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       # taz.de -- Miliz tötet Kriegsvertriebene in Kongo: Schlecht versorgt und geschützt
       
       > Bei einem Milizenüberfall in der Provinz Ituri sterben 46 Menschen. Armee
       > und UN-Blauhelme sind nur wenige Kilometer entfernt, aber greifen nicht
       > ein.
       
   IMG Bild: Beisetzung von 62 Toten eines Massakers im Februar 2022: sie wurden von derselben Miliz getötet
       
       Berlin taz | Auf einigen Bildern sind brennende Hütten zu sehen, auf
       anderen reihen sich verkohlte Leichen aneinander, manche sehr klein. 23
       Kinder sollen unter den 46 Toten sein, die ein Überfall der Miliz
       [1][Codeco (Kooperative zur Entwicklung des Kongo)] auf das
       Vertriebenenlager Lala in der nordostkongolesischen Provinz Ituri in der
       Nacht zum Montag gefordert hat. Es gilt als eines der brutalsten Massaker
       in einem Flüchtlingslager in Kongo seit Jahrzehnten.
       
       Die Menschen in Lala gehören zur Volksgruppe der Hema. Die [2][Codeco-Miliz
       rekrutiert sich hauptsächlich aus der Volksgruppe der Lendu]. Mörderische
       Konflikte zwischen den beiden Volksgruppen, angestachelt durch lokale
       Machthaber, erschüttern Ituri seit 1999.
       
       Hema- und Lendu-Milizenführer waren die ersten Angeklagten des
       [3][Internationalen Strafgerichtshofs] in Den Haag, und der Überfall auf
       Lala ereignete sich nur knapp zwei Wochen nach einem Besuch des
       IStGH-Chefanklägers Karim Khan in der Provinzhauptstadt Bunia.
       
       Khan, der zuvor in Kinshasa mit Kongos Regierung ein neues [4][Protokoll
       zur juristischen Zusammenarbeit] unterzeichnet hatte, interessierte sich in
       Bunia für den Fortgang der Aufarbeitung vergangener Verbrechen. Die
       gegenwärtigen Verbrechen beschäftigten ihn nicht.
       
       ## Vorwurf: „Völkermord“
       
       Vergeblich hofften Hema-Vertreter auf einen Besuch Khans in den
       Flüchtlingslagern außerhalb der Stadt. „Wenn der Chefankläger aus Bunia
       abreist, ohne die Opfer zu treffen, wissen die Iturier, dass Kinshasa und
       die UN-Mission in Kongo (Monusco) die eigentlichen Komplizen des laufenden
       Völkermords sind“, [5][schrieb die Vereinigung Amani Ituri auf Twitter].
       
       Den Vorwurf „Völkermord“ erheben Hema-Vertreter regelmäßig, ebenso wie
       Vertreter kongolesischer Tutsi in anderen Teilen Ostkongos. Hema- und
       Tutsi-Gruppen reichten Ende Mai [6][gemeinsam in Den Haag Klage] wegen
       „ethnischer Säuberung mit Völkermordcharakter“ ein.
       
       Ituris Hema sehen sich als Opfer einer Auslöschungskampagne, mit der
       Anführer anderer Ethnien sich Zugriff auf Land sichern wollen. Die Codeco
       wird nach ihrer Überzeugung von Kongos Armee unterstützt, und die Armee hat
       in Ituri seit Verhängung des Kriegsrechts 2021 die politische Macht. Ende
       Mai willigte die Codeco in einen „Versöhnungsprozess“ mit drei anderen
       Milizen ein, allerdings keine Hema-Gruppen.
       
       In Ituri sind nicht nur Hema von Gewalt betroffen: Ende 2022 zählte die
       Provinz gut 1,5 Millionen Kriegsvertriebene, über ein Viertel ihrer
       Bevölkerung, und es werden aktuell wieder mehr. Doch die Angriffe auf Hema
       scheinen systematischer zu sein, und die meisten Hema leben inzwischen in
       Sammellagern, schlecht versorgt und schlecht geschützt.
       
       Lula liegt wenige Kilometer von der Kleinstadt Bule entfernt, wo nach
       UN-Angaben allein zwischen Mitte April und Mitte Mai 70.000 neue
       Flüchtlinge ankamen. In Bule gibt es Dienstleistungen, eine Armeebasis und
       einen UN-Stützpunkt. Sicherheit bringt das offensichtlich nicht. Am 6. Juni
       erst wurden in Plaine Savo, einem anderen Hema-Lager nahe Bule, drei
       Menschen getötet. Plaine Savo war schon im Februar 2022 Schauplatz eines
       fürchterlichen Codeco-Massakers mit 62 Toten.
       
       Nun konnte die Codeco ungestört in der Nacht das von Bule aus gut sichtbare
       Lager Lula in Brand stecken, obwohl Armeesoldaten und UN-Blauhelme nur
       wenige Kilometer entfernt stationiert sind. Von „Verantwortungslosigkeit
       und Willenlosigkeit der Regierung“ [7][spricht Gratien Iracan],
       Wahlkreisabgeordneter für Bunia in Kongos Parlament für die Partei Ensemble
       des aktuell wichtigsten Oppositionsführers Moise Katumbi. Die
       [8][Hema-Kulturvereinigung ENTE] fordert nach dem Massaker von Lala nur:
       „Dass nationale und internationale Sicherheitskräfte die Vertriebenenlager
       schützen.“
       
       13 Jun 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://de.wikipedia.org/wiki/CODECO
   DIR [2] /Krieg-in-Kongos-Goldrevier/!5697532
   DIR [3] https://www.icc-cpi.int/
   DIR [4] https://reliefweb.int/report/democratic-republic-congo/prosecutor-international-criminal-court-karim-aa-khan-kc-concludes-his-first-visit-democratic-republic-congo-signing-new-memorandum-understanding-renewing-cooperation-towards-justice-drc
   DIR [5] https://twitter.com/ITURI_AMANI/status/1663525071372132352
   DIR [6] https://pbs.twimg.com/media/FxPBJ6dWYAEPT14?format=jpg&name=medium
   DIR [7] https://twitter.com/gratieniracan/status/1668283996772487171
   DIR [8] https://twitter.com/desirebarongo/status/1668300158038056966
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dominic Johnson
       
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       worden. Eine Hilfsorganisation verdächtigt die Codeco-Miliz.