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       # taz.de -- Klage wegen sexuellen Missbrauchs: Erzbistum beantragt Klageabweisung
       
       > Vor dem Traunsteiner Landgericht klagt ein Missbrauchsbetroffener. Die
       > Richterin sieht eine Mitschuld des Ex-Papstes.
       
   IMG Bild: Schlüsselanhänger mit dem Porträt von Papst Benedikt XVI. und einem Rosenkranz
       
       Berlin taz | Dass der Priester Peter H. pädophil ist und jahrezehntelang
       mindestens 29 Kindern sexuelle Gewalt antat, fiel spätestens das erste Mal
       1979 in Essen auf. Eltern betroffener Kinder wandten sich an dessen
       Vorgesetzten. Später wird unter anderem durch Berichte Betroffener klar: Es
       gab ein schreckliches Davor und ein Danach, das hätte verhindert werden
       können. Auch vor dem Bekanntwerden seiner Taten in Essen hatte H. in einer
       Gemeinde in Bottrop Kinder missbraucht. Nach 1979 wird er es jahrelang
       weiter tun. Immer wieder wird er zwischen 1973 und 2010 von Gemeinde zu
       Gemeinde versetzt. Manchmal ohne Aufklärung der neuen Gemeinde, wieso die
       Versetzung „nötig“ war.
       
       Andreas Perr, der Mitte der 1990er Jahre im Pfarrhaus von Garching an der
       Alz von Priester H. missbraucht wurde, klagt nun gegen ihn und das Bistum
       München-Freising vor dem Traunsteiner Landgericht.
       
       In dem am Dienstag eröffneten Verfahren am Landgericht Traunstein forderte
       er eine Entschädigung in Höhe von 300.000 Euro vom Erzbistum. Zuvor hatte
       er auch von den Erben des im April gestorbenen Papstes Benedikt XVI.
       Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 Euro gefordert. Denn als Erzbischof
       [1][Kardinal Ratzinger war er mit seiner Tätigkeit in München 1980 in die
       Vertuschung des Missbrauchs durch Priester H. verstrickt.] Das Verfahren
       gegen ihn wurde allerdings einen Tag vor dem Start des Prozesses
       abgetrennt, weil auch ein halbes Jahr nach dem Tod des emeritierten Papstes
       unklar ist, wer seine Rechtsnachfolge antritt. Eine Cousine hatte das Erbe
       zuvor ausgeschlagen.
       
       Die vorsitzende Richterin Elisabeth Nitzinger-Spann sah es am Dienstag als
       bewiesen an, dass Kardinal Joseph Ratzinger eine Mitschuld an dem
       Missbrauch treffe. Er habe „entsprechend Kenntnis von dem Vorleben“ des
       Priesters gehabt, so die Richterin.
       
       ## Erst die Missbrauchsaufdeckung bringt Konsequenzen
       
       Denn in Essen reagierte man 1979 auf die Vorwürfe gegen Priester H. mit
       Vertuschung: Es wurde eine Anfrage ins Bistum München und Freising
       gestellt. Könne H. dort als Priester eingesetzt werden, wenn er sich einer
       „Therapie“ unterziehe? Nach einer Recherche der New York Times aus dem Jahr
       2010 soll dieser „Deal“ direkt zwischen den beiden zuständigen Bischöfen
       gemacht worden sein: Bischof Kardinal Franz Hengsbach in Essen und
       Erzbischof Kardinal Ratzinger in München – der [2][spätere Papst Benedikt
       XVI.] Auch soll Ratzinger einen Brief unterzeichnet haben, in dem er
       gestattete, dass Priester H. seine Messen mit Traubensaft statt Messwein
       feiern dürfe. Diese Regelung wurde vom Münchner Erzbistum erbeten, mit dem
       Hinweis, dass H., wenn er trank, Kindern gegenüber übergriffig wurde.
       [3][Details dazu gibt es in einer Recherche von Correctiv].
       
       Nach seiner Versetzung konnte Priester H. in mehreren bayrischen Gemeinden
       Kindern unbehelligt sexuelle Gewalt antun. Erst 1986 wurde er nach Anzeigen
       von Eltern zu einer Bewährungsstrafe wegen Kindesmissbrauchs verurteilt. Zu
       einem Zeitpunkt, an dem seit Jahren Kirchenverantwortliche von seinen Taten
       wussten. 2010 wurde er dann im Zuge des [4][Bekanntwerdens des
       Missbrauchskandals] in den Ruhestand geschickt.
       
       Erst 2016 wurde Priester H. „kirchenintern“ verurteilt. „In einem geheimen
       kirchlichen Gerichtsverfahren wurde er wegen des Missbrauchs von sieben
       Jungen zu einer Geldstrafe und zum Verbot, das Priesteramt auszuführen,
       verurteilt“, schreibt [5][Correctiv]. Der Fall von Priester H. ist das
       schaurige Paradebeispiel der Vertuschungstaktik in der katholischen Kirche
       und der funktionierenden Männerbündnisse, die nur eines wollten: die
       Institution Kirche und das Ansehen des Papstes schützen.
       
       ## Hoffnung auf höhere Entschädigungen
       
       Andreas Perr wird auf eine Entscheidung über die Entschädigungszahlung noch
       warten müssen. Der Anwalt des Erzbistums München-Freising beantragte, die
       Klage auf Schmerzensgeld von Perr abzuweisen. Es gebe aber eine
       Bereitschaft, sich mit dem Kläger zu einigen. Dass dem Kläger
       Schmerzensgeld und Schadenersatz zustehen, sei klar, sagte zuvor auch die
       Richterin bei der Erläuterung ihrer vorläufigen Rechtsauffassung. „Es
       stellt sich nur noch die Frage nach der Höhe des Anspruchs.“ Perr und seine
       Anwälte haben nun zwei Wochen Zeit, um die Folgeschäden, die der Missbrauch
       bei dem Kläger auslösten, darzulegen. Wie das Verfahren weitergehen wird,
       soll am 14. Juli bekannt gegeben werden.
       
       Hoffnung auf eine angemessenere Entschädigungszahlung brachte für viele
       Missbrauchsopfer eine [6][Entscheidung des Landgerichts Köln am Dienstag]
       vor einer Woche: Gerichtlich wurde entschieden, dass das Erzbistum Köln dem
       Missbrauchsbetroffenen Georg Menne 300.000 Euro Schmerzensgeld zahlen soll.
       Der Kläger hatte ursprünglich rund 750.000 Euro gefordert.
       
       Er war laut Klageschrift in den 70er Jahren in mehr als 300 Fällen von
       einem katholischen Priester missbraucht worden. Das Kölner Urteil ist noch
       nicht rechtskräftig, könnte aber, wenn dagegen keine Rechtsmittel eingelegt
       werden, danach auf andere Anerkennungsleistungen an Opfer sexueller Gewalt
       in der katholischen Kirche Einfluss nehmen. Die Unabhängige Kommission für
       Anerkennungsleistungen (UKA) hatte zuvor nur wenigen Betroffenen mehr als
       50.000 Euro zugesprochen. Die Betroffenen können ihre Fälle nach dem
       Abschluss des Verfahrens in Köln neu prüfen lassen. (mit dpa)
       
       20 Jun 2023
       
       ## LINKS
       
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