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       # taz.de -- Neue Ampeln: Countdowns für ein besseres Berlin
       
       > Mit Ampeln, die anzeigen, wie viel Zeit bis zur Rotphase bleibt, will der
       > Senat den Verkehr verbessern. Solches Runterzählen eignet sich auch gut
       > für andere Politikfelder.
       
   IMG Bild: Jetzt aber schnell: Die Streifen in der Ampel zeigen an, wie lange die Autos noch rot haben
       
       BERLIN taz | Dass die Senatsverwaltung für Verkehr nun Ampeln mit ein- und
       ausblenden Streifen installieren will, sorgt in Berlin für Diskussionen.
       Die Streifen zeigen wie in einem Countdown an, wie viel Zeit
       Fußgänger*innen bleibt, bis die Autos wirklich Grün haben. Unnötig und
       zu teuer, heißt es zu der Maßnahme von Kritiker*innen. Wir finden: Der
       Senat sollte nicht bei den Ampeln stehen bleiben, das Konzept lässt sich
       hervorragend auf andere Berliner Probleme ausweiten.
       
       ## Autos verbannen
       
       Damit die Verkehrswende gelingen kann, braucht es [1][vor allem weniger
       Autos]. Die Rechnung ist ganz einfach: jedes Auto in der Stadt, ob fahrend
       oder parkend, nimmt ein Stück vom bekanntlich nur begrenzt verfügbaren
       Platz in der Stadt weg. Platz, der für neue Radwege, begrünte
       Flaniermeilen, Fahrradparkplätze, Sitzplätze, Hochbeete und alles andere,
       was das städtische Leben schön macht, genutzt werden kann. Deswegen wollte
       der nun abgewählte Senat im Mobilitätsgesetz die Zahl der Autos in der
       Stadt deutlich reduzieren. Der [2][neue Senat hingegen will mit seiner als
       „Mobilität für alle“ getarnten Autopolitik] diese Ziele sabotieren. Quasi
       als erste Amtshandlung ordnete die Verkehrssenatorin eine Überarbeitung des
       Gesetzes an. Ein Countdown an jeder Ampel mit der Zahl der zugelassenen
       Autos in Berlin, die im Übrigen jährlich steigt und nicht sinkt, könnte
       allen Fußgänger:innen klarmachen, für wen Schwarz-Rot Verkehrspolitik
       macht. Jonas Wahmkow
       
       ## Obdachlosigkeit abschaffen
       
       Eine etwas kompliziertere Countdown-Uhr brauchen wir für das Thema
       „Obdachlosigkeit abschaffen bis 2030“. Diesem hehren EU-Ziel hat sich auch
       Berlin verpflichtet – aber der Weg dahin ist noch weit, wie eine solche Uhr
       – aufgestellt zum Beispiel am Hansaplatz – uns täglich ins Bewusstsein
       rufen könnte. Die Uhr müsste zum einen die Zeit einberechnen, die uns noch
       bleibt: exakt 2.392 Tage (ab diesem Donnerstag gerechnet bis zum Stichtag
       1.1.2030) – und sie in Beziehung setzen zur je aktuellen Zahl der
       Obdachlosen. Das Problem: So ganz genau weiß das bekanntlich niemand. Es
       gab im [3][Januar 2020 eine Zählung mit dem überraschend niedrigen Ergebnis
       von rund 2.000 Menschen]. Nicht einberechnet waren dabei allerdings die
       Menschen, die in staatlichen Einrichtungen für Wohnungslose untergebracht
       sind, vor allem in Flüchtlingsunterkünften und Wohnungslosenheimen –
       Letztere sind in Berlin als Asog-Unterkünfte bekannt. Bekanntlich platzen
       beide Kategorien derzeit aus allen Nähten, sodass Obdachlose auch in
       Pensionen, Hostels und Ähnlichem untergebracht sind – aber darüber gibt es
       gleich gar keine Zahlen. Wir rechnen also grob: Derzeit leben 31.657
       geflüchtete Menschen in regulären Unterkünften des Landesflüchtlingsamts,
       [4][dazu rund 2.800 im Ankunftszentrum Tegel]. Dazu rechnen wir noch rund
       11.000 Plätze in Asog-Unterkünften der Bezirke. Gehen wir – völlig
       unrealistisch – davon aus, dass bis 2030 keine neuen Wohnungslosen – ob
       geflüchtet oder nicht – hinzukommen, geht die Rechnung so: Es gibt 45.457
       Obdachlose, die in spätestens 2.392 Tagen mit einer Wohnung versorgt werden
       müssen. Die Obdachlosen-Zähluhr müsste also jeden Tag 19,0037625
       runterzählen, das wären 19 Menschen täglich, die eine Wohnung bekommen,
       damit sie am Stichtag 1.1.2030 auf null wäre. Susanne Memarnia
       
