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       # taz.de -- Erinnerung an jüdischen Fußballer: Von St. Pauli nach New York
       
       > Das FC St. Pauli Museum hat die Biografie des jüdischen Fußballers Max
       > Kulik rekonstruiert. Sie erzählt von NS-Terror, Flucht und Exil.
       
   IMG Bild: Die 1. Mannschaft des FC St. Pauli 1916. Kulik ist der Dritte von links in der hinteren Reihe
       
       Hamburg taz | Dass der FC St. Pauli in seinen Anfängen um 1902 noch
       Hamburg-St. Pauli Turnverein hieß, dürfte auch Hamburger*innen heute
       nicht unbedingt als Erstes in den Kopf schießen, wenn sie an den Verein mit
       dem braun-weiß-roten Logo denken. Wer damals bei St. Pauli Fußball spielte,
       vermutlich noch viel weniger. Die Geschichte der vielen jüdischen
       Vereinsmitglieder vor und während der NS-Diktatur wurde bislang kaum
       erzählt und blieb unbekannt. Viele Lebenswege von jüdischen Fußballern
       sind heute vergessen, obwohl sie eine wichtige Rolle im Verein spielten.
       
       [1][Ein Team des FC St. Pauli-Museums] hat nun die Biografie eines
       jüdischen Fußballers und Arztes rekonstruieren können. Die
       Sonderausstellung „Fußball. Flucht. Exil.“ beleuchtet [2][das Leben von Max
       Kulik].
       
       „Wir wussten bisher kaum etwas über die jüdischen Mitglieder des FC St.
       Pauli. Ich freue mich, dass wir nach einiger Forschung viele Lücken
       schließen können“, sagt Christoph Nagel, Vorstand des Museums, bei der
       Eröffnung der Ausstellung. „Das Leben von Max Kulik ist unfassbar –
       einerseits, weil es so vielschichtig ist, andererseits, weil es so schwer
       war, alles über ihn herauszufinden.“, sagt Nagel.
       
       Im Sommer 1913 tritt der 15-jährige Max in die Fußballabteilung des
       Hamburg-St.Pauli Turnvereins ein – und schafft es als kleiner, aber flinker
       Stürmer innerhalb von zwei Jahren in die Stammelf der 1. Mannschaft. Er
       engagiert sich im Verein, nimmt an Versammlungen teil und organisiert den
       Spielbetrieb am Millerntor. 1917 zieht Kulik mit 18 Jahren in den Ersten
       Weltkrieg. Dort spielt er in seinem Regiment neben Otto „Tull“ Harder
       Fußball. Harder wird Jahre später Aufseher des Konzentrationslagers
       Neuengamme werden.
       
       ## 1933 beginnt der Terror
       
       Nach dem Krieg studiert Kulik Medizin und beginnt 1920 im Eimsbütteler
       Turnverein (ETV). Jüdische Sportler*innen werden vermehrt ausgegrenzt
       und angefeindet. Kulik bleibt aber beim ETV und feiert sportliche Erfolge.
       Er taucht häufiger in der Presse auf und wird dabei als einer der
       talentiertesten Spieler auf dem Platz bezeichnet. Kulik studiert Medizin,
       wird Arzt und eröffnet 1926 seine eigene Praxis in Hamburg.
       
       1933 beginnt der staatlich organisierte Terror gegen die jüdische
       Bevölkerung. Kulik verlässt schon bald den ETV. „Dieser Bruch in Max Kuliks
       Biografie hat mich bei der Recherche besonders mitgenommen“, erzählt
       Christopher Radke, Projektleiter und Kurator der Ausstellung. „Er war ein
       beliebtes Vereinsmitglied, pflegte kameradschaftliche Verhältnisse zu
       seinen Mitspielern und plötzlich ist da diese Ablehnung, als sei man ist
       nichts mehr wert.“
       
       Auf Tafeln zeichnet die Ausstellung in Bildern, Texten und mit digitalen
       Begleitinformationen den Weg Kuliks nach, von seiner erfolgreichen Zeit als
       Fußballer bis hin zur Ausgrenzung durch das NS-Regime, seiner Verhaftung
       durch die Gestapo im Februar 1938 und seiner Flucht nach Frankreich,
       gemeinsam mit seiner Frau Louise im gleichen Jahr. Kulik führt es in die
       französische Fremdenlegion, vermutlich um den schlimmen Bedingungen, die in
       französischen Flüchtlingscamps herrschten, zu entgehen.
       
       Die Ausstellung erzählt, wie er einen Platz auf einem der letzten Schiffe
       nach Amerika ergattert und über einen Umweg über Trinidad in New York
       landet. Auch in den USA begegnen ihm als Verfolgtem des NS-Regimes bis zum
       Kriegsende Feindseligkeiten. 1943 eröffnet er seine eigene Praxis in New
       York. Mit 61 Jahren stirbt er.
       
       Trotz der umfangreichen Nachbildung von Kuliks Leben gibt es – gerade in
       Bezug auf die Zeit der Flucht – immer noch einige Lücken und unbekannte
       Details in seiner Geschichte. Alle Informationen zu finden und
       zusammenzufügen, sei nicht einfach gewesen: „Das war eine richtige
       Puzzlesuche durch Tageszeitungen, Bücher und Aufzeichnungen“, berichtet
       Kurator Radke. Im Januar startete er gemeinsam mit Celina Albertz und
       Thomas Glöy, beide ebenfalls vom FC St. Pauli-Museum, das Projekt und die
       Recherche.
       
       ## Erste eigene Forschung
       
       Es ist nicht die erste Ausstellung, [3][die sich mit der NS-Vergangenheit
       des Vereins auseinandersetzt]. Das FC St. Museum hat bereits 2017 „Fußball
       in Trümmern. Der FC St. Pauli im ‚Dritten Reich‘“ gezeigt. [4][2020 folgte
       eine Weiterentwicklung]: „FC St. Pauli: Lebenswege 1933 bis 1945.“ Die
       Ausstellung zeigte, wie der Verein in der NS-Zeit mitschwamm, welche Täter
       es im Verein gab.
       
       Die Ausstellung über Max Kulik sei aber die erste, die das Museum mit
       eigener Forschung realisieren konnte, sagt Radke. Kuliks Biografie bilde
       erst den Anfang. Radke sieht den Verein und das Museum in der
       Verantwortung, die damalige Ausgrenzung und Verfolgung jüdischer
       Sportler*innen mehr aufzuarbeiten. „Wir wollen weiterforschen und gehen
       davon aus, dass es bei uns im Verein mindestens noch 30 bis 40 weitere
       relevante Lebensgeschichten von jüdischen Mitgliedern zu erzählen gibt.“
       Bei der Recherche zu Kulik seien Albertz, Glöy und Radke auf 150 jüdische
       Mitglieder gestoßen, die damals im FC St. Pauli aktiv waren.
       
       In der Sonderausstellung steht auf einer der Infotafeln: „Erinnern heißt
       Verändern“. Am 10. Juni hätte Kulik seinen 125. Geburtstag gefeiert. Je
       mehr Zeitzeugen verschwinden, desto wichtiger wird das Erinnern. Kuliks
       Lebensweg ist einer von vielen und doch erzählt er viel über den NS-Terror
       und die Geschichte des Holocaust.
       
       19 Jun 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.fcstpauli-museum.de/
   DIR [2] https://www.fussballmuseum.de/juedische-fussballer/lexikon/mehr/272?cHash=bdda2acae7b4182e87e5d37b548ca9ec
   DIR [3] /!368958/
   DIR [4] /Mit-den-Nazis-arrangiert/!5653750/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Emily Kietsch
       
       ## TAGS
       
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