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       # taz.de -- Der Hausbesuch: Sie retten auch Katzen
       
       > Wenn die Warnmelder heulen, sprinten Wiebke Zimmer und Tobias Stöckl aus
       > Mannheim los. Die Feuerwehr liegt ihnen am Herzen – und sie sich auch.
       
   IMG Bild: Die Katzen bekommen nach einem Feuerwehreinsatz extra Kuscheleinheiten
       
       Wiebke Zimmer und Tobias Stöckl sind beide in der Freiwilligen Feuerwehr.
       Das Ehrenamt lehrt sie, auch in ihrem Alltag verantwortungsvoll zu handeln.
       
       Draußen: Autos rasen auf der Neckarauer Straße in Mannheim an einem
       Supermarkt und einer Tankstelle vorbei. Gegenüber steht Mannheims
       Hauptfeuerwache. Die Kurzwahl „112“ prangt rot und gut sichtbar am Gebäude.
       Früher wurden in den Hallen auf dem Gelände Eisenbahnbedarf und Maschinen
       zum Straßenbau produziert. Heute parken dort Feuerwehrwagen. [1][Brennt es,
       schwärmen innerhalb von wenigen Minuten die Leute der Freiwilligen
       Feuerwehr in ihren Einsatzfahrzeugen aus.] Häufig sind Wiebke Zimmer und
       Tobias Stöckl dabei. Sie wohnen nahe der Hauptfeuerwache.
       
       Drinnen: Wer über die Schwelle der Wohnung im ersten Stock tritt, dem
       springen die Katzen Luca und Lanza entgegen. Manchmal klettern sie sogar
       auf die Schultern von Fremden. „Das sind Schulterkatzen“, sagt Zimmer.
       Neben der Freiwilligen Feuerwehr betreibt das Paar die Kampfsportart Viet
       Vo Dao und fotografiert Insekten. Eine rote Mauerbiene, eine Wolfs- und
       Zebraspringspinne, ein Einsiedlerkrebs, eine gemeine Feuerwanze: Die
       Nahaufnahmen hängen an den Wänden des Wohnzimmers, versehen mit
       Beschriftungen auf hölzernen Schildchen. In der Küche steht ein
       Feuerlöscher mit Wassernebel. Den hat Tobias Stöckl angeschafft.
       
       Auf Abruf: Der Bereitschaftsdienst der Freiwilligen Feuerwehr macht das
       Paar zu einem Duo auf dem Sprung. [2][Schlägt der Alarm an], heulen vier
       Geräte auf: zwei Smartphones und zwei Melder. Dann unterbrechen Stöckl und
       Zimmer ruckartig ihren Alltag, schwingen sich auf ihre Räder und düsen zur
       Hauptfeuerwache. Zwei bis drei Minuten dauert das. Manchmal wird dann das
       Abendessen kalt. Das sei „der Klassiker“, sagt Wiebke Zimmer. „Besonders
       wenn man richtig Hunger hat.“ Teils sei aber auch „ein Abwägen des höheren
       Gutes“ notwendig. Alkoholisiertheit, Krankheit, Aufsichtspflicht. „Wenn ich
       eine Jugendgruppe der Feuerwehr betreue, komme ich nicht“, sagt Zimmer.
       Eine App zeigt an, wer sich bereits auf dem Weg zur Feuerwache befindet.
       Generell, sagt Stöckl, gelte: „Lieber ein Mal zu viel die Feuerwehr
       anrufen, als ein Mal zu wenig.“ Kürzlich sind beide in ihrem Ehrenamt
       befördert worden. Zimmer, die Biotechnologie im Master studiert hat, ist
       nun Hauptfeuerwehrfrau, Stöckl Hauptlöschmeister.
       
       Atmen und Löschen: Essenziell sei, „eigene Luft“ mitzubringen, sagt Zimmer.
       „Das Gefährlichste beim Feuer ist fast immer der Brandrauch.“ Der sei
       giftig. Wenn es brennt, ist die Berufsfeuerwehr meistens schon vor Ort,
       erst danach kommen die Freiwilligen. Das passiert, wenn der Brand besonders
       groß ist. Die Einsätze machen Stöckl und Zimmer demütig, schaffen
       Bewusstsein für das, was potenziell verloren gehen könnte. Einmal, sagt
       Zimmer, habe sie während eines Brandeinsatzes vor einem Klavier gestanden.
       „Meine Eltern besitzen auch eins. Das hat mich sehr daran erinnert.“ Alles
       zu verlieren, das gehe schnell. „Wir fühlen mit den Leuten mit“, sagt
       Stöckl. Teilweise müssen auch Katzen gerettet werden. Nach solchen
       Einsätzen bekommen die Stubentiger Luca und Lanza eine extra Portion
       Kuscheleinheiten.
       
       Katzen retten: Tierrettungseinsätze gehören zu den Pflichtaufgaben der
       Feuerwehr. Einmal, an einem Tag im Oktober 2021, hat Zimmer eine Katze aus
       einem verrauchten Familienhaus geholt. Zimmer findet sie verängstigt und
       zerzaust in einem ausgebauten Keller, verkrochen unter einem Bett. Fauchen,
       Kratzen, keine Spur von Dankbarkeit, als Zimmer die Katze aus dem Rauch
       holt und an einen sicheren Ort bringt. „Die hat sich beschwert“, sagt
       Stöckl, der ebenfalls dabei war. „Laut heulend.“ Ein Vorteil dicker
       Einsatzkleidung: Die schützt nicht nur vor Feuer, sondern auch vor scharfen
       Krallen. Für Zimmer ist diese Kleidung so etwas wie eine zweite Haut
       geworden.
       
