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       # taz.de -- Ferda Ataman zu #MeToo am Arbeitsplatz: „Unnötig schwer, sich zu wehren“
       
       > Sexuelle Übergriffe werden viel zu oft bagatallisiert, sagt die
       > Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes. Die Zahl der gemeldeten Fälle
       > nehme zu.
       
   IMG Bild: Ferda Ataman, Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes
       
       taz: Frau Ataman, wenn heute ein Fall von Machtmissbrauch, sexueller
       Belästigung oder Nötigung vor Gericht landet, kriegt der schnell den
       [1][Stempel #metoo]: #metoo bei der Polizei, in der Uni, in den
       Fahrschulen. Man könnte den Eindruck gewinnen, Gerichte verhandeln heute
       viel häufiger solche Fälle. Ist das so? 
       
       [2][Ferda Ataman]: Das ist schwer zu sagen, weil wir in Deutschland keine
       systematische Erfassung solcher Prozesse haben – weder im Strafrecht noch
       im Arbeitsrecht. Sexuelle Belästigung kann beide Rechtsbereiche betreffen.
       Sexuelle Nötigung wie im aktuellen Fall in Baden-Württemberg ist Strafrecht
       und zählt zu den besonders krassen Fällen, die mit körperlichen Berührungen
       einhergehen und nicht zwingend mit dem Arbeitsplatz zu tun haben müssen,
       anders als im Arbeitsrecht. Hier gilt: Der Arbeitgeber muss seine
       Beschäftigten vor Belästigung schützen, und dazu zählt jedes sexualisierte
       Verhalten, das von der betroffenen Person nicht erwünscht ist. Das können
       auch anzügliche Blicke oder pornografische Bilder an der Wand sein. Wir
       wissen, dass die Zahl der gemeldeten Fälle in beiden Bereichen zunimmt, das
       sehen wir an der Zahl der Anzeigen und der gemeldeten Fälle von
       Diskriminierung an die Antidiskriminierungsstelle. Insbesondere im
       Arbeitsrecht sind Urteile aber weiterhin eher selten. Wenn es überhaupt
       Verfahren gibt, dann enden sie oft in Vergleichen.
       
       Hat die gesellschaftliche Debatte um #metoo Auswirkungen auf die
       Rechtsprechung? 
       
       In Deutschland wird sexuelle Belästigung leider noch viel zu oft
       bagatellisiert. #metoo hat auf jeden Fall dazu beigetragen, dass heute viel
       intensiver über sexuelle Belästigung gesprochen wird. Und ich habe den
       Eindruck, dass immer mehr Betroffene Belästigung nicht mehr hinnehmen. In
       der Rechtsprechung wird sich das eines Tages hoffentlich auch
       niederschlagen. Allerdings müssten wir dafür erst einmal dafür sorgen, dass
       es leichter wird, gegen Diskriminierung vorzugehen.
       
       Ist es für Betroffene von sexueller Belästigung durch #metoo nicht bereits
       einfacher geworden, dagegen vorzugehen? 
       
       Nur im Strafrecht, wenn es um Nötigung geht. Da sind die Hürden seit 2016
       etwas niedriger. Hier gilt endlich der Grundsatz „Nein heißt nein“. Aber
       das betrifft leider nur die besonders krassen Fälle, in denen „sexuelle
       Handlungen an einer anderen Person“ vorausgesetzt werden, also körperliche
       Berührung. Frauen, die davon betroffen sind, sollten solche Fälle bei der
       Polizei anzeigen. Die ist verpflichtet, zu ermitteln.
       
       Und beim Arbeitsrecht? 
       
       Da hat sich seit #metoo überhaupt nichts getan. Obwohl sexuelle Belästigung
       schon viel früher anfängt als bei Berührungen. Auch sexistische Bemerkungen
       und Bilder sind inakzeptabel, wenn sie jemanden stören. Das Allgemeine
       Gleichbehandlungsgesetz, unser Antidiskriminierungsrecht, ist da durchaus
       modern und erkennt das an. Aber sich gegen sexuelle Belästigung zu wehren,
       ist unnötig schwer. Zum einen sind die Fristen absurd kurz. Betroffene
       müssen bereits innerhalb von zwei Monaten Ansprüche geltend machen. Zum
       anderen tragen sie das Prozessrisiko vor Gericht alleine – und sie klagen
       ja gegen ihren eigenen Arbeitgeber. Besser wären ein Verbandsklagerecht und
       Klagemöglichkeiten für die Antidiskriminierungsstelle, um Betroffene besser
       vor Gericht unterstützen zu können. Und längere Fristen: Wir haben immer
       wieder Fälle, in denen wir sagen müssen, es ist leider zu spät für eine
       Klage.
       
       Viele Fälle von sexueller Belästigung landen gar nicht erst vor Gericht,
       dafür aber bei Ihnen. Wenden sich seit #metoo mehr Menschen wegen sexueller
       Belästigung am Arbeitsplatz an Ihr Beratungsteam? 
       
       Ja, eindeutig. Wir hatten im vergangenen Jahr 224 Anfragen zum Thema, vor
       #metoo im Jahr 2016 waren es nur 107 Anfragen. Aber das sind trotzdem wenig
       Fälle, wenn Sie bedenken, dass Umfragen zufolge 13 Prozent der Frauen davon
       berichten, sexuelle Belästigung erlebt zu haben. Ich kann einerseits gut
       nachvollziehen, dass viele Frauen sich scheuen, über Belästigungsfälle zu
       sprechen. Aber ich kann allen Betroffenen nur empfehlen, sich juristische
       Beratung zu holen. Sexuelle Belästigung ist verboten und niemand muss sich
       das gefallen lassen.
       
       Die [3][#metoo-Bewegung ging vom Kulturbetrieb aus], strahlte aber in viele
       andere Branchen hinein. In welchen Branchen wehren sich Menschen eher gegen
       sexuelle Belästigung – und in welchen nicht? 
       
       Interessanterweise gibt es hier kaum Unterschiede. Sexuelle Belästigung
       kommt überall vor, ob in der Sterneküche, der Bank oder bei der
       Stadtreinigung, und eben auch im vorgeblich so zivilisierten Kulturbetrieb.
       
       Wie viel bringen Gesetze und Anlaufstellen, wenn sich die Betroffenen aus
       Angst um ihren Job nicht trauen, Beratung in Anspruch zu nehmen oder gar zu
       klagen? 
       
       Natürlich müssen wir auch über Machtmissbrauch sprechen. Aber erst mal
       gilt: Wir brauchen Gesetze, um Menschen in solchen Fällen zu helfen. Im
       Kulturbetrieb gilt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz oft gar nicht,
       weil es nur im Angestelltenverhältnis gilt und viele freischaffend sind
       oder kurzfristig beschäftigt. Auch das müsste die Bundesregierung bei der
       AGG-Reform angehen. Selbstständige sollten in Zukunft gegen sexuelle
       Belästigung vorgehen können.
       
       15 Jun 2023
       
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