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       # taz.de -- Kinderpodcast „Figarinos Fahrradladen“: „Beethoven auch!“
       
       > „Figarinos Fahrradladen“ vom MDR ist ein Juwel unter den Kinderhörspielen
       > – und auch Erwachsene warten begierig auf jede neue Folge.
       
   IMG Bild: „Figarinos Fahrradladen“ als Podcast gibt es z. B. bei MDR Tweens
       
       „Papa, gibt es einen neuen Figarino?“ Diese Frage meiner Tochter
       strukturiert seit etwa zwei Jahren meine Wochen. Ich antworte dann mit „ja“
       oder mit „mitnichten“. Das MDR-Hörspielformat für Kinder, „Figarinos
       Fahrradladen“, das bei uns zu Hause so nachgefragt ist, gibt es dabei schon
       über ein Jahrzehnt – und ein Ende ist auch nach mehr als 700 Folgen nicht
       in Sicht, zum Glück: Denn die mehr oder weniger wöchentlich neu aufgelegten
       Abenteuer von Fahrradschrauber Figarino und seinem wunderbar
       snobistisch-näselnden und über einen ausgewählten Wortschatz verfügenden
       (eben: „mitnichten!“) Piratenkater Long John gehören zum Besten, was
       [1][der in dieser Hinsicht noch gut aufgestellte öffentlich-rechtliche
       Rundfunk in Deutschland] für Kinder im Angebot hat.
       
       Die Grundkonstellation ist unaufwendig: Ein süß-verschrobener Mann hat zwei
       Leidenschaften: Fahrräder und seinen frechen und verfressenen Kater.
       Letztlich die – warum auch immer klassische – Meister Eder/Pumuckl-, Herr
       Taschenbier/Sams-, Pettersson/Findus-Kombination. Figarino hat dabei noch
       zwei spezifische Ängste: von der herrischen Nachbarin Frau Sparbrod
       zusammengefaltet zu werden, weil Long John wieder sein Geschäft in ihre
       Beete gemacht hat; und dass die patente, von Figarino angehimmelte andere
       Nachbarin Bärbel vielleicht doch mal die Initiative zu einer Vertiefung der
       Beziehung ergreifen könnte.
       
       Beide Protagonisten werden vom Schauspieler Raschid Daniel Sidgi
       verkörpert. Und so selbstverständlich es im Nachhinein scheint, so
       überrascht war ich doch, als ich Anfang April dieses Jahres im
       Aufnahmestudio des MDR in Halle miterleben durfte, dass Sidgi zuerst
       Figarinos kompletten Text einspricht und dann den von Long John. Er macht
       das virtuos, beim Fahrradschrauber mit einem betulich-weinerlichen
       Grundton, beim Kater arrogant-mauzend, und in einem irren Tempo. Die zwei
       Tonspuren werden dann später auf höchster Produktionsqualität abgemischt.
       Für die Nebenrolle der Bärbel wechselt die Dramaturgin und
       De-facto-Regisseurin Anna Pröhle vom Pult ans Mikrofon im Studio, in dem
       sich tatsächlich ein Fahrrad und andere berufsspezifische Gegenstände
       befinden. Die werden einerseits ganz praktisch zur Tonerzeugung eingesetzt,
       sorgen aber auch für die kreative Atmosphäre.
       
       Für die vom schlauen Kater abgegeben Erklärpassagen des Formats geht Sidgi
       dann nochmal in einen zweiten Aufnahmeraum. Denn die Hauptattraktion der
       Hörspiele ist zwar die komisch-kabbelnde Interaktion zwischen dem naiven
       Figarino und dem lebensklugen Long John. Aber die spielerische Vermittlung
       von Wissen, das Neugierdewecken auf nicht unmittelbar kindgerechte Inhalte
       macht „Figarinos Fahrradladen“ wohl einzigartig [2][unter den
       Kinderformaten.]
       
       ## „Sicher auch für Erwachsene unterhaltsam“
       
       In der Folge „Beethoven“ (2020) wird das im Dialog thematisiert. Figarino:
       „Kater, du musst Rücksicht nehmen, meine Arbeit ist wichtig.“ Long John:
       „Beethoven auch!“ Und dann erfahren wir zum Leitmotiv „Für Elise“ so
       ziemlich alles über Beethoven. Es scheint so zu sein, dass diese Hörspiele
       eben deswegen kindgerecht sind, weil sie die Latte nicht auf ein letztlich
       fiktives Niveau senken, sondern ihr Publikum spielerisch ermuntern: „Hey,
       spring doch hier mal drüber.“
       
       Wenn Leute, die sich pädagogisch mit Gaming befassen, Eltern immer wieder
       dazu auffordern, an der Spielerfahrung ihrer Kinder teilzunehmen, dann
       zeichnet dementsprechend „Figarinos Fahrradladen“ aus, dass ich selbst
       inzwischen meine Tochter frage, ob sie mal im MDR- oder ARD
       Hörspiel-Podcast nachschauen könnte, ob es eine neue Folge gibt, die wir
       dann zusammen anhören: Was Gemeinschafts- und Erfolgserlebnis stiftet –
       das, was ich hören will, interessiert auch meine Eltern, ich bin gar nicht
       so beziehungsweise nicht ganz allein klein.
       
       Dass dies gelingt, ist das Verdienst der Autorin Franziska Anna Opitz-Kark.
       „Figarinos Fahrradladen“, sagt sie, „ist zwar ein Kinderpodcast, aber
       sicher auch für Erwachsene unterhaltsam. Es sind ja oft auch Andeutungen
       dabei, die eher Erwachsene verstehen. Mein Sohn fragt mich manchmal, was so
       bestimmte Dinge bedeuten, so kleine eingestreute Scherze.“ Opitz-Kark
       spricht von einer „Zwischenwelt“, in der sie mit Worten so spielt, dass
       auch Erwachsene Spaß an den Geschichten haben.
       
       Die Hoffnung auf der Heimfahrt von Halle ist, dass der MDR konsequent auf
       allen Hierarchieebenen erkennt und in Wertschätzung umsetzt, dass er hier
       ein Juwel vorliegen hat – und Juwelen muss man pflegen, damit sie ihren
       Glanz behalten.
       
       5 Jun 2023
       
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