       Neuzugang: Mit 16 Jahren tritt Wiebke Zimmer in die Jugendfeuerwehr ein,
       gemeinsam mit ihrem zwei Jahre jüngeren Bruder. „Das war eher Zufall“, sagt
       Zimmer. „Meine Mutter hatte ein Gespräch mit dem Stadtbrandmeister.“
       [3][Der erzählt von Nachwuchsbedarf in der Jugendfeuerwehr] und vom
       Training, das immer dienstags stattfindet. Also schaut Zimmer bei der
       Freiwilligen Feuerwehr vorbei – und bleibt. Was für Wiebke Zimmer eine neue
       Dimension des Wirkens und Werdens bedeutet, ist bereits Teil von Tobias
       Stöckls Leben. Blaulicht, Übungseinsätze, Ausschusssitzungen und „auf Abruf
       sein“ gehören zu seinem Alltag. Als Ausbilder und Jugendwart der aktiven
       Mannschaft hat Stöckl die Verantwortung für die Jugendgruppe seiner
       Abteilung; für seine „Schützlinge“, wie er gerne sagt. Zu dieser gehören
       damals auch Wiebke Zimmer und ihr Bruder.
       
       Altersunterschied: Tobias Stöckl erzählt von ihrem Kennenlernen und von dem
       Moment, als er sich eingesteht, dass er Gefühle für Wiebke Zimmer hat. Dem
       Eingeständnis folgt eine Welle moralischer Bedenken und Selbstvorwürfe. Es
       ist der Altersunterschied von zehn Jahren, der Hierarchien schafft. Stöckl
       weiß um die Verantwortung, die damit einhergeht. Er erzählt von den
       Zweifeln, dem Abwägen, dem Hinterfragen seiner eigenen Position und dem,
       was er fühlt. Geraume Zeit vertraut er sich niemandem an. Er habe gegen
       Ende „sehr lange gestrampelt“, sagt er und meint damit das letzte halbe
       Jahr vor seiner Offenbarung. Das mulmige Gefühl löst sich erst mit Zimmers
       Volljährigkeit. Sie wechselt in die aktive Mannschaft, wird selbst
       Jugendbetreuerin. Dadurch glätten sich die Hierarchien zwischen beiden –
       zumindest ein bisschen. An einem Dienstagabend, nach dem Treffen der
       Jugendgruppe, gibt sich Stöckl „einen Ruck“ und macht seine Gefühle
       gegenüber der ahnungslosen Wiebke Zimmer transparent.
       
       Kaltstart: „Ich glaube, du warst ein bisschen überrascht“, sagt Tobias
       Stöckl. Wiebke Zimmer antwortet: „Ich habe davon überhaupt nichts bemerkt.“
       Ein „Kaltstart“ sei das gewesen, sagt sie. Stöckl ist ihr erster Partner.
       „Was meinst du dazu?“, habe er damals gefragt und ein „Wir können es mal
       ausprobieren“ als Antwort erhalten. Zunächst sind sie einfach zwei
       Menschen, die sich sehen, aber noch nicht gänzlich begegnet sind; wie eine
       Beziehung in der Probezeit. „Aber in der Feuerwehr kannst du nichts geheim
       halten“, sagt Stöckl. Nach zwei Wochen wabert die Neuigkeit über Flure,
       durch Übungsdienste und Einsatzwägen. Damit endet die „Probezeit“. Sechs
       Jahre ist das nun her. Die Reaktionen damals: Freude, Glückwünsche,
       Schmunzeln. Und der Altersunterschied? „Da wurde nicht komisch geguckt“,
       sagt Stöckl. Das hat ihn doch ein bisschen überrascht.
       
       Witze ohne Witz: Sich in der Freiwilligen Feuerwehr zu engagieren heißt für
       Wiebke Zimmer, sich in einem männlich dominierten Umfeld zu bewegen.
       Feuerwehrfrauen gibt es vergleichsweise noch selten. Von den 56 Leuten in
       Zimmers Abteilung sind 9 weiblich. Parität geht anders. „Manchmal fallen
       dann Kommentare, die unangebracht sind“, sagt Zimmer. Das passiere jedoch
       nicht in ihrer Abteilung, nur vereinzelt, mit anderen Kameraden. Konkrete
       Beispiele hat Zimmer auch: „Man wollte mich mal Kartons nicht tragen oder
       mich etwas Schweres heben lassen“, sagt sie. „Ein Witz“, sei das gewesen,
       von einem, der schon „deutlich länger“ dabei war. Gelacht hat Zimmer nicht.
       Während eines Einsatzes seien ihre Fähigkeiten aber noch nicht in Frage
       gestellt worden. Seit Kurzem gibt es Periodenprodukte in den
       Einsatzfahrzeugen – auf Kosten der Abteilung.
       
       Feuerwehr für alle: Wenn Zimmer auf öffentlichen Veranstaltungen für die
       Freiwillige Feuerwehr wirbt, wird sie mit kindlichem Staunen bedacht.
       „Viele Kinder fragen, ob ich wirklich eine echte Feuerwehrfrau bin“, sagt
       Zimmer. Ein bisschen lässt sie das schmunzeln. „Das Wort ‚Feuerwehrfrau‘
       ist vielen nicht bekannt“, sagt Zimmer. „Wie können Menschen erreicht
       werden, die in Sprache und in Köpfen lange Zeit nicht mitgemeint und
       mitgedacht wurden?“ Auf die Sprache zu achten, mache einen Unterschied,
       findet Zimmer. Sonst stellen sich Fragen wie: „Darf ich dazugehören?“ Vor
       Kurzem wurde die Satzung der Gemeindefeuerwehr Mannheim gegendert, um
       inklusiver zu sein. „Damit alle Geschlechter angesprochen sind“, sagt
       Zimmer. „Denn Feuerwehr ist für alle da.“
       
       13 Jul 2023
       
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