ein wichtiger Waffenlieferant Saudi-Arabiens. Dem Königreich werden im
       Jemenkrieg Menschenrechtsverstöße und Kriegsverbrechen vorgeworfen. Bei
       saudischen Luftangriffen in Jemen sind immer wieder Zivilist*innen
       getötet worden.
       
       Nicht nur das verdeutlicht, dass Saudi-Arabien zwar ein wichtiger, aber
       kein unproblematischer Partner ist. Ende 2018 hatte die [2][Tötung des
       Journalisten Jamal Khashoggi] Riads Beziehungen zu etlichen Ländern stark
       belastet. Die Große Koalition unter Merkel hatte als Reaktion die
       Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien weitgehend gestoppt. Die damalige
       Opposition, unter anderem die Grünen, hatten dahingehend Druck gemacht.
       Neben dem Fall Khashoggi wurde als Grund für den Exportstopp die saudische
       Rolle im Jemenkrieg angeführt.
       
       ## Rüstungsgüter für Saudi-Arabien
       
       Die rot-grüne Regierung unter Scholz machte 2022 dann allerdings starken
       Gebrauch von Ausnahmeregelungen und genehmigte die Lieferung von
       Rüstungsgütern im Wert von 44,2 Millionen Euro nach Saudi-Arabien –
       deutlich mehr als in den vergangenen Jahren und so viel wie seit 2018 nicht
       mehr.
       
       Die Führung in Riad ihrerseits will einen Schlussstrich unter die
       Verwerfungen der Vergangenheit ziehen und tut sich aktuell als
       einflussreiche Regionalmacht hervor. Zuletzt hatte Saudi-Arabien nach
       Ausbruch des Kriegs in Sudan die [3][Evakuierung von rund 8.000 Menschen
       nach Dschiddah] unterstützt.
       
       Auch haben die sudanesischen Kriegsparteien unter saudischer Vermittlung in
       Dschiddah Gespräche geführt. „Saudi-Arabien macht seinen Einfluss geltend,
       Lösungen für die Krisen in der Region zu finden. Das macht Saudi-Arabien zu
       einem Partner, zu dem wir belastbare Kanäle brauchen“, hieß es anlässlich
       der Golfreise Baerbocks aus dem Auswärtigen Amt.
       
       ## Auf Baerbock folgt Assad
       
       Um nicht nur Realpolitik zu betreiben, besuchte Baerbock am Montag denn
       auch noch das neue [4][Kulturzentrum Hayy Jameel] in Jeddah, das auch mit
       dem Goethe-Institut zusammenarbeitet. Das Treffen mit der Kreativszene, die
       in Saudi-Arabien im Rahmen der von oben gesteuerten Öffnung des Landes
       aktuell boomt, sollte offenbar verdeutlichen, dass man in Saudi-Arabien
       auch die Zivilgesellschaft und die Menschenrechte im Blick behalte.
       
       In Dschiddah steht als Nächstes ein Gipfel der Arabischen Liga an, der am
       Freitag beginnt. Erstmals seit Ausbruch des Syrienkriegs 2011 und der
       Suspendierung des Landes aus der Liga ist zu diesem Gipfel auch wieder
       Machthaber und Kriegsverbrecher Baschar al-Assad eingeladen.
       
       Bemerkenswert waren Baerbocks Kommentare zum Thema bei einer
       Pressekonferenz in Dschiddah am Montag: Sie sprach sich gegen eine
       „bedingungslose Normalisierung“ aus, zeigte zugleich aber Verständnis für
       die Politik der arabischen Staaten. „Wenn ich mich in die Haut der Nachbarn
       versetze, kann ich verstehen, dass sie sagen, es kann nicht so weitergehen,
       dass wir sagen, die Lage ist unerträglich und dann passiert weiter nichts.“
       
       In Katar will Baerbock nun bis Mittwoch Gespräche führen. Neben
       regionalpolitischen Themen sind auch Gespräche zum Thema
       Arbeitnehmer*innen-Rechte geplant, das vor und während der
       Fußballweltmeisterschaft in Katar im letzten Jahr für Schlagzeilen gesorgt
       hatte.
       
       16 May 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Todesstrafen-in-Iran/!5931888
   DIR [2] /Saudischer-Journalist-in-Istanbul/!5541418
   DIR [3] /Krieg-in-Sudan/!5928480
   DIR [4] https://twitter.com/GermanyinKSA/status/1658187697339392031?s=20
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jannis Hagmann
       
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