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       # taz.de -- Neuer Roman von David Schalko: Seine allerletzte Habe
       
       > David Schalko beschreibt in „Was der Tag bringt“ eine gepfefferte,
       > postpandemische Identitätskrise. Seine Hauptfigur Felix lebt sie voll
       > aus.
       
   IMG Bild: David Schalko beschreibt einen Menschen, der sich, von den Umständen gezwungen, selbst vor die Tür setzt
       
       Was der Tag bringt – ist nicht immer etwas Gutes. David Schalko, Autor
       zahlreicher erfolgreicher Fernsehproduktionen [1][(„Altes Geld“,]
       „Braunschlag“, „Aufschneider“) und mehrerer Bücher, beschreibt in seinem
       neuen Roman, wie in der postpandemischen Gesellschaft auch die urbane
       Mittelschicht in die Armut abrutschen kann.
       
       Felix, die Hauptfigur, ist ein Enddreißiger, hat nichts Gescheites gelernt
       und in keiner seiner zahlreichen Beziehungen lange Halt gefunden. Irgendwie
       ist er trotzdem immer recht und schlecht über die Runden gekommen. Zuletzt
       mit einem nachhaltigen Catering-Unternehmen, das für den Markt ungeeignete
       Lebensmittel verarbeitet hat. Nach dem alten Klischee: Gurken, die nicht
       der Brüsseler Norm entsprachen.
       
       Mit der Pandemie war damit Schluss. Keine Veranstaltung bedurfte mehr eines
       Caterers. Da ihm sein Bankberater einen Kredit verweigert, muss er die
       Firma liquidieren, das Personal entlassen, die WhatsApp-Gruppe „Wastefood“
       auflösen. Einher damit geht die Trennung von der letzten Geliebten.
       
       Für einen Neuanfang ohne Kapital fehlt Felix die Energie. Er beschließt,
       die von der Mutter ererbte Wohnung acht Tage im Monat zu vermieten. Von den
       Einnahmen, das hat er sich ausgerechnet, kann er einen Monat leben. Sein
       Plan, die wohnungslose Zeit im Gästezimmer oder auf der Wohnzimmercouch von
       Freunden zu überbrücken, scheitert schon nach der ersten Nacht an zu viel
       Alkohol und einem lüsternen [2][Dick Pic] an die Gastgeberin.
       
       In seiner Not sucht er sogar den Vater auf, zu dem er seit Jahren keinen
       Kontakt mehr unterhält. Die Begegnung mit dem neben der neuen Frau
       vereinsamten Mann verläuft genauso ernüchternd wie die mit einem
       Jugendfreund im Nachbarhaus.
       
       ## Metapher für den Kapitalismus
       
       Schließlich versucht er sein Glück irgendwo in Osteuropa, wo das Leben
       billiger sein soll. Seine ukrainische Haushälterin hat ihn auf die Idee
       gebracht. Er landet in einem Hotel namens „Jeu Zero“, wo die Nacht billig
       ist, aber jedes Extra, von der Klobenützung bis zum Fensteröffnen,
       zusätzlich verrechnet wird. Eine Anspielung auf die Tricks der
       Billigfluglinien, aber gleichzeitig eine Metapher für einen Kapitalismus,
       in dem keiner mehr irgendetwas umsonst macht.
       
       Im angeschlossenen Kasino verzocken die Gäste ihr Erspartes. Auf der Suche
       nach einer Autostopperin sitzt Felix einem charmanten Betrüger auf, der ihm
       Geldsegen vorgaukelt und das Auto einer ehemaligen Geliebten abluchst. Rien
       ne va plus. Das bittere Ende in der Obdachlosigkeit ist absehbar.
       
       Der Romanheld verkauft seine letzten Habe und macht schließlich auch seine
       Wohnung zu Geld, wird dadurch aus einem Lebensrhythmus geworfen, der früher
       durch Arbeit strukturiert war. „Ich glaube, dass solche Identitätskrisen
       vielfach stattfinden und die Vereinzelung verstärken. Ich wollte also
       gewissermaßen einen existenzialistischen Roman im Zeitalter der
       Digitalisierung schreiben“, erklärt Schalko in einem Interview mit der
       österreichischen Tageszeitung Der Standard.
       
       ## Sehnsucht nach Berührungen
       
       Immer wieder geht es um die Sehnsucht nach Berührungen, die Felix in seinem
       ruhelosen Singleleben abgehen. Beim Überbrücken der wohnungslosen Zeit wird
       er sich immer wieder „der Länge des Tages und der Kürze des Lebens“
       bewusst. Und wenn er am Anfang noch eine erkleckliche Anzahl an Freunden
       aufzählt, auf die er glaubt sich verlassen zu können, so erkennt er: „Ein
       Freund ist dann ein guter Freund, wenn er dich im Gefängnis besucht, denn
       Freundschaft unterliegt keinen moralischen Kategorien.“
       
       Die früh verstorbene Mutter, der Vater, der sich bald eine neue Frau ins
       Haus holt, die mit ihrem missionarischen Religionswahn nicht nur den
       Stiefsohn, sondern nach und nach die ganze Nachbarschaft vergrault, haben
       zur Vereinsamung des Romanhelden genauso beigetragen wie die
       oberflächlichen Frauengeschichten. Felix will geliebt werden, kann aber
       selber nicht lieben. Nicht einmal sich selbst. Und er hat ein Talent zur
       Selbstbeschädigung, wie schon die erste Nacht bei einem befreundeten Paar
       zeigt. Dass scheinbar intakte Paarbeziehungen von Bekannten auch nur
       Fassade sind, ist ihm ein geringer Trost.
       
       Der Romanheld Felix steht – ironisch überhöht – für die
       Post-Covid-Gesellschaft, die durch die Jahre der Lockdowns, der
       Verunsicherung und finanziellen Einbußen ihren Halt verloren hat. Er zieht
       sich immer mehr in eine Fantasiewelt zurück, die im Zusammenprall mit der
       Realität meist fatale Folgen zeitigt.
       
       Ralf Leonhard (3. 3. 1955–21. 5. 2023) ist überraschend gestorben. Als
       Korrespondent aus Wien schrieb er regelmäßig für die taz-Kultur. Posthum
       veröffentlichen wir diese Kritik, die er kurz vor seinem Tod verfasst hat.
       Nachruf unter: www.[3][taz.de/Nachruf/!5936490]
       
       29 May 2023
       
       ## LINKS
       
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