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       # taz.de -- Nachruf auf Andreas Ehrholdt: Gesicht der Proteste gegen Hartz IV
       
       > 2004 initiierte er in Magdeburg Proteste gegen die Hartz-Gesetze, danach
       > geriet er schnell in Vergessenheit. Am 25. Mai ist Andreas Ehrholdt
       > verstorben.
       
   IMG Bild: Andreas Ehrholdt im März 2011
       
       Berlin taz | Am 25. Mai ist Andreas Ehrholdt im Alter von 62 Jahren
       gestorben. Der Name wird vielen heute nichts mehr sagen. Vor 19 Jahren
       wurde er kurze Zeit zur Person des öffentlichen Interesses. Er hatte im
       Juli 2004 in Magdeburg mit selbstgemalten Plakaten zu Protesten gegen die
       Hartz-Gesetze aufgerufen, die damals von der Regierung des [1][SPD-Kanzlers
       Gerhard Schröder] vorbereitet wurden. Viele arme Menschen, zu denen neben
       Erwerbslosen auch Menschen im Niedriglohnsektor zählten, sahen dadurch
       weitere Schikanen und Sanktionen auf sich zukommen.
       
       Vor allem in Ostdeutschland fand Ehrholdts Parole „Schluss mit Hartz IV,
       denn heute wir und morgen ihr“ viel Anklang. Jeden Montag gingen im
       Spätsommer 2004 unter diesem Leitsatz in fast allen ostdeutschen Städten
       zigtausende Menschen auf die Straße. Sie bezogen sich damit auf die
       Montagsdemonstrationen gegen das autoritäre SED-Regime im Herbst 1989. In
       Westdeutschland wurden damit deutlich weniger Menschen mobilisiert.
       
       Ehrholdt, der nach der Wende trotz vieler Umschulungen erwerbslos war,
       wurde für kurze Zeit das Gesicht und auch die Stimme der Protestbewegung.
       Die aber spaltete sich bald in verschiedene Fraktionen, und Ehrholdt zog
       sich aus der Öffentlichkeit zurück. Der Versuch, mit einer eigenen Partei,
       den „Freien Bürgern für soziale Gerechtigkeit“, in die Politik
       einzusteigen, scheiterte schnell. Später wurde er Mitglied der Linkspartei,
       hatte aber dort keine Funktionen.
       
       Dass er nach seinem Rückzug aus der Öffentlichkeit verbittert war, zeigt
       der Titel seiner Autobiografie, die er im österreichischen Verlag „Novum“
       unter dem Titel „Ihr habt euch selbst verraten“ herausgegeben hat. Sie fand
       kaum Aufmerksamkeit, was zeigt, wie schnell Ehrholdt vergessen wurde.
       
       ## AfD besetzt soziale Frage
       
       Dabei gäbe es heute einige Fragen an ihn. Wie hat er es beispielsweise
       geschafft, eine Protestbewegung zu initiieren, die eindeutig die
       Gerechtigkeitsfrage für alle in den Mittelpunkt stellte? Deswegen
       beteiligten sich auch Linke aller Couleur an den Protesten. Sie sorgten
       auch dafür, dass rechte Gruppen, die durchaus in manchen Städten an den
       Demonstrationen teilnahmen, nicht die Deutungshoheit übernahmen.
       
       Die Diskussion wäre auch deshalb sehr aktuell, weil heute in Ostdeutschland
       [2][die AfD die soziale Frage von rechts besetzt], sich ebenfalls auf die
       Montagsdemonstrationen vom Herbst 1989 bezieht und damit Erfolg hat. Dass
       die Rechten vor 19 Jahren noch kleingehalten werden konnten, ist nicht
       zuletzt auch einem Andreas Ehrholdt zu verdanken. Er sprach viele Menschen,
       die sich nicht als links verstehen, mit seiner Forderung nach
       bedingungsloser Gerechtigkeit an.
       
       6 Jun 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Gerhard-Schroeder-bei-russischem-Empfang/!5930543
   DIR [2] /Extreme-Rechte-gleichauf-mit-SPD/!5938430
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Peter Nowak
       
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