URI: 
       # taz.de -- Öffentliche Toiletten in Berlin: Mehr Pinkelgerechtigkeit in Parks
       
       > In einem Pilotprojekt werden in jedem Bezirk zwei öffentliche Toiletten
       > ausprobiert, die auf mehr Ökologie, Kostenfreiheit und
       > Gendergerechtigkeit setzen.
       
   IMG Bild: Sieht aus wie eine Packstation von DHL, ist aber eine Toilettenanlage
       
       Berlin taz | Eine große grüne Schleife ziert an einem Freitagmorgen Anfang
       Juni ein kleines gelbes dreitüriges Holzhäuschen im Invalidenpark in Mitte.
       Über den Türen sind die Wörter Toilette, Steh- Urinal und Hock-Urinal zu
       lesen. Neben kleinen Häppchen und Sektflöten, die vor dem
       Toilettenhäuschen drapiert sind, steht Britta Behrendt, Staatssekretärin
       in der Senatsverwaltung für Klimaschutz und Umwelt, mit einer Schere in
       ihrer Hand. Das hat seinen Grund: Die Firma Eco-Toiletten GmbH hat zur
       Eröffnung einer neuen ökologischen, gendergerechten und barrierefreien
       Parktoilette nicht weit vom Hauptbahnhof geladen.
       
       Behrendt, erst seit Ende April neue Staatssekretärin in der nun nicht mehr
       grün-, sondern CDU-geführten Senatsverwaltung, sieht das Thema öffentliche
       Toiletten als eine ihrer Kernaufgaben an. „Ich habe zwei Töchter im
       Teenageralter, die fast jedes Wochenende in Berlin unterwegs sind, und die
       berichten mir oft von einer [1][Ungleichheit zwischen den Geschlechtern],
       was die Anzahl und Präsenz von öffentlichen Toiletten in den Berliner Parks
       betrifft“, sagt sie bei der Eröffnung.
       
       Die neue Toilette ist Teil eines 1,7 Millionen Euro teuren Pilotprojekts,
       das seit April läuft. Das soll herausfinden, „wie die oft stark genutzten
       Berliner Grünflächen mit ökologischen und klimafreundlichen Toiletten
       versorgt werden können“. Wo die zu finden sind, soll auch bald in der neu
       entwickelten „Berliner Toiletten App“ stehen. Die zeigt, ob für die
       Benutzung bezahlt werden muss – wobei bei den neuen Parktoiletten zunächst
       generell keine Gebühr fällig sein soll.
       
       In allen zwölf Bezirken sollen jeweils zwei „umwelt- und klimafreundliche“
       Park-Toiletten aufgestellt und getestet werden. Sie kommen von zwei Firmen,
       die sich in einer Ausschreibung durchgesetzt haben. Beide Systeme werden
       nach Senatsangaben über eine 400-Watt-Solaranlage mit Strom versorgt und
       erhalten ihr Wasser durch einen 300 Liter großen Regenwassertank. Das soll
       Energie und Wasser sparen – eine Spülung verbraucht zwischen sechs bis neun
       Liter Wasser. Die Ausscheidungen sollen anschließend in Eberswalde bei der
       Firma Finizio entwässert und später als Dünger weiter eingesetzt werden.
       
       ## Mangelnde Barrierefreiheit
       
       Denn im Gegensatz zu den herkömmlichen öffentlichen Toiletten der Firma
       Wall GmbH, die an die Kanalisation angeschlossen sind, besitzen die
       „Öko-Toiletten“ ein Kompostsystem. Das funktioniert so, dass die flüssigen
       Anteile ab einem gewissen Pegelstand automatisch in einen 1.000-Liter-Tank
       und die festen Anteile in einen „Depotraum“ kommen.
       
       Neu ist auch, dass die 24 „umwelt- und klimafreundlichen“ Park-Toiletten
       neben einem Sitzklo auch ein Steh- sowie ein Hock-Urinal haben, deren
       Zielgruppe jeweils Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans
       und agender Personen sind. Während die Finizio GmbH ihr eigens entwickeltes
       Uni-Sex-Steh-Urinal einsetzt, arbeitet die EcoToiletten GmbH mit dem
       Anbieter Missoir zusammen.
       
       Dieses [2][Hock-Urinal] wurde schon auf mehreren Festivals erprobt und hat
       seit Dezember vergangenen Jahres – nachdem es im Januar 2022 nach nur
       wenigen Monaten mit Verweis auf zu hohe Kosten aus dem Volkspark Hasenheide
       entfernt worden war – neben den zwölf temporären neuen Standorten seinen
       festen Platz am Kottbusser Tor gefunden.
       
       Die dortige neue Toilette gilt durch ihre kostenfreie Nutzung und ihre
       geschlechtergerechte Konzipierung als Gewinn für den Bezirk
       Friedrichshain-Kreuzberg. Barrierefrei ist die Toilette allerdings nicht.
       „Dies war vom Bezirk extra so gefordert worden“, sagt Lena Olvedi von
       Missoir der taz. Kritiker vermuten, dass die Toiletten nicht barrierefrei
       sind, um „Fehlnutzungen“ wie Drogenkonsum oder Übernachtungen vorzubeugen.
       Das Bezirksamt hat bis Redaktionsschluss eine taz-Anfrage dazu nicht
       beantwortet.
       
       ## Bisheriges Toiletten-Konzept diskriminierend
       
       Insgesamt gibt es in Berlin laut Senatsverwaltung 418 öffentliche
       Toiletten. Die meisten davon sind City-Toiletten der Firma Wall, die seit
       Ende 2021 [3][Ziel einer Einbruchsserie] waren. Die Täter hatten es nicht
       auf das damals rare Toilettenpapier abgesehen – es ging um die Münzfächer.
       Nach Firmenangaben wurden binnen eines Jahres mindestens 2.300 Mal
       Münzfächer geknackt, wobei ein Schaden im sechsstelligen Bereich entstanden
       sein soll.
       
       Um weiteren Einbrüchen vorzubeugen, entschied sich die Wall GmbH zusammen
       mit dem Senat für eine zweigeteilte Lösung. So stehen 100 der 278
       City-Toiletten seit Anfang des Jahres kostenfrei zur Verfügung, die
       restlichen 178 Toiletten sind nur noch mit Kartenzahlung benutzbar.
       
       [4][Daran hagelt es Kritik]: Das Berliner Buschfunk Bündnis, das sich für
       eine gerechte Verteilung und Konzipierung von Toiletten einsetzt, sieht in
       der Umstellung auf Kartenzahlung eine Diskriminierung von Senior*innen,
       Wohnungslosen und einkommensschwachen Haushalten. Der Verein fordert eine
       entgeltfreie Nutzung aller öffentlichen Toiletten in Berlin, so wie es in
       Paris bereits seit 2006 der Fall ist.
       
       Neben der kostenfreien Nutzung fordert das Buschfunk Bündnis eine
       geschlechtergerechte und umweltfreundliche Konzipierung – was mit dem
       Toiletten-Pilotprojekt, das bis zum 31. März nächsten Jahres läuft, erprobt
       werden soll. Wie viele umwelt- und klimafreundliche Toiletten künftig
       dauerhaft die Straßen und Parks schmücken, ist allerdings noch ungewiss.
       
       ## Was kommt nach der Testphase?
       
       Die Senatsverwaltung betont, dass die Testphase kein Wettbewerb zwischen
       den beiden beteiligten Firmen und Toilettenmodellen sei. Vielmehr wolle man
       herausfinden, „welche Toilettensysteme in den Berliner Grünanlagen
       funktionieren, um auf Basis der Ergebnisse ein – möglicherweise ganz neues
       – Toilettensystem nach diesen Parametern zu finden“, heißt es von der
       Verwaltung.
       
       Offen ist, ob es nach der Testphase unter einer schwarz-roten
       Landesregierung überhaupt zu einem Ausbau von ökologischen,
       geschlechtergerechten und kostenfreien Toiletten kommt. Politische
       Unterstützung kam bislang lediglich von der Linke-Abgeordneten Katalin
       Gennburg sowie von der Ex-Umweltsenatorin und jetzigen
       Grünen-Fraktionschefin Bettina Jarasch. Aus Sicht von Kritikern liegt es in
       der Hand der neuen Regierung aus SPD und CDU, ihren Bürgerinnen und Bürgern
       zu zeigen, dass ihnen ihre Bedürfnisse nicht völlig „scheiß-egal“ sind.
       
       12 Jun 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Oeffentliche-Toiletten-in-Berlin/!5752804
   DIR [2] /Ein-Urinal-fuer-Frauen/!5844482
   DIR [3] /Einbrueche-in-Berliner-City-Toiletten/!5843898
   DIR [4] /Die-Notdurft-in-Berlin/!5872976
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julian Csép
       
       ## TAGS
       
   DIR Stadtplanung
   DIR Gender
   DIR Diskriminierung
   DIR Infrastruktur
   DIR Toilette
   DIR Geschlechterdiskriminierung
   DIR Toilette
   DIR Toilette
   DIR Toilette
   DIR Gender
   DIR Gender
   DIR Frauenkörper
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Öffentliche Toiletten in Berlin: Es darf frei gepullert werden
       
       Auch künftig wird ein größerer Teil der öffentlichen Wall-Toiletten gratis
       zugänglich sein. Die Reaktionen fallen nicht überall positiv aus.
       
   DIR Öffentliche Toiletten in Berlin: Barrierefreies Pinkeln für alle
       
       Die 24 Ökoklos dürfen noch ein Jahr länger bleiben, dafür werden die
       Citytoiletten wieder kostenpflichtig. Initiative fordert kostenlose WCs.
       
   DIR Adventskalender (15): Stilles Örtchen, heiliges Örtchen
       
       In Berlin gibt es nun klimafreundliche Parktoiletten. Gut, nur 24 in der
       ganzen Stadt. Dafür sind die Klos geschlechtergerecht und kostenfrei.
       
   DIR Öffentliche Toiletten in Berlin: Im Westen pinkelt´s sich besser
       
       194 von 460 öffentlichen Toiletten sind in Berlin kostenlos. Die Verteilung
       ist dabei ziemlich ungleich. Auch Frauen* werden benachteiligt.
       
   DIR Patriarchat und öffentliche Toiletten: Das Khara-System
       
       In Berlin werden gehäuft öffentliche Toiletten ausgeraubt. Ist das
       Kriminalität oder feministischer Protest?
       
   DIR Es gibt zu wenige öffentliche Toiletten: Ziemlich angepisst
       
       Flinta* müssen fürs Pinkeln bezahlen. Das ist ungerecht, findet das
       Buschfunk Bündnis. Das Thema findet in der Politik aber wenig Gehör.