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       # taz.de -- Reichelt gegen Springer: Es geht nicht um Machtmissbrauch
       
       > Ein Gütetermin vor dem Arbeitsgericht Berlin soll den Konflikt zwischen
       > Ex-„Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt und seinem Ex-Arbeitgeber
       > schlichten.
       
   IMG Bild: Fassade des Springer-Verlagshauses in Berlin
       
       An diesem Freitagnachmittag beginnt am Arbeitsgericht Berlin das
       Klageverfahren des [1][Axel-Springer-Verlags] gegen den ehemaligen
       Bild-Chefredakteur [2][Julian Reichelt]. Springer verlangt von Reichelt
       eine Millionen-Summe, weil er gegen Verpflichtungen seines
       Abwicklungsvertrags verstoßen habe.
       
       Lediglich zur [3][Vorgeschichte dieses Rechtsstreits] gehören die Vorwürfe
       gegen Reichelt, er habe seine Machtstellung als Chefredakteur missbraucht.
       Er soll immer wieder junge, von ihm beruflich abhängige Kolleginnen
       gefördert und zugleich in sexuelle Beziehungen verstrickt haben, um sie am
       Ende brüsk abzuservieren.
       
       Nach internen Beschwerden von einigen Mitarbeiterinnen leitete der
       Axel-Springer-Verlag eine Compliance-Untersuchung ein. Als dies durch einen
       Spiegel-Bericht im März 2021 bekannt wurde, beurlaubte der Springer Verlag
       Julian Reichelt. Diese Untersuchung ergab Fehler in der Amts- und
       Personalführung, die aber „nicht strafrechtlicher Natur“ seien.
       
       Es gab also keine Nötigungsvorwürfe, etwa [4][dass Reichelt den Frauen
       offen mit Nachteilen gedroht hätte], wenn sie nicht auf seine Offerten
       eingehen. Nach 13 Tagen durfte Reichelt zu Bild zurückkehren. Als aber im
       Oktober neue Vorwürfe des Machtmissbrauchs bekannt wurden, stellte Springer
       den Chefredakteur endgültig frei. Zur Begründung hieß es, „dass Julian
       Reichelt auch aktuell noch Privates und Berufliches nicht klar trennt und
       dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt hat“.
       
       ## Springer verlangt Abfindung zurück
       
       Reichelt wurde nun gekündigt und zugleich wurde ein Abwicklungsvertrag mit
       ihm geschlossen. Er verzichtete darin auf eine Kündigungsschutzklage und
       erhielt im Gegenzug eine Millionenabfindung. Außerdem verpflichtete sich
       Reichelt dazu, keine Bild-Mitarbeiter:innen abzuwerben, keine
       Unterlagenmitzunehmen und dienstliche Dateien zu löschen.
       
       Gegen solche vertraglichen Verpflichtungen soll Reichelt verstoßen haben.
       Deshalb hat ihn der Axel-Springer-Verlag beim Arbeitsgericht Berlin
       verklagt. Springer verlangt die Abfindung zurück. Außerdem müsse Reichelt
       Vertragsstrafen zahlen. Zusammen solle dies einen siebenstelligen Betrag
       ergeben. Reichelt wird wohl bestreiten, dass er Verpflichtungen verletzt
       hat. So dürfte er argumentieren, dass er keine Bild-Mitarbeiter:innen
       abgeworben habe, sondern diese ihm unaufgefordert zu seiner neuen Firma
       Rome Media gefolgt seien.
       
       An diesem Freitag findet ein sogenannter Gütetermin statt. Dabei versucht
       die Vorsitzende Richterin im Gespräch mit beiden Seiten eine
       einvernehmliche Lösung zu finden. Wenn dies nicht gelingt, kommt es in
       einigen Wochen zur eigentlichen mündlichen Verhandlung.
       
       Belastet ist das Verfahren dadurch, dass Springer neben der
       arbeitsrechtlichen Klage zudem Strafanzeige gegen Reichelt gestellt hat.
       Auch dabei geht es nicht um Reichelts Umgang mit den Kolleginnen, sondern
       um Betrug im Zusammenhang mit dem Abwicklungsvertrag. Anfang April hat die
       Staatsanwaltschaft Berlin ein förmliches Ermittlungsverfahren gegen
       Reichelt eingeleitet, weil ein Anfangsverdacht bestehe. Dieses Verfahren
       dauert noch an und die Ermittler:innen wollen zu dessen Inhalt nichts
       sagen.
       
       Vermutlich wird Reichelt beschuldigt, er habe bei Vertragsschluss nur
       vorgetäuscht, dass er sich an die Verpflichtungen halten wolle, um damit
       einen Vermögensvorteil (die Abfindung) zu erhalten. Dies könnte
       strafrechtlich ein Betrug sein.
       
       ## Auch der NDR ist involviert
       
       Daneben laufen im Zusammenhang mit der Affäre aber auch noch Verfahren, bei
       denen Reichelt selbst Kläger ist. So erwirkte er eine einstweilige
       Verfügung des Landgerichts Hamburg gegen [5][die NDR-Sendung „Reschke
       Fernsehen“.] Darin werden dem NDR elf von sechzehn monierte Äußerungen
       untersagt, insbesondere Zitate von Frauen, die anonym gegen ihn aussagten.
       Der zentrale Vorwurf des „Machtmissbrauchs“ darf aber weiter erhoben
       werden.
       
       Der NDR hatte Widerspruch gegen die Verfügung angekündigt, diesen aber noch
       nicht eingelegt. Er werde noch geprüft, heißt es beim Sender. Stattdessen
       hat der NDR die Sendung wieder in die Mediathek eingestellt, mit 14
       Pieptönen von bis zu 30 Sekunden Länge.
       
       Schon Mitte April hatte das Landgericht Hamburg den NDR zur Ausstrahlung
       einer Gegendarstellung Reichelts verpflichtet, die aber bislang noch nicht
       erfolgt ist. In diesem Verfahren hat der Sender bereits Widerspruch
       eingelegt.
       
       *Nach dem Gütetermin wurde im dritten und im fünften Absatz sachliche
       Fehler korrigiert. Insbesondere wurde klargestellt, dass Reichelt von
       Springer gekündigt wurde. Der Vertrag ist daher auch ein Abwicklungsvertrag
       und kein Aufhebungsvertrag. A.d.R.
       
       9 Jun 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Rath
       
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