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       # taz.de -- Abschied vom Deutschen Theater: „Da muss man Druck aufbauen“
       
       > Intendant Ulrich Khuon verlässt das DT in Berlin und legt in Zürich ein
       > Zwischenspiel ein. Ein Gespräch über Gemeinschaft und Diversität am
       > Theater.
       
   IMG Bild: Für den scheidenden Intendanten des Deutschen Theaters, Ulrich Khuon, ist Arbeit ein Sinnhorizont
       
       taz: [1][Herr Khuon], haben Sie am Deutschen Theater (DT) einen
       Lieblingsort? 
       
       Ulrich Khuon: Ja, das ist ein Platz im Rang, ein Dienstplatz im
       Zuschauerraum. Das ist wichtig, um ein Gefühl zu bekommen für das, was
       passiert zwischen Bühne und Publikum. Das atmet ja. Da merkt man, ob was
       funktioniert, sich überträgt oder nicht. Das ist der schönste Ort. Zumal
       Theaterhäuser eine unglaubliche Bindungskraft haben, auch durch die Zeiten
       hindurch. Man taucht ein, und auch wenn man nur eine Etappe gestaltet, ist
       man doch Teil von etwas, das schon hundert Jahre lang andere gestaltet
       haben und auch in Zukunft gestalten werden. All das spürt man an diesem
       Platz.
       
       Die Frage nach einem Lieblingsort im Theater spielt eine Rolle in der
       Publikation „Kampf ums Paradies“, die zu Ihrem Abschied nach 14
       Spielzeiten am DT erschienen ist. Viele, die hier arbeiten, erzählen von
       ihren Lieblingsplätzen und danken Ihnen, weil sie sich in der Arbeit gut
       unterstützt fühlten. Trotzdem lautet der Titel: „Kampf ums Paradies“. Wofür
       mussten Sie an diesem Theater kämpfen? 
       
       Das ist ein Zitat aus einem tollen Rio-Reiser-Lied, in dem er im Grunde die
       Vergeblichkeit beschreibt. Praktisch war das hier in Berlin kein Kampf. Die
       Politik, das Publikum gingen mit uns mit. Wo der Kampf für mich wichtig
       wird: Wir dürfen nie aufhören, um das gemeinsame Verstehen zu kämpfen. Das
       ist kein Automatismus. Das war ein Missverständnis unter dem Stichwort
       Multikultur: Alle sind da, alle verstehen sich. Die Heterogenität, die
       Diversität, das wissen wir inzwischen, ist kein Selbstläufer. Dass das zum
       Paradies werden kann, das ist eine tägliche Anstrengung. Und die muss sein.
       Die Zusammenarbeit mit den 300 Mitarbeiter:innen ist auch nach zehn
       Jahren nicht so, dass man sagen könnte, ja jetzt läuft es einfach. Man
       kommt nie auf einem Plateau an, wo nichts mehr schiefgehen kann.
       
       Das Buch beginnt mit vielen Inszenierungsfotos, die sehr großzügig
       inszenierte Räume zeigen. Die Aufnahmen sind Totalen, die
       Schauspieler:innen darin klein. Das hat ein visuelles Moment von
       Existenzialismus. Ist das eine Botschaft des Theaters? 
       
       Das ist eine interessante Beobachtung. Die Bilder sollen ja am Anfang auch
       etwas Überwältigendes haben. Mit dem großen Rundhorizont der Bühne haben
       wir eben auch eine Unendlichkeit vor uns. Die einzelnen Menschen bewegen
       sich darin, wie es Tocqueville vor über 170 Jahren beschrieb, mit
       kleinlichen Vergnügungen befasst und ziellos umeinander rum. Das ist die
       eine Beobachtung. Die Gegenbeobachtung, wir haben für jedes Jahr die
       Ensembles abgebildet, ist die Gemeinschaft. Die ist ein permanenter
       Behauptungsvorgang. Wenn wir Gemeinschaft wollen, müssen wir uns
       füreinander interessieren. Wir erleben die existenzielle Ausgesetztheit,
       die metaphysische Obdachlosigkeit gerade sehr stark. Da ist die Kunst ein
       toller Ort, die dem etwas entgegensetzen kann.
       
       Dies ist Ihre letzte Spielzeit als Intendant am Deutschen Theater in
       Berlin, das war lange bekannt. Jetzt folgt überraschend ein neues Kapitel
       als Interimsintendant in Zürich 2024. Also wollen Sie weiterkämpfen? 
       
       Ja, ich bin dankbar für das Angebot. Ich habe schon gemerkt, dass dieser
       Abschied, die Trennung von so vielen Menschen, mir auch schwerfällt. Im
       Grunde ist Zürich auch eine Ablenkung von diesem Problem des
       Abschiednehmens. Und eine Aufgabe, das ist schnell zu merken, die die volle
       Energie braucht. Das benötigt das Interesse an denen, die dort sind, mit
       denen will ich ja arbeiten. Jetzt versuche ich, dieses Terrain auszuloten.
       
       Das Terrain des Theaters Zürich ist von einigen Verwerfungen gezeichnet.
       Den scheidenden Co-Intendanten Benjamin von Blomberg und Nicolas Stemann
       wird zum Beispiel vorgeworfen, zu viel Nischenprogramm gemacht zu haben,
       Stückentwicklungen zu woken Themen. Andererseits haben sie damit teils ein
       neues Publikum gewonnen. Wie sehen Sie den Streit über die inhaltliche
       Ausrichtung des Theaters dort? 
       
