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       # taz.de -- Untersuchungsausschuss zum NSU: „Ich war nur der dumme Laufjunge“
       
       > Zum ersten Mal sagt der NSU-Helfer André Eminger aus - im bayrischen
       > U-Ausschuss zur Terrorserie. Er beschreibt sich als unpolitisch und
       > versoffen.
       
   IMG Bild: Weiter offene Fragen zum NSU-Terror: zivilgesellschaftlicher Protest im November 2021 in Zwickau
       
       München taz | Es ist der letzte Zeuge, und natürlich haben die Mitglieder
       des NSU-Untersuchungsausschusses im bayerischen Landtag einige Hoffnung auf
       die Aussage von [1][André Eminger] gesetzt. Schließlich wurde der Mann
       mitunter sogar als der [2][vierte Mann des NSU] bezeichnet, und es hieß, er
       sei mittlerweile aus der Neonazi-Szene ausgestiegen.
       
       Beste Voraussetzungen eigentlich dafür, dass da mal einer wirklich
       auspackt. Doch dass mit dieser Aussage nicht viel anzufangen sei, wurde bei
       der Befragung schon recht schnell deutlich. Und während der ersten
       anderthalb Stunden der Befragung bleibt sie auch sehr unergiebig.
       
       Während des gesamten NSU-Prozesses hatte Eminger geschwiegen, ein Recht,
       dass ihm als Angeklagtem zustand. Auch am Montagnachmittag will Eminger
       zunächst von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen – mit Verweis
       darauf, dass ein Verfahren gegen seine Frau noch nicht eingestellt sei.
       Doch dann muss er sich vom Ausschussvorsitzenden Toni Schuberl erst einmal
       darauf aufmerksam machen lassen, dass er ein solches Recht vor dem
       Ausschuss gar nicht habe. Er könne nur die Aussage auf einzelne Fragen
       verweigern, sollte er sich mit der Antwort selbst belasten.
       
       ## Opfer waren entsetzt
       
       An wenig will sich Eminger dann noch erinnern können und an das Wenige auch
       nur vage. „Das hätten wir vor 15 oder 20 Jahren mal besprechen müssen“,
       sagt er einmal zu Schuberl. „Aber jetzt ist das zu lange her.“ Vor allem
       scheint es dem 43-Jährigen darum zu gehen, seine Rolle zu relativieren.
       Unzählige Male sagt er: „Ich war da 18.“ Damals, als er das bereits im
       Untergrund lebende Terroristentrio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate
       Zschäpe kennengelernt hat.
       
       Nach Ansicht der Bundesanwaltschaft war Eminger jedoch eine zentrale Figur
       im NSU-Umfeld. Er hatte die Terroristen 13 Jahre lang unterstützt, für sie
       Wohnmobile angemietet, eine Wohnung und Bahncards besorgt, am Ende auch
       Beate Zschäpe bei der Flucht geholfen. Wegen Unterstützung einer
       terroristischen Vereinigung wurde er vor fünf Jahren zu zweieinhalb Jahren
       Gefängnis verurteilt, aber schon vorzeitig entlassen.
       
       Die Opferfamilien waren [3][über das milde Urteil entsetzt]. Die
       Bundesanwaltschaft hatte zwölf Jahre Haft gefordert. Das Gericht wollte der
       Argumentation der Anklage jedoch nicht folgen, und auch der
       Bundesgerichtshof [4][lehnte Ende 2021 eine Revision gegen das Urteil ab].
       Aus Sicht des Oberlandesgerichts München war alles halb so wild, Eminger
       habe lange Zeit gar nichts von dem wirklichen Treiben des Mördertrios
       gewusst und beispielsweise geglaubt, die Wohnmobile dienten Urlaubsreisen.
       
       ## Seit einem Jahr im Aussteigerprogramm
       
       Wenn auch über die Beteiligung Emingers Uneinigkeit bestand, an seiner
       Gesinnung bestanden keine Zweifel: Eminger wurde von seinen eigenen
       Anwälten im Prozess [5][als „Nationalsozialist mit Haut und Haaren“
       bezeichnet], und das scheint keine Übertreibung gewesen zu sein. In der
       Neonazi-Szene war er tief verwurzelt, seinen Körper „zierten“ viele
       rechtsextreme, zum Teil auch strafbare Tattoos. So hatte er sich auf seinen
       Bauch die Worte „Die Jew Die“ tätowieren lassen.
       
       Die [6][Süddeutsche Zeitung] berichtete im Mai, Eminger befinde sich seit
       Juli 2022 im sächsischen Aussteigerprogramm. Zunächst habe er im Rahmen der
       Gerichtsauflagen zur Haftverschonung, dort drei Gespräche geführt. Dann sei
       Eminger allerdings freiwillig im Programm geblieben. Inzwischen habe er
       seine Kontakte zur Szene gekappt, höre keinen Rechtsrock mehr, und seine
       Tätowierungen habe er entfernen oder unkenntlich machen lassen.
       
       Kariertes Hemd, blaue Jeans, breites Sächsisch: Eminger sitzt im
       Zeugenstand, seinen Anwalt neben sich, und will die Parlamentarier etwa
       glauben machen, dass er sich den Spruch „Die Jew Die“ nur habe tätowieren
       lassen, weil ihm ein gleichlautendes Lied einer englischen Band gut
       gefallen habe. So gut Englisch habe er gar nicht gekonnt, dass er das
       übersetzen hätte können. Er sei eben der dumme Zwilling, sagt er in
       Anspielung auf seinen ebenfalls szenebekannten Zwillingsbruder. „Ich war
       18, ich war ein Skinhead. Ich bin viel saufen gegangen, hatte eigentlich
       nur Interesse an Konzerten.“
       
       ## „Vermutlich verblendet“
       
       Würde er sich heute nicht mehr als Nationalsozialist mit Haut und Haaren
       bezeichnen, fragt Schuberl. „Ganz im Gegenteil“, behauptet Eminger. „Ich
       bin unpolitisch. Ich will ein ganz normales Leben führen. Ich habe mich
       wirklich gewandelt.“ Dass ihm das nicht jeder abnimmt, will er nicht
       verstehen. „Jeder Mensch hat eine zweite Chance verdient. Wenn ich
       Linksextremist gewesen wäre, hätte ich jetzt wahrscheinlich eine Anstellung
       im Bundestag.“ Irgendwann sagt Schuberl über Emingers Versuch, sich als
       gänzlich unpolitischen Menschen hinzustellen: „Da fühle ich mich verarscht,
       Entschuldigung.“
       
       Und als Schuberl ihn nach verschiedenen Personen aus Szene und NSU-Umfeld
       fragt, sagt Eminger, die Namen sagten ihm nichts, aber vielleicht könne er
       sich erinnern, wenn er Bilder sehe. Als man ihm schließlich Bilder zeigt,
       entschuldigt er sich: Gesichter könne er sich leider schlecht merken.
       
       Von den Morden habe er nichts mitbekommen. Er sei nur der „dumme Laufjunge“
       gewesen. Ob er denn Fragen gestellt habe, warum das Trio untergetaucht sei?
       Fehlanzeige. Es habe wohl mal geheißen, dass einer von ihnen,
       wahrscheinlich Böhnhardt, einen Haftbefehl habe. „Ich bin nicht so ein
       Mensch, der viel nachfragt.“ Erst 2007 habe ihm Zschäpe dann von den
       Banküberfällen des NSU erzählt. „Ich weiß auch nicht, warum ich nicht zur
       Polizei gegangen bin. Das muss Verblendung gewesen sein.“
       
       19 Jun 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /NSU-erneut-vor-Gericht/!5815879
   DIR [2] /Andre-Eminger-im-NSU-Prozess/!5432565
   DIR [3] /Revision-zu-NSU-Urteil-abgewiesen/!5822522
   DIR [4] /Das-NSU-Urteil-gegen-Andre-Eminger/!5819357
   DIR [5] /Andre-Eminger-im-NSU-Prozess/!5432565
   DIR [6] https://www.sueddeutsche.de/politik/nsu-terror-andre-eminger-neonazi-resozialisierung-rechtsextremismus-1.5844562?reduced=true
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dominik Baur
       
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