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       # taz.de -- Inflation in Österreich: Wiener Anti-Armuts-Paket
       
       > Die hohen Lebensmittelpreise setzen die Regierung in Wien unter Druck.
       > Weil sie sich nicht auf Reformen einigen kann, gibt es nun
       > Einmalzahlungen.
       
   IMG Bild: Die FPÖ/ÖVP-Koalition hat armutsgefährdete Kinder entdeckt: Bis Ende 2024 gibt es mehr Geld
       
       Wien taz | Mehr Geld für armutsgefährdete Kinder und Alleinerziehende soll
       die [1][Folgen der hohen Inflation] in Österreich dämpfen. Kommen soll es
       aus einem zusätzlichen Anti-Teuerungspaket, das Sozialminister Johannes
       Rauch (Grüne) und Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) am Dienstag
       vorgestellt haben. 500 Millionen Euro wird es kosten.
       
       Die neuen Maßnahmen sollen die in der vergangenen Woche präsentierten
       ergänzen. Da ging es um das Einfrieren von Bundes- und Gemeindegebühren wie
       für die Ausstellung von Pässen oder die Müllabfuhr, außerdem um die
       Abschöpfung von [2][Übergewinnen der Energiekonzerne] und größere
       Transparenz bei der Gestaltung von Lebensmittelpreisen. Für eine staatliche
       Regulierung von Preisen für Grundnahrungsmittel waren die Supermarktketten
       nicht zu gewinnen.
       
       Die Inflationsrate in Österreich liegt mit zuletzt 9,7 Prozent im
       europäischen Spitzenfeld. Lebensmittelpreise sind noch stärker gestiegen
       und setzen die Regierung unter Druck. Ein schlecht vorbereiteter
       „Lebensmittelgipfel“ in der vergangenen Woche endete ohne jedes konkrete
       Ergebnis und wurde für Minister Rauch zum PR-Desaster.
       
       ## Wieder ein Koalitionskompromiss
       
       Wenige Tage später folgte das erste Paket, das als typischer Kompromiss
       zwischen den Koalitionspartnern gesehen wird. Alles was nach Besteuerung
       von Vermögen oder Reichensteuer riecht, wird von der ÖVP reflexartig
       abgelehnt. Also wird viel Geld für wenig inflationsdämpfende
       Einmalzahlungen ausgegeben. SPÖ und FPÖ drängen in seltener Einigkeit
       darauf, die aktuell 10 Prozent betragende Umsatzsteuer auf Lebensmittel zu
       senken oder abzuschaffen. Wirtschaftsexperten wie Christoph Badelt,
       Präsident des Fiskalrates und Regierungsberater, sehen dabei aber
       nachhaltig zu hohe Kosten für den Fiskus.
       
       Das Ergebnis sind nun also Sonderzahlungen für Personen, die
       Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, Sozialhilfe oder Ausgleichzulage
       beziehen. Letztere bekommen Leute mit zu geringen Renten oder Löhnen.
       Alleinerziehenden werden bis Ende 2024 pro Kind und Monat zusätzlich 60
       Euro überwiesen. Für besonders armutsgefährdete Familien mit Schulkinder
       gibt es zweimal jährlich Gutscheine im Wert von 150 Euro statt wie bisher
       120. Der Topf für Gratis-Nachhilfeunterricht wird um zehn Millionen
       aufgestockt. „Anfang 2024 erfolgt dann die reguläre Erhöhung der
       Sozialhilfe in Höhe der Inflation“, kündigte Sozialminister Rauch an.
       
       ## Mindestsicherung vs Sozialhilfe
       
       Kritik der Opposition und in sozialen Medien erfolgte umgehend. Andi
       Babler, einer der drei Kandidaten für den SPÖ-Vorsitz, twitterte: „Die 60€
       fließen direkt in die Gewinne der Immo- und Lebensmittelbranche, die mit
       den steigenden Preisen Profite machen. Armutsbetroffene geben anteilig am
       Einkommen am meisten für Wohnen und Essen aus. Die Regierung muss endlich
       die Mieten und Lebensmittelpreise senken.“ Immerhin sah Armutsexperte
       Martin Schenk von der evangelischen Diakonie richtige Ansätze: „Die
       Maßnahmen kommen regelmäßig, automatisiert und sind sozialstaatlich
       eingebettet – da ist immer der bessere Ansatz.“ Er vermisste aber eine
       „grundlegende Reform der schlechten Sozialhilfe und eine Verbesserung der
       Arbeitslosenversicherung“.
       
       Die ÖVP-FPÖ-Regierung hatte 2019 die bedarfsorientierte Mindestsicherung
       durch eine Sozialhilfe ersetzt. Die ist nicht nur bürokratischer, sondern
       deckt auch die wahren Kosten sozial bedürftiger Menschen nicht ab.
       Vergeblich setzen sich die Grünen innerhalb der Koalition zumindest für
       [3][eine Grundsicherung für Kinder] ein. Auch eine Deckelung der zuletzt
       stark angestiegenen Mieten war mit der ÖVP nicht zu machen.
       
       17 May 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Leonhard
       
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