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       # taz.de -- Semesterticket für Studierende in Gefahr: 49-Euro-Ticket macht Probleme
       
       > Das günstige ÖPNV-Billett für Studierende ist eine Errungenschaft. Jetzt
       > ist es in Gefahr, ausgerechnet durch das neue Deutschlandticket.
       
   IMG Bild: Die Einführung des 49-Euro-Tickets hat seine Tücken: An Studierende ist nicht gedacht worden
       
       ## Was haben Studierende mit dem 49-Euro-Ticket zu schaffen? Die meisten
       haben doch schon ein Semesterticket, oder?
       
       Ja, die meisten der rund drei Millionen Studierenden in Deutschland haben
       ein sogenanntes Semesterticket, mit dem sie den ÖPNV vor Ort benutzen und
       oft in angrenzenden Verkehrsverbünden fahren können. Aber das ist durch das
       sogenannte Deutschlandticket, mit dem Bürger:innen [1][seit Mai
       bundesweit den ÖPNV für 49 Euro im Monat] nutzen können, gefährdet.
       
       ## Wieso gefährdet das eine das andere?
       
       Das Semesterticket ist ein Solidarmodell, alle Studierenden müssen es
       kaufen – wodurch es günstiger wird als bei einer Wahlfreiheit. Der Preis
       ist unterschiedlich hoch. Im fränkischen Schweinfurt etwa werden aktuell
       weniger als 7 Euro im Monat fällig. In größeren Städten wie Berlin oder
       Hamburg sind es mehr als 30 Euro – fast so viel, wie das neue
       „Deutschlandticket Jobticket“ kostet, das für Beschäftigte eingeführt
       wurde. Mit mehr als 35 Euro liegt der Preis für das Semesterticket in Köln,
       Düsseldorf oder Aachen sogar darüber.
       
       Das Semesterticket ist zwar eine soziale Errungenschaft, aber nicht
       unumstritten, es gab Klagen dagegen – etwa von Autofahrenden, die dafür
       nicht zahlen wollten. In der Vergangenheit hatten sie keinen Erfolg. Das
       könnte sich jetzt jedoch ändern.
       
       Denn das Bundesverwaltungsgericht argumentierte in einem Urteil, dass mit
       dem Solidarmodell ein Ticket nur angeboten werden darf, das deutlich
       günstiger ist als alle anderen Angebote des Nahverkehrs. [2][Ein
       Rechtsgutachten, das der AStA der TU Dortmund in Auftrag gegeben hat],
       kommt zu dem Schluss, dass Klagen gegen das Semesterticket künftig
       erfolgreich sein könnten. Der Preisunterschied zum 49-Euro-Ticket sei zu
       gering – zumal die Studierenden damit bundesweit fahren können.
       
       ## Welche Konsequenzen hat diese Rechtslage?
       
       Studierendenvertretungen fürchten angesichts der Rechtslage, dass sie das
       Semesterticket nicht fortführen können. Vertragspartner sind sie und die
       regionalen Verkehrsverbünde. „Wenn die Verkehrsbetriebe das Semesterticket
       nicht günstiger machen, müssen wir die Verträge kündigen“, sagt der
       AStA-Vorsitzende der TU Dortmund, David Wiegmann, der taz.
       
       In Brandenburg ist bereits [3][eine Hochschule aus dem
       Semesterticketvertrag mit dem Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB)
       ausgetreten]. Auch eine Berliner Hochschule hat die Verträge ab dem
       Wintersemester ausgesetzt. [4][Andere erwägen den gleichen Schritt].
       
       Für Matthias Anbuhl, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Studierendenwerks,
       birgt dieses Vorgehen ein grundsätzliches Risiko: „Das Solidarmodell ist
       eine soziale Errungenschaft, die nun wegzubrechen droht.“ Er fürchtet, dass
       die Studierendenvertretungen später nicht ohne Weiteres zu einem
       Semesterticket für alle zurückkehren können und der ÖPNV damit zu teuer
       wird.
       
       ## Hat die Politik das Problem verschlafen?
       
       Jein. Die Länderverkehrsministerkonferenz (VMK) hat [5][im März eine
       Erklärung dazu abgegeben], aber noch keine Lösung gefunden. Übergangsweise
       sollen Studierende ihr Semesterticket für weniger als 20 Euro im Monat zum
       49-Euro-Ticket aufwerten können. In vielen Bundesländern wie Berlin,
       Thüringen oder Hessen ist das Upgrade aber erst seit diesem Donnerstag
       möglich, in Schleswig-Holstein soll es im Juli kommen.
       
       Oft ist das Upgrade teurer als 20 Euro, viele Studierende zahlen zusammen
       mit dem Semesterticket mehr als Beschäftigte, die das vom Staat
       bezuschusste „Deutschlandticket Jobticket“ im Monat rund 34 Euro kostet.
       „Unterm Strich zahlen Studierende jetzt mehr als andere, obwohl viele von
       ihnen in finanziellen Nöten stecken“, sagt Studierendenwerks-Chef Anbuhl.
       Nach der jüngsten Sozialerhebung verfügen 37 Prozent der Studierenden
       monatlich über weniger als 800 Euro.
       
       ## Welche Lösung soll es langfristig geben?
       
       Die VMK hat eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingesetzt, die Vorschläge für
       ein tragfähiges Modell erarbeiten soll. Nach Angaben des Sprechers von
       NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne), der zurzeit Vorsitzender der
       Verkehrsministerkonferenz ist, gibt es aber bislang kein Ergebnis. „Diese
       Erarbeitung ist noch nicht abgeschlossen, und es gibt derzeit auch noch
       keine Entscheidung über ein Modell“, sagt der Sprecher. „Unser Ziel ist
       aber weiterhin, zum Wintersemester ein solches Modell einführen zu können.“
       
       Möglich wäre zum Beispiel ein bundesweites Semesterticket, das deutlich
       günstiger als das 49-Euro-Ticket ist. Dafür gibt es sogar bereits einen
       Namen: das „Deutschlandticket Uni“.
       
       ## Warum wird das „Deutschlandticket Uni“ nicht einfach eingeführt?
       
       Dafür müssen sich Bund und Länder auf eine Lösung einigen. Dazu gehört
       nicht nur die Frage, ob und wie viel Geld sie zu geben bereit sind. Sie
       müssen sich auch auf die Konditionen einigen. Beim Semesterticket gibt es
       viele Varianten, mal darf ein Fahrrad oder Hund mitgenommen werden, in
       einigen Regionen können am Wochenende Personen mitfahren. „Die Branche
       strebt eine einheitliche Lösung an“, sagt ein Sprecher des Verbands der
       Verkehrsunternehmen (VDV). Die Verkehrsunternehmen beraten die Politik –
       sitzen aber wie die Studierenden nicht mit am Verhandlungstisch.
       
       ## Sind Studierende die einzige Gruppe, die durch das 49-Euro-Ticket-Raster
       fallen?
       
       Nein. Auch für Schüler:innen gibt es keine bundesweite Lösung. Ein
       günstiges Deutschlandticket für Menschen mit sehr wenig Geld fehlt
       ebenfalls.
       
       3 Jun 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Nah--und-Regionalverkehr/!5925658
   DIR [2] https://latnrw.de/wp-content/uploads/2023/04/Semesterticket_Rechtsgutachten.pdf
   DIR [3] /Antrag-der-Linksfraktion/!5933475
   DIR [4] /Entscheidung-im-Abgeordnetenhaus/!5937016
   DIR [5] https://www.umwelt.nrw.de/presse/detail/das-deutschlandticket-ist-startklar-1679584860
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Pauli
   DIR Anja Krüger
       
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