       Wieder wählen 
       
       1.201 Tage noch maximal, dann ist es vorbei mit Schwarz-Rot, formal
       zumindest. Oder, weil das nach weniger klingt: 1.200 und der Rest von
       heute. Dann endet nämlich, falls das erst Ende April geformte neue
       Regierungsbündnis nicht vorher platzt, die gegenwärtige Wahlperiode des
       Abgeordnetenhauses. Die begann mit [5][der inzwischen wiederholten Wahl vom
       26. September 2021], dauert fünf Jahre und wird mit einer für den 27.
       September 2026 anzunehmenden regulären Neuwahl beendet sein. Eine große Uhr
       am Roten Rathaus könnte die Tage runterzählen. Die Wahlwiederholung im
       jüngsten Februar, so hatte es das Berliner Verfassungsgericht im Spätherbst
       entschieden, änderte an dieser Laufzeit nichts. Beendet ist Schwarz-Rot
       dann auch, weil [6][der Koalitionsvertrag – „Das Beste für Berlin“] –
       gleichfalls bis 2026 begrenzt ist. So weit die gute Nachricht für alle, die
       nicht zu den Anhängern der CDU, der SPD, [7][Kai Wegners], Franziska
       Giffeys oder einer Koalition ihrer Parteien gehören. Die schlechte heißt:
       Neue Wahlperiode, neues Koalitionsglück – nach der Wahl 2026 könnten
       Berlins Christ- und Sozialdemokraten natürlich eine neues Bündnis für
       weitere fünf Jahre vereinbaren. Stefan Alberti
       
       ## Lehrer*innen einstellen
       
       Der Lehrer*innen-Countdown zählt nicht die Tage, sondern den Rückgang der
       freien Pädagog*innen-Stellen. Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch
       (CDU) [8][geht von rund 1.500 Vollzeitstellen aus], die in Berlin zum
       kommenden Schuljahr an den Schulen fehlen werden. Wie sich der Countdown
       entwickelt, der an den Schuleingängen immer aktuell angezeigt werden
       könnte, wird schwer abzusehen sein. Denn [9][vermutlich wird es mehr als
       1.500 Personen brauchen], um auf null zu kommen. Weil: viele
       Lehrer*innen arbeiten Teilzeit. Uta Schleiermacher
       
       ## Volksentscheid umsetzen
       
       Der Countdown der Galgenfrist für Vonovia, Covivio und Co. zählt die Tage
       seit dem erfolgreichen Enteignungs-Volksentscheid. An diesem Mittwoch
       [10][steht er bereits bei 627 Tagen], die seit der Abstimmung am 26.
       September 2021 vergangen sind. 627 Tage, in denen die [11][Luft für die
       Spekulanten nicht wirklich dünner geworden ist]. Immerhin, ein nächster
       Meilenstein steht an: Noch in diesem Monat wird die Expertenkommission ihre
       Ergebnisse vorlegen, wie die Enteignung verfassungskonform vonstatten gehen
       kann. Die Hoffnung, dass der Countdown in absehbarer Zeit gestoppt werden
       kann, will Schwarz-Rot aber nicht befeuern. Ein öffentlicher Countdown,
       auch als Urteil über den undemokratischen Umgang der Regierenden mit dem
       Volkswillen, wäre also angebracht. Als Leuchtschrift-Banderole um die
       Kuppel des Fernsehturms. Erik Peter
       
       ## Klimaneutral werden
       
       Berlin [12][klimaneutral 2030? Das war das Ziel des im März gescheiterten
       Volksentscheids] – Schwarz-Rot peilt nach eigenen Angaben 2040 an. Um
       dieses für eine nicht gerade dem Schoß der Klimabewegung entsprungene
       Koalition recht vollmundige Versprechen optisch einzufordern, bietet sich
       ein Klimabudget-Countdown zum an: eine CO2-Uhr, wie sie das
       Mercator-Institut MCC betreibt und die auch auf den [13][taz-Seiten lautlos
       tickt]. Wie genau man sie für Berlin stellt, müsste man noch ausrechnen –
       der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) nimmt jedenfalls für ganz
       Deutschland an, dass beim 2040er Ziel jedes Jahr linear 5,4 Prozent weniger
       Kohlendioxid ausgestoßen werden müssen. Würde Berlin seine Reduktionsziele
       nicht schaffen, liefe die Uhr also immer schneller. Vorschlag: Im Roten
       Rathaus über dem Ausgang anbringen und mit einem Schließmechanismus
       verbinden. Dann muss der Senat eben so lange drin sitzen bleiben, bis das
       Tempo wieder stimmt. Claudius Prößer
       
       14 Jun 2023
       
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       Fußgänger*innen. Ein Spaziergang mit Hindernissen in Berlin-Mitte.