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       # taz.de -- KI in Filmen und Romanen: Die KI versteht dich besser
       
       > Was ist die Künstliche Intelligenz? Rationale Bedrohung? Oder
       > Wunschmaschine? Filme und Romane verwischen die Grenzen zwischen Mensch
       > und Programm.
       
   IMG Bild: Gesicht eines Roboters auf der London Design Biennale
       
       Klara ist eine hilfsbereite Freundin. Selbstlos unterstützt sie die junge,
       schwerkranke Josie darin, ihren Alltag zu meistern. Als sie sieht, wie ein
       reglos daliegender Bettler sich plötzlich aufrafft, als ihn Sonnenstrahlen
       erreichen, schlägt sie der Sonne einen Pakt vor:
       
       Diese solle Josie durch ihre Strahlen heilen, und sie zerstöre im Gegenzug
       einige Licht verdunkelnde, umweltschädliche Maschinen. Tatsächlich wird
       Josie immer gesünder und vergisst ihre Freundin mehr und mehr. Schließlich
       landet Klara auf einem Schrottplatz – eine KI, eine Künstliche Intelligenz,
       die nicht mehr gebraucht wird.
       
       In [1][Kazuo Ishiguros Roman] „Klara und die Sonne“ ist Klara darauf
       programmiert, einem Kind als KF, „Künstliche Freundin“ zu dienen, sie
       verfügt über ein hohes Maß an Empathie und stellt Wohlbehagen und
       Entwicklung ihres Schützlings über alles. Nur eine schöne literarische und
       vor allem blauäugige Vision angesichts der Behauptung von Elon Musk, KI sei
       „potenziell gefährlicher als die Atombombe“?
       
       Musks Warnung knüpft an das Bild der gefährlichen Maschinen und Künstlichen
       Menschen an, die Film und Literatur seit je bevölkern: Statt als dienstbare
       Geister zu agieren, entwickeln sie ein Bewusstsein, reißen die Macht an
       sich und unterjochen die Menschheit – ikonische Bilder lieferte etwa die
       „Matrix“-Reihe der Wachowski-Geschwister, in der durch computergenerierte
       Simulationen sedierte Menschen mit ihrer Körperwärme Strom für die
       diktatorischen Maschinen erzeugen.
       
       Doch jenseits dieser dystopischen Visionen gibt es auch das Bild des guten
       und beseelten Androiden, der uns vielleicht näher ist, als wir es wahrhaben
       wollen. In „Blade Runner“ stellte Ridley Scott bereits Anfang der 80er
       Jahre die Frage, ob die Replikanten nicht eigentlich die humaneren Wesen
       seien. Schöner waren sie auf jeden Fall.
       
       ## Andere Form von Denken
       
       Natürlich verliebte sich der Replikantenjäger, der Blade Runner Deckard, in
       die künstliche Frau Rachel. Dass offenblieb, ob Deckard Mensch oder auch
       Replikant sei, formulierte eine anthropologische Denksportaufgabe, die im
       Zeichen neuer technologischer Entwicklungen aktuell noch an Brisanz
       gewonnen hat: Woran kann man Menschen und Androiden unterscheiden?
       Denkfähigkeit? Kreativität? Emotionalität? Oder ist es die Erinnerung, die
       die Fortsetzung [2][„Blade Runner 2049“] ins Spiel brachte?
       
       Rivalitäten, Machtkämpfe, Identitätsfragen und Gefühlsverwirrungen aller
       Art sind im fiktiven menschlich-nichtmenschlichen Verhältnis nichts Neues.
       Doch seitdem ChatGPT an den Start ging, hat sich der kollektive
       Gefühlshaushalt wuchtig in Richtung deep Angst entwickelt: Diese KI kam und
       weiß offenbar alles, wird sie uns also alsbald ersetzen?
       
       Und bei genauerem Blick wissen wir nicht einmal, wie genau denn sie ihr
       Wissen generiert: Ranga Yogeshwar postulierte jüngst in einer Talkshow,
       dass die KI eine Blackbox sei, in deren Funktionieren man nicht hineinsehen
       könne, es handele sich um „eine andere Form von Denken“. Widerspruch kann
       prompt und scharf: nein, denken könnten nur Menschen.
       
       Interessanterweise verdankt sich Klaras Plan falschen Schlussfolgerungen –
       Irren ist nicht nur menschlich. Als KI muss sie sich die Welt erschließen,
       indem sie Muster deutet. Da der Roman aus ihrer Sicht erzählt wird, nimmt
       die Leserschaft Teil an dieser Art der Weltdechiffrierung und lernt sie wie
       eine menschliche Figur kennen. Dem entspricht, dass sie im Roman zum
       Bestandteil der Familie wird, was zu einem diffusiven sozialen Status
       führt. Eine Nachbarin fragt: „Du bist doch ein Gast? Oder soll ich dich
       behandeln wie einen Staubsauger?“
       
       ## Wie verliebt ist die KI?
       
       Zunehmende Unklarheit herrscht auch im Film „Ich bin dein Mensch“ von Maria
       Schrader. Tom, ein gutaussehender, charmanter und mit britischem Humor
       ausgestatteter Android, soll von Alma auf seine Tauglichkeit als
       Lebenspartner getestet werden. Während Alma nur auf Druck ihres Chefs
       unwillig mitmacht, ist Tom darauf programmiert, sein Gegenüber glücklich
       zu machen – doch was ist Glück für den Menschen? Weiß dieser das selbst so
       genau? Wie in jeder Beziehungskomödie wird aus der anfänglichen Abneigung
       zunehmend Zuneigung, zumindest was Alma betrifft. Denn Tom ist, je nach
       Sichtweise, immer schon verliebt – oder war es nie.
       
       Almas Gefühlsleben ist zwar widersprüchlich, aber bekannt, über Toms
       Gefühlshaushalt kann man nur spekulieren. Wir wissen, dass er Algorithmen
       folgt und sich im Kontakt mit Alma optimiert, um ihren Bedürfnissen zu
       entsprechen, was unter anderem bedeutet, ihr weniger gefallen zu wollen.
       
       Doch zunehmend wird rätselhaft: Was genau sind denn Almas Bedürfnisse? Und
       warum wehrt sie sich dagegen, diese von einem Androiden erfüllt zu
       bekommen, wenn er nicht nur aussieht, sondern sich auch anfühlt wie ein
       Mensch – was sie betrunken in einer schönen Nacht mit Tom herausfindet.
       
       Klara und Tom sind nicht nur keine Staubsauger, sondern stehen für
       Algorithmen, die in den Ängsten vor der übermächtigen KI nicht aufgehen, ja
       ihnen entgegenstehen. Die Angstbilder basieren auf der Vorstellung einer
       überlegenen, sich fortwährend optimierenden Intelligenz, der das
       menschliche Hirn nichts entgegenzusetzen hat, doch Literatur und Film sind
       hier weiter.
       
       Sie koppeln algorithmische Prozesse nicht an rationale und kognitive
       Vorgänge, sondern an unbewusste. Klara und Toms Bemühungen, ihre
       menschlichen Gegenüber zu „verstehen“, werden zu unserem eigenen Blick auf
       uns selbst: Warum nur sind wir nur so seltsam? Was wollen wir eigentlich –
       was will unser „es“?
       
       ## Zeige mir, was ich begehre
       
       Diese Frage könnten Algorithmen vermutlich mittlerweile tatsächlich besser
       beantworten als wir, denn unser Inneres ist längst von Algorithmen
       durchzogen und beeinflusst – vor allem dort, wo es um die Wünsche und ihre
       Erfüllungen geht: Ein Drittel aller Kaufentscheidungen bei Amazon basiert
       beispielsweise auf den Empfehlungen, die eine KI ausgerechnet hat.
       
       Zeige mir, was ich begehren soll, so lautet die Formel der Liebe, die
       Roland Barthes anhand von Goethes „Werther“ beschrieb, offenbar ein
       universaler Algorithmus des Begehrens. So besehen ist die KI weniger
       rationale Bedrohung als unser unbewusstes Pedant, unsere algorithmische
       Wunschmaschine – eine Black Box im Sinne von: KI ist ein Anderer.
       
       Damit wäre die KI ein opaker Raum, eine riesige Datenwolke, die uns
       unablässig begleitet, präsent, aber unsichtbar und nicht bewusst. Gespeist
       und gefüllt wird dieser Raum nicht zuletzt durch den permanenten Blick in
       den black mirror der Smartphones – die technologische Spiegelphase einer
       neuen Subjektwerdung. Nicht mehr im Gegenüber eines menschlichen Blickes
       werden wir zu Ichs, sondern in einer kontinuierlichen medialen
       Reinszenierung stabilisieren und formen wir uns – und produzieren in der
       Nutzung von Apps riesige Datenmengen, die den KIs zur gefälligen Sortierung
       überlassen werden.
       
       ## Besitze dein Unbewusstes
       
       Die amerikanische Autorin Jennifer Egan sieht uns in ihrem [3][Roman „Candy
       House“] im technologischen Knusperhäuschen gefangen. Die neueste Erfindung
       in diesem Near-Future-Roman ist die App „Own Your Unconscious“, mit der man
       die eigenen Erinnerungen in eine Cloud hochladen und – wenn man zustimmt,
       sie mit allen zu teilen – auch die aller anderen durchforsten kann.
       
       „Besitze dein Unbewusstes“ ist ein sehr ironischer Name bzw. ein falsches
       Versprechen: Das Unbewusste ist nicht bewusst und kann deshalb auch kaum
       besessen werden. Teilt man diese Dimension der menschlichen Subjektivität
       allerdings mit allen, so ist dies nicht nur das Ende der Privatsphäre, es
       entsteht auch ein kollektives Unbewusstes, verwaltet und organisiert durch
       eine KI.
       
       Ted Chiang hatte bereits 2013 in seiner Erzählung „The Truth of Fact, the
       Truth of Feeling“ ein Programm imaginiert, das Erinnerungen aufzeichnen und
       abrufen kann – allerdings verändert es langfristig das menschliche Gehirn
       und ersetzt form- und damit fehlbare Erinnerungen durch perfekte digitale
       Archive. Statt Ängste vor einer selbstlernenden KI zu haben, sollten wir
       uns vielleicht eher vor unserem digitalen Anderen fürchten: Own your
       uncouscious – before it owns you!
       
       17 Jun 2023
       
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