# taz.de -- Die Wahrheit: Heizen mit Plastikmüll
> Der deutschlandweit erste „Kongress für Technologieoffenheit“ im
> niederrheinischen Kalkar. Ein Besuch bei der Zukunft aller Dinge.
IMG Bild: Scheiß drauf: Plastikmüll brennt gut und hält warm
Das muss man den Gastgebern lassen: Sie sind konsequent. Die großen
asphaltierten Flächen am einst hier geplanten „Schnellen Brüter“ sind
unterteilt in eine geradezu verwirrende Vielfalt von Parkplätzen für
Fahrzeuge aller Art. Die Beschilderung hat etwas Trotziges, denn viele der
„Gated Parking Lots“ sind gähnend leer. „Fliewatüüts“ lesen wir da, und
„Liegeräder mit Dieselantrieb“. Aber auch „Schallverstärkte
Harley-Lieferwagen“ und sogar Gartengeräte wie „Mäh- und Häckseldrohnen“
und „E-Äxte“ kann man hier abstellen.
Dipl.-Ing. Baran Djamilja begrüßt uns euphorisch als Berichterstatter zum
ersten „Kongress für Technologieoffenheit“, der hier im niederrheinischen
Kalkar stattfinden soll. Der Endzwanziger mit gelb-blauer Krawatte und
sorgfältig weggegeltem Haar soll uns durch den Tag begleiten. „Bis zum
ersten Panel ist noch etwas Zeit. Was wollen Sie wissen?“ Wir fragen erst
mal, wo wir unsere Räder anschließen können. Er schaut mitleidig. „Ganz
ohne technischen Antrieb? Die klaut hier sicher keiner. Haben Sie schon mal
überlegt, sich beim nächsten Mal ein Windrad zuzulegen?“
„Ähm …“ Wir schauen ihn ehrlich ratlos und etwas besorgt an.
„Ach!“ Er schlägt sich vor die Stirn. „Ich vergesse immer, den Bindestrich
mitzusprechen. Wind-Rad meinte ich. Die Kombination aus Radeln und Segeln.
Natürlich triebwerkunterstützt.“
„Ein Segel? Am Fahrrad? Sind Sie schon jemals Rad gefahren?“
Er übergeht unsere Entgeisterung und meint fröhlich: „Einfach alles mal
ausprobieren. Offen sein. Wir können uns eine Vorrichtung vorstellen, die
das Segel automatisch zusammenklappt, sobald das Rad fährt. Kann man alles
entwickeln. Solange der Staat sich raushält.“
## Wahlfreiheit im Heizungskeller
Wir wechseln höflich das Thema: „Worum geht es denn in den Panels?“
„Entsprechend den größten Sorgen der Menschen heißen die drei Themenblöcke:
‚Mollig warm‘, ‚Frei unterwegs‘ und ‚Gen(ial) modern‘.
„Okay – also klimafreundliches Heizen, kostenloser Nahverkehr und … was?“
„Sie liegen leider knapp daneben. Es geht um Wahlfreiheit im
Heizungskeller, um die Mindestgeschwindigkeit 100 und um ein ehrliches Ja
zur Gentechnik. Aber lassen Sie uns jetzt reingehen. Der Eröffnungsvortrag
des Herrn Ministers fängt gleich an.“
Der junge Mann an der Eingangskontrolle trägt einen Button: „Wissing ist
Macht“. Und ein Tattoo mit dem Text „Lambo No. 5“. Alles klar.
Zu unserer Verblüffung führt Herr Djamilja uns nicht in einen Vortragssaal,
sondern zu einer telefonzellenkleinen Box. Wir bekommen ein Headset; ein
Assistent klebt außerdem zwei Elektroden an unsere Schläfen. Baran D.
schließt die Tür. Aus den Kopfhörern kommt ein rasendes, hohes Quietschen.
Nach etwas zehn Sekunden reißt unser Guide die Tür wieder auf und strahlt.
„Fertig! Wie gefiel Ihnen der Vortrag?“ Wir schauen ihn erneut an wie ein
Auto. „Ach, Sie kennen VSS noch nicht? Virtual subliminal speech? Der
Vortrag ist jetzt in Ihrem Unterbewusstsein. Die Fragen steigen gleich von
selbst in Ihnen auf. Und ich beantworte sie dann. Öffnen Sie sich einfach.“
„Und wo … ist der Minister?“
„Nicht hier. Anwesenheit ist 20. Jahrhundert. Der Minister hat den
generated speech aber freigegeben.“
Verblüfft stellen wir fest, dass jetzt tatsächlich Vortragsfetzen aus
unserem Unterbewusstsein aufsteigen und sich zu Fragen formen: „Was war das
mit dem Regenwasser?“
„Eine großartige privatwirtschaftliche Initiative. Wir haben ja manchmal
Trockenphasen und manchmal Starkregen. Ein Konsortium wird in einem
Kilometer Höhe über ganz Deutschland eine Plane spannen und das Regenwasser
auffangen. Dann kann es gleichmäßig verteilt werden – an jene, die bereit
sind, dafür ihren finanziellen Beitrag zu leisten. Denn so eine Plane
kostet ja ganz schön. Am Ende schaffen die Technik und der Markt
Wassergerechtigkeit. Ganz ohne Klimahysterie.“
## Ballons gegen Klimahysterie
„Klimahysterie? Halten Sie den CO2-Anteil in der Atmosphäre denn wirklich
für unproblematisch?“
„Keineswegs. Da muss man was machen. Ich favorisiere momentan das
10-Billionen-Ballons-Konzept.“
„Bitte was?“
„Dass Sie das nicht kennen, scheint mir recht ignorant. Wenn jeder Europäer
drei Monate lang täglich einen kleinen Ballon mit einem CO2-Fänger dran in
die Atmosphäre aufsteigen lässt, wird genug wieder rausgefiltert.“
„Ein CO2-Fänger? Wie funktioniert der?“
„Wahrscheinlich so ähnlich wie ein Traumfänger. Das wird sicher gerade
irgendwo von irgendjemandem entwickelt. Genau darum geht es doch bei
Technologieoffenheit: um Vertrauen in das, was vielleicht kommt. Und uns
hilft. Technologieoffenheit kann auch die Besinnung auf bewährtes Altes
heißen. Ich wohne neben einem Moor und heize mit Torf, wie mein
Urgroßvater. In meinen Mietshäusern installiere ich aber demnächst die Öfen
mit dem grünen Punkt.“
„Oh“, wir nicken anerkennend, „eine umweltfreundliche Heizmethode?“
„Kann man so sehen. Es geht um die kleinräumige thermische Verwertung von
Verpackungsmüll. Die gelben Tonnen sind ja wahre Energiebomben. In Plastik
steckt schließlich jede Menge Erdöl.“
„Moment – Sie verbrennen Plastik?!? Und was ist mit der Umweltbelastung?“
Er lächelt: „Sie vergessen eines: Technologieoffenheit heißt nicht
Schornsteinoffenheit. Das Problem bleibt also in den Mietwohnungen.“
„Und was passiert beim Thema ‚Gentechnik‘?“
„Wir sollten endlich zugeben, dass Gentechnik helfen kann bei der
Babyverbesserung. Und auch die Babyzustellung mit Drohnen darf nicht länger
tabuisiert werden. Die dürfen auch gerne einen künstlichen Schnabel haben
und Klappergeräusche von sich geben. Also die Drohnen, nicht die Babys.“
Djamilja redet sich mehr und mehr in Rage. Wir unterbrechen ihn und fragen:
„Gibt es eigentlich Kritik an Ihren Visionen, die Sie nachdenklich macht?“
Er überlegt kurz und lächelt dann überlegen: „Wenn Sie darauf anspielen,
dass manche uns ‚Arschoffenheit‘ bescheinigen – nein, das trifft mich
nicht. Ich bin und bleibe in alle Richtungen offen. Aber jetzt beginnt
erstmal mein Sabbatical. Auf Wiedersehen und danke fürs Kommen.“
Herr D. zieht sich in die Box zurück und legt seine Elektroden an. Die Uhr
an der Außenseite zeigt die Dauer: 30 Sekunden. Höchste Zeit, dass wir hier
wegkommen. Draußen kapern wir einen SUV-großen Aufsitzmäher und geben
Vollgas. Tut uns leid, Ukraine – dieses Schätzchen bekommst du leider
nicht.
12 Jun 2023
## AUTOREN
DIR Oliver Domzalski
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