URI: 
       # taz.de -- Urteil im Fall Lina E.: Weit ausgeholt
       
       > Selbstjustiz ist nicht zu rechtfertigen. Und doch ist das Strafmaß von
       > fünf Jahren und drei Monaten Gefängnis für die Linksextremistin Lina E.
       > heftig.
       
   IMG Bild: Polizisten mit Spürhund vor der Verurteilung von Lina E. vor dem Oberlandesgericht in Dresden
       
       Natürlich soll das Urteil auch ein Signal sein. Die Leipziger Autonome
       [1][Lina E. wird vor dem Oberlandesgericht Dresden zu gut fünf Jahren Haft
       verurteilt], ihre drei Mitangeklagten bekommen Strafen bis zu gut drei
       Jahren Haft. Eine kriminelle Vereinigung hätten sie gebildet, mehrere
       schwere Angriffe auf Rechtsextreme in Leipzig, Wurzen und Eisenach verübt,
       erklärt das Gericht. Es sind die härtesten Urteile gegen Linksradikale seit
       Jahren in diesem Land.
       
       Und [2][die Bundesanwaltschaft hatte sogar noch höhere Strafen gefordert].
       Bundesinnenministerin Nancy Faeser spricht von „Gewaltspirale“ in der
       Szene, die sich nicht weiterdrehen dürfe. Verfassungsschutzpräsident Thomas
       Haldenwang warnt, der Moment rücke näher, „in dem man auch von
       Linksterrorismus sprechen muss“.
       
       Auch wenn die Bundesanwaltschaft eine noch härtere Strafe für Lina E.
       gefordert hatte: Der Rechtsstaat holt hier weit aus. Und es ist spürbar,
       wie sehr sich einige ein Exempel erhofft hatten. Schon 2019 hatte Sachsen
       eine [3][Soko Linx] gebildet, um nach linken Brandanschlägen und Angriffen
       auf Rechtsextreme endlich Täter zu fassen. [4][Die Verhaftung von Lina E.
       wurde dann sofort hochgehängt]: Die Bundesanwaltschaft übernahm den Fall,
       ließ E. wie eine Terroristin mit einem Hubschrauber zum Haftrichter
       fliegen.
       
       Die Anklage erfolgte vor einem Oberlandesgericht, der höchsten Instanz.
       Zweieinhalb Jahre saß Lina E. bereits in U-Haft – nun sollen weitere
       folgen. Klar ist: Die Angriffe auf die Rechtsextremen waren massive Gewalt,
       die zu schweren Verletzungen führte. Gewalt, die natürlich Strafverfolger
       auf den Plan ruft. Gewalt, die nichts gebracht hat – die meisten
       angegriffenen Rechtsextremen machten auch nach den Angriffen weiter – und
       die durchaus auch [5][in der autonomen Szene kritisch diskutiert wird].
       
       ## Im Zweifel gegen die Angeklagte
       
       Und das Urteil gegen Lina E. ist auch nicht nur ein Exempel: Sie wurde
       direkt nach einem Angriff in Eisenach festgenommen, selbst die Verteidigung
       rechnete in diesem Punkt nicht mit Freispruch.
       
       Bei dieser Strafverfolgung aber muss der Rechtsstaat Maß wahren – und hier
       nährte dieser Prozess Zweifel. Bis zum Schluss konnte kein Opfer oder Zeuge
       die vermummten Angreifer erkennen, gab es bis auf den Eisenacher Angriff
       nur mehrdeutige Indizien und viele Fragezeichen.
       
       Die Bundesanwaltschaft aber kannte nur eine Richtung: Wann immer eine Frau
       am Tatort war, soll es Lina E. gewesen sein. Wann immer ein Indiz vorlag,
       wurde es gegen die Angeklagten ausgelegt. Selbst ein Alibi eines
       Angeklagten, das in den Akten der Bundesanwaltschaft schlummerte, behielt
       die Behörde für sich, versehentlich oder gezielt. Es war jedenfalls die
       Verteidigung, die es ausbuddeln musste.
       
       So funktioniert Rechtsstaat nicht. Bei allem öffentlichen Druck: Wo Zweifel
       sind, müssen diese für die Angeklagten sprechen – und nicht umgekehrt. Das
       Vorgehen der Bundesanwaltschaft unterstreicht aber, wie unbedingt der Wille
       war, endlich eine spürbare Verurteilung gegen die militante autonome Szene
       hinzubekommen.
       
       ## Rechtsextreme Gewalt außen vor
       
       Und es reiht sich ein in eine Strafverfolgungswelle, die auf öffentlichen
       Druck reagiert und selbst der bürgerlichen Letzten Generation Präventivhaft
       und den Vorwurf einer kriminellen Vereinigung einbrachte. Ein Vorwurf, der
       Behörden einen großen Koffer an Ermittlungsmaßnahmen eröffnet. Und der
       längst zum Alltagsinstrument verkommt, was dringend revidiert gehört.
       
       Was zudem [6][im Prozess gegen Lina E.] wenig von Anklage und Gericht
       thematisiert wurde, war die rechtsextreme Gewalt, die schon viel länger
       tobt und immer noch die größere Gefahr ist, gerade in Ostdeutschland und
       speziell in Eisenach. [7][219 Todesopfer durch rechtsextreme] Täter seit
       dem Wendejahr 1990 zählt die Antonio Amadeu Stiftung. Es gab den
       Rechtsterror gegen Walter Lübcke, in Halle und [8][Hanau.] Es gibt den Hass
       im Alltag, der Schicksale zerstört und Angst verbreitet.
       
