URI: 
       # taz.de -- Oper „Nixon in China“ in Hannover: Trottel wie wir
       
       > Die Staatsoper Hannover inszeniert John Adams’ „Nixon in China“. Das
       > Geschichtsbücherseiten füllende Personal kommt dabei ziemlich schlecht
       > weg.
       
   IMG Bild: Händeschütteln für die Medien: Szene aus „Nixon in China“, die Peking im Jahr 1972 nachbildet
       
       Man könnte von den ersten Malen sprechen: „Nixon in China“, erstmals
       aufgeführt 1987, war die erste Oper eines heute weltbekannten Komponisten –
       noch dazu eines bekennenden Verschmähers, ja: Hassers der Gattung, das
       [1][erzählt John Adams zumindest manchmal]; heute freilich stellen seine
       Stücke einen beträchtlichen Anteil an den überhaupt in den USA aufgeführten
       Opern. Innerhalb seines Werkkorpus war es notwendigerweise auch das erste
       Mal, dass er einen aus den Nachrichten bekannten Stoff verarbeitete. Folgen
       sollte etwa 1991 [2][„The Death of Klinghoffer“] über einen antisemitischen
       Terrorakt.
       
       Es war die Interpreten zufolge erste Oper, geschrieben [3][„für ein
       Publikum, das im Fernsehzeitalter aufwuchs“]. Anderen Stimmen nach war
       „Nixon …“ [4][das erste Musiktheaterstück, das von noch lebenden, