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       # taz.de -- Der Hausbesuch: Lebenslang Stunker
       
       > Jahrelang mischte Bruno Schmitz, Mitgründer der Kölner Stunksitzung, das
       > Spießbürgertum auf. Kultur veranstaltet er immer noch, ohne
       > Renditedenken.
       
   IMG Bild: Hat das Rampensaudasein erst vor Kurzem aufgegeben: Bruno Schmitz
       
       Karneval ohne Ende oder Ende ohne Karneval – bei Bruno Schmitz ist die
       Sachlage noch unklar.
       
       Draußen: Bruno Schmitz lebt in seiner [1][Geburtsstadt Kleve] in gleich
       zwei Häusern hintereinander. Zur Straße hin der Büroquader, daran steht
       „kulturbüro niederrhein“. 15 Meter dahinter, umgeben von viel Garten mit
       üppigem Strauchwerk, seine zweistöckige Wohnwelt. Man hört
       Vogelgezwitscher. Das Doppelheim ist ein Idyll zum guten Leben und zum
       kreativen Arbeiten, sagt der 76-Jährige mit spitzbübischem Blick. „Beim
       Häuserwechsel betrete ich jedes Mal einen anderen Kosmos.“
       
       Drinnen: Innen ist das Wohnhaus von 1929 licht, weite Fenster bis zum
       Boden, helles Holz. Seit 1996 lebt Schmitz hier. Bei der
       Komplettrenovierung kamen Wände raus, so wird auch ein kleines Haus groß.
       Alles ist weiß getüncht, minimalistisch, nur ein paar Bilder und
       Kunstobjekte von FreundInnen, ein Klavier. Die Garderobe ist eine
       Installation aus Rohren einer stillgelegten Molkerei, im Bad eine einsame
       Strelitzie als Blickfang an den weißen Kacheln. „Ich gebe dem Raum Raum,
       ich will reduziert leben. Was man ein Jahr nicht angefasst hat, kann weg.“
       
       Karneval: Schmitz war vor knapp 40 Jahren Mitgründer der heute legendären
       [2][Kölner Stunksitzung]. Stunk ist Politkabarett und Satire, teils mit
       Mitteln des veralberten kölschen Alaaf-Brauchtums: In mehr als 1.500
       Sitzungen ist Bruno Schmitz seitdem über die Bühne getobt; meist in bösen,
       provozierenden Rollen, als Schauspieler, Musiker (Gitarre, Geige) und
       kraftstrotzender Sänger. Immer wieder Giftpfeile abschießend [3][gegen die
       katholische Kirche], etwa als er Sinatras „My Way“ als schwuler
       Sadomaso-Priester schmetterte: „… tut mir am Ei weh.“ Hohn und Spott auf
       das Spießbürgertum, falsche Politik, linksgrüne Dogmen. Jüngst hat er
       Steffen Baumgart parodiert, den Trainer des 1. FC Köln; Schmitz gab den
       brüllenden Coach einer fiktiven FC-Ampelregierung: „Öz-de-mir, du sollst
       nicht Gras rauchen, sondern Gras fressen!“ Im Februar hat Schmitz aufgehört
       mit Stunk.
       
       Widerspruch: „Ich habe Schluss gemacht mit der Bühne! Stunker bin ich
       lebenslang.“ Schmitz bleibt einer der 24 GesellschafterInnen von
       Tuschfactory, der Firma, die Stunk plant und die Programme auskaspert.
       SchauspielerInnen und Mitglieder der Stunkband Köbes Underground sind das.
       Ausführlich erzählt Schmitz zahlreiche Details aus dem Lebensprojekt
       politischer Alternativkarneval. Von den Anfängen an der Uni und den jetzt
       drei Jahrzehnten im riesigen „E-Werk“ in Köln-Mülheim mit 60 Abenden
       jährlich à 1.250 ZuschauerInnen. Millionenumsätze? „Klar, aber am Ende
       bleiben für alle höchstens Lehrergehälter.“ Etwas Bühne bleibt auch ihm:
       „Stunk unplugged“ geht weiter, eine Art Best-of, mit einer Handvoll
       Aktiver, 20 Abende im Jahr kreuz und quer im Rheinland.
       
       Gitarre: Highlights bei Stunk? Schmitz überlegt einen Moment, antwortet
       aber nicht, sondern holt eine abgewetzte Gitarre auf die Terrasse. „Ich bin
       Schlepper von Beruf“, intoniert er, „dank der EU, die dieses gold’ne
       Handwerk schuf …“ und singt alle Strophen durch. Der umgetextete
       Klempner-Song von Reinhard Mey 1973, als Thema die gepeinigten Flüchtlinge
       an Europas Außengrenzen. Auf der Gitarre prangt ein „Atomkraft? Nein
       danke“-Aufkleber. Der ist ein idealer Aufhänger zum nächsten Thema.
       
       Kalkar: Keine 15 Kilometer vor Kleve liegt Kalkar. Da wurde Ende der 1970er
       Jahre der Schnelle Brüter gebaut, der nie ans Brüten kam. Der
       Atomkraft-Widerstand war riesig, Bruno Schmitz weit vorn dabei. Das
       Melkhaus des berühmten Bauern Josef Maas hatten er und andere zum
       Bürgerhaus und Treffpunkt umfunktioniert. Am Vorabend der großen Demo 1977,
       mitten [4][im Deutschen Herbst], fuhren Polizeipanzer in den Hof, Beamte
       stürmten mit aufgerichteten Maschinengewehren das Haus. „‚Wo sind die
       Waffen?‘, haben sie gebrüllt.“ Schmitz breitet aus Klarsichtmappen viele
       schwarz-weiße und schwer farbstichige Bilder von damals auf dem Küchentisch
       aus. Eine Zeitreise. Wie wir da alle aussahen!
       
       Nebenbei Lehrer: Den Job an der Schule gab Schmitz (Fächer: Politik,
       Geschichte, Deutsch, Musik) nach ein paar Jahren auf. In den Pausen hatte
       er auf dem Schulhof gern Gitarre gespielt und aufrührerische Lieder
       gesungen, soweit das die Kultusbürokratie zuließ. Bilder der Zeit zeigen
       seine noch tiefschwarzen Haare lockig lang, dichter Vollbart, volles
       Klischee. Schmitz’ Motto: „Ich will Kleve politisch und kulturell
       beeinflussen.“ Nach dem Pädagogikstudium in Düsseldorf war es 1970
       losgegangen im Klever „Haus am Damm“, der ersten WG am Niederrhein. „Wir
       waren angemessen verrufen im Ort.“
       
       Handwerker: Das Kulturbüro vorne hat Schmitz 2013 neu gebaut, respektive:
       bauen lassen. Zur großen Einweihung hatte er alle beteiligten Handwerker
       eingeladen, Maurer, Schreiner, Dachdecker, Klempner auch, sonstige
       Schrauber. „Das hatten die auch noch nicht erlebt.“ Sein Freund und
       Ex-Stunker Jürgen Becker („Mitternachtsspitzen“) trat auf. Mit Becker hatte
       er auch mal die Wohnorte getauscht: Schmitz weilte in Köln, Becker schrieb
       in der Klever Ruhe ein neues Bühnenprogramm.
       
       Kleinkunst: Mit Kollegin Barbara, seiner Angestellten, macht Schmitz im
       Vorderhaus weiter Kulturarbeit: Kleinkunst-Veranstaltungen und
       Open-Air-Festivals vom Niederrhein bis ins Münsterland organisieren, dabei
       junge Leute puschen und Arrivierte in die Provinz locken. Dieter
       Hildebrandt war da, Pispers, Knebel, Schmickler, da gelte es immer „gute
       Deals mit den Agenturen zu machen und sich vor Ort gut zu kümmern“. Stolz
       ist Bruno Schmitz, dass drei Jahre lang eine Auszubildende im Büro dabei
       war, als Veranstaltungskauffrau. Vorher kam die IHK skeptisch gucken, „dann
       war die junge Frau Beste in ihrem Jahrgang“.
       
       Alter: 76, na und!? Quirlig wirkt er, drahtig, frisch, die braunen Augen
       immer lustig und schelmisch unterwegs. Die Eltern, 103 und 99 Jahre alt,
       wohnten ein paar Straßen weiter und waren 79 Jahre verheiratet. Vor sechs
       Wochen ist der Vater gestorben. Einzelkind Bruno war mit 47 Spätvater
       geworden und hat seit 2022 einen Enkelsohn. Ex-Frau und der kleine Valentin
       leben in Bayern. Seine Freundin aus dem Sauerland und er führen eine
       Wochenendbeziehung, „so oft es geht“.
       
       Wehmut: Schmitz war immer der Älteste im Stunk-Ensemble. Fast alle sind
       heute über 60. Alle würden sich die gleiche Frage stellen: Wie lange will
       und kann ich noch? Denn: „Das ist wirklich ein Hochleistungsjob.“ Einer der
       Jüngsten, Hans Kieseier, lange sehr krank, ist im Mai gestorben, mit
       lächerlichen 60 Jahren. Bis jetzt sei er mit dem Rücktritt „absolut
       glücklich“, sagt Schmitz. Und im nächsten Winter, wenn die anderen wieder
       jubelumtost die Bühne entern? „Kann ich nicht einschätzen. Vielleicht fahre
       ich mal vier Wochen im Winter in die Sonne. Ging ja 40 Jahre lang nicht.“
       Vermissen werde er sein Nebenzuhause: drei Monate Abend für Abend immer zu
       viert in einer Künstlergarderobe in den Katakomben des E-Werks. „Das haben
       wir richtig geliebt. Das war Klein-WG für lange Abende, wunderschön.“ Die
       Eitelkeit aber wird an ihm nagen. „Ich bleibe ja eine Rampensau. Ob ich den
       Blues kriege? Keine Ahnung.“
       
       Hundertundsechs volle Meter: Der nimmermüde Mann wirkt noch in einem
       zweiten Areal, keine 500 Meter entfernt. Da erhebt sich ein Berglein samt
       kleinem Hochplateau, 106 Meter über NN sind es, umgeben von viel Wald. „Der
       höchste Punkt zwischen Südnorwegen und der Eifel.“ Ein gesichtsloser
       Betonklotz samt abgerocktem Restaurant stand hier. Schmitz kaufte der Stadt
       das Gebäude vor ein paar Jahren für wenig Geld ab: „Alle haben gesagt:
       Bruno, du bist bekloppt!“
       
       Draußen 2: Der Bekloppte ließ das Haus mit vielen großen Fensterflächen
       kernsanieren und fand „einen neuen, großartigen Wirt als Pächter“. Auf der
       Rückseite lockt eine schmucke Dreiviertelkreis-Terrasse, mittig darauf ein
       15 Meter hoher alter Aussichtsturm aus Backstein. Den wiederum pachtete
       Schmitz für 50 Jahre von der Stadt: „Ich hatte Vorschläge zur Renovierung,
       zur Beleuchtung, dass die kleinen Fenster auch zu öffnen sind. Der
       Bauamtsleiter war Schüler bei mir: Ich hab ihm gesagt: Wenn das nicht
       klappt, kriegst du nachträglich eine 6.“ Am nächsten Tag hat er zugesagt,
       sich dafür einzusetzen.
       
       Turm forever: Im Sommerhalbjahr veranstaltet Schmitz kleine Events im
       lauschigen Gartenlokal: Lesungen, Theater, Kino auf Großbildleinwand für
       gut hundert Leute. „Genuss und Kultur heißt das, alles ohne
       Renditedenken.“ Musik auch mal mit Bläsereinsatz aus den Turmluken. „Der
       Laden brummt. Ein Investor hat mir schon eine Riesensumme geboten. Ich hab
       gesagt: Verpiss dich! Gemeinwohl ist wichtig. Deshalb werde ich das Projekt
       auch mal einer Stiftung vermachen.“
       
       14 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
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