       [9][1.170 rechte Gewaltdelikte zählte das BKA im vergangenen Jahr], ein
       Anstieg um 12 Prozent. Auf linker Seite waren es 842 Gewalttaten – ein
       Minus von 30 Prozent. Jede dieser Gewalttaten gehört geahndet. Nur leider
       blieb zuletzt oft der Eindruck, dass die Justiz auf rechtsextremer Seite
       keinen derartigen Verfolgungseifer an den Tag legt – sei es in
       [10][Fretterode], [11][Ballstädt] oder Dresden.
       
       Dabei geht es auch anders, wie vor Jahren die Verurteilung gegen [12][die
       rechtsextreme Gruppe Freital] mit Haftstrafen bis zu zehn Jahren zeigte.
       
       Stattdessen nun aber auf brachiale Selbstjustiz zu setzen, kann kein Weg
       sein. Es wird nur zur Verrohung und Eskalation führen. Wozu sie nicht
       führen wird: zu gesellschaftlichen Mehrheiten, die es braucht, um
       Rechtsextremen nachhaltig die Räume zu nehmen.
       
       31 May 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Urteil-gegen-mutmassliche-Linksextreme/!5937929
   DIR [2] /Prozess-gegen-Linksextreme/!5923100
   DIR [3] https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/politik/linke-gewalt-schwere-straftat-soko-linx-lka-102.html
   DIR [4] /Der-Fall-Lina-E/!5758289
   DIR [5] /Berliner-Antifa-Szene-im-Fall-Lina-E/!5934801
   DIR [6] /Prozess-gegen-Lina-E/!5934474
   DIR [7] https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/rassismus/todesopfer-rechter-gewalt/
   DIR [8] /Schwerpunkt-Rechter-Anschlag-in-Hanau/!t5563930
   DIR [9] /58916-Delikte-im-Jahr-2022/!5932762
   DIR [10] /Revision-zu-Fretterode-Urteil-eingelegt/!5881989
   DIR [11] /Milde-Strafen-fuer-Ueberfall-in-Ballstaedt/!5784921
   DIR [12] /Gruppe-Freital/!t5395392
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Konrad Litschko
       
       ## TAGS
       
   DIR Linksextremismus
   DIR Lina E.
   DIR Nazis
   DIR Rechtsextremismus
   DIR GNS
   DIR IG
   DIR Lina E.
   DIR Schwerpunkt Mordfall Walter Lübcke
   DIR Racial Profiling
   DIR Vechta
   DIR Lina E.
   DIR Lina E.
   DIR GNS
   DIR Leipzig-Connewitz
   DIR Leipzig-Connewitz
   DIR Schwerpunkt Rechter Anschlag in Hanau
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR BGH-Urteil zu Lina E.: Haftstrafe für militante Antifaschistin bestätigt
       
       Der Bundesgerichtshof lehnt die Revisionen von Lina E. und der
       Bundesanwaltschaft ab: E. gilt weiter nicht als Rädelsführerin und es
       bleibt bei 5 Jahren Haft.
       
   DIR Waffenverkauf vor Mord an Walter Lübcke: Teil-Freispruch rechtens
       
       Der BGH bestätigt den Teil-Freispruch des mutmaßlichen Verkäufers der
       Mordwaffe Walter Lübckes. Der Mann muss nicht nochmal vor Gericht.
       
   DIR Bundespolizei sucht nach Linken in Zügen: Schaffner sollten Dreadlocks melden
       
       Nach dem Urteil gegen Lina E. wollte die Bundespolizei Infos über linke
       Fahrgäste. Nordwestbahn entschuldigt sich für Liste mit
       Erkennungsmerkmalen.
       
   DIR CDU Vechta will linken Verein canceln: Gefährliche Rhetorik
       
       Der Verein Contra hat mit dem Gedanken gespielt, Nazis mit dem Grundgesetzt
       zu verprügeln. Das war spaßig gemeint. Aber die CDU Vechta ist not amused.
       
   DIR Proteste nach Lina-E.-Urteil: Zittern vor „Tag X“
       
       Nach ihrer Haftverschonung ist Lina E. zurück in Leipzig. Die Polizei dort
       rüstet sich für einen Großeinsatz am Samstag, die Stadt verhängt ein
       Demoverbot.
       
   DIR Proteste gegen Verurteilung von Lina E.: Zusammenstöße in Leipzig
       
       Nach dem Urteil gegen Lina E. und drei Mitangeklagte gehen Linke in vielen
       Städten auf die Straße. Vor allem in Leipzig sind die Proteste eskaliert.
       
   DIR Urteile im Linksextremismus-Prozess: Lina E. wieder frei – vorerst
       
       Der Prozess gegen Antifa-Mitglieder endet mit harten Urteilen gegen
       Linksradikale. Die Hauptangeklagte kommt dennoch erstmal frei.
       
   DIR Urteil gegen mutmaßliche Linksextreme: Mehr als 5 Jahre Haft für Lina E.
       
       Die Autonome Lina E. und weitere Mitangeklagte werden wegen Angriffen auf
       Neonazis zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Faeser warnt vor
       Radikalisierung.
       
   DIR Prozess gegen Lina E.: Hieß Antifa für sie Angriff?
       
       Der Leipziger Autonomen Lina E. und drei Mitangeklagten werden Angriffe auf
       Neonazis vorgeworfen, nun soll das Urteil fallen. Es drohen harte Strafen.
       
   DIR Rechtsextremistisches Attentat von Hanau: Drei Jahre Trauer und Wut
       
       Der Anschlag von Hanau jährt sich zum dritten Mal. Die Angehörigen der
       Opfer von Hanau und München trauern gemeinsam. Ihre Wut bleibt groß.