       Ich neige dieser Darstellung zu. Sie haben ein neues, junges Publikum
       dazugewonnen. Das hat manchmal die Konsequenz, dass andere dann enttäuscht
       wegbleiben, das habe ich auch schon erlebt. Ich finde den Weg, den sie
       gegangen sind, gut und interessant; vielleicht wurde er zu früh
       abgebrochen. Ich denke, man braucht mehr Zeit. Nach meiner Erfahrung sieht
       man erst so nach drei Jahren, ob es zum Guten kippt oder nicht.
       
       Mehr Zeit haben die beiden Intendanten nicht bekommen. 
       
       Was ich noch nicht beurteilen kann, welche Verwerfungen es außerdem gab,
       welche finanziellen Probleme. Manchmal liegen die Gründe für eine Trennung
       auch im Psychologischen. Da finde ich wichtig, was der italienische Dichter
       Ungaretti mal gesagt hat: „Das unverständlichste Gedicht wendet sich an die
       ganze Welt.“ Selbst wenn ihr mich nicht versteht, ist das nicht meine
       Absicht. Meine Absicht ist, euch zu erreichen. Diese Botschaft müssen wir
       immer wieder rüberbringen, dass wir, selbst wenn wir dunkel, merkwürdig,
       abseitig wirken, Menschen nicht ausschließen wollen, sondern interessieren.
       Man muss auch Geduld haben. Das habe ich hier mit dem Regisseur Sebastian
       Hartmann oder der Autorin Dea Loher erlebt. Zunächst geht kaum einer hin,
       da muss man hartnäckig bleiben.
       
       Diese Hartnäckigkeit hat sich gelohnt, das habe ich an Ihrer Arbeit hier
       auch geschätzt. In Zürich geht es auch um Auslastungszahlen, die nicht gut
       sind. Aber auch um eine Presse, besonders die NZZ, die die Zahlen noch
       schlechter gemacht hat. Wie wollen Sie dem begegnen? 
       
       Also, ich habe ein bisschen geübt. Ich hatte auch Phasen, in denen die
       Presse vieles schlecht fand, was wir machten. Man muss wissen: Wenn ich
       mich öffentlich äußere, urteilt die Öffentlichkeit auch über mich. Das
       erste Theater, wo ich war …
       
       … als Intendant in Konstanz …
       
       … da gab es eine Monopolpresse, den Südkurier. Der hat uns jahrelange
       runtergeschrieben. Alle haben ihn gelesen. Da dachten wir, dann müssen wir
       einen Bypass legen zum Publikum. Bei nur einer Zeitung ist das vielleicht
       leichter. Wir hatten eine starke Gruppenenergie. Man muss drum kämpfen,
       andere Wege zum Publikum zu finden; das ist heute durch die anderen, die
       digitalen Kanäle sogar leichter.
       
       Der Auftrag an die Intendanz in Zürich war auch, für mehr Diversität zu
       sorgen. Dies Anliegen, mehr Milieus anzusprechen, mehr Vielfalt in den
       Geschichten, wurde ja auch in Deutschland in den letzten Jahrzehnten an die
       Theater herangetragen. Was waren in Ihrer Zeit am Deutschen Theater die
       größten Baustellen in dieser Hinsicht? 
       
       Wir haben die Diversität zwischen Osten und Westen, die am DT eine große
       Rolle spielte, auch den Blick nach Osteuropa ganz gut hingekriegt. Auch
       zwischen Alt und Jung haben wir hinzugewonnen, Publikumsgruppen aus
       verschiedenen Generationen kommen. Was die Diversität im Genderbereich
       angeht, hatte ich mittendrin so eine Art Erweckungserlebnis, mit Rosa von
       Praunheim und Bastian Kraft, die hier Stücke zu machen begannen. Da sind
       wir für die queere Community ein Ort geworden. Und, was mir schon in
       Hamburg wichtig war, die Arbeit mit Menschen mit Beeinträchtigungen, dem
       haben wir durch die Verbindung mit dem Ramba-Zamba Theater eine Stetigkeit
       gegeben. Wir haben allerdings kein sehr diverses Ensemble, was die
       Herkünfte angeht: Da haben wir uns auf den Weg gemacht, doch das ist nicht
       ausgeschöpft.
       
       Schon in Hamburg am Thalia Theater und weiter in Berlin haben Sie eine
       Generation von Regisseuren mit aufgebaut, Andreas Kriegenburg, Stephan
       Kimmig, Michael Thalheimer und Armin Petras gehören dazu. Etwas später
       waren es dann auch jüngere Regisseurinnen wie Anne Lenk, Daniela Löffler,
       Jette Steckel. Wie denken Sie, ist die [2][Gendergerechtigkeit am Theater]
       vorangekommen? Ist die Quote notwendig, wie sie sich zum Beispiel das
       Theatertreffen verordnet hat? 
       
       Wenn sich die Welt ohne sie nicht richtig bewegt, dann braucht es sie eben.
       Im Bühnenverein habe ich lange genug gedacht, das kommt so Schritt für
       Schritt. Am Anfang gab es eine Intendantin in unserer Männerrunde, 20 Jahre
       später waren 20 Prozent der Intendant:innen Frauen – aber 80 Prozent
       sind dann immer noch Männer, das geht zu langsam. Da muss man Druck
       aufbauen.
       
       Wie nutzen Sie das Jahr, das zwischen dem Ende Ihrer Intendanz hier und dem
       Beginn in Zürich liegt? 
       
       Da kann ich schon mal üben. Ich gehöre der Generation an, die gerne
       arbeitet, Arbeit ist ein Sinnhorizont. Das muss ich mir langsam
       abtrainieren. Das letzte Jahr ist dann so eine Mischung: Ich bereite Zürich
       vor, die Hälfte der Zeit, und die andere Hälfte kann ich dann genießen, mit
       Freunden und Familie in Berlin.
       
       12 Jun 2023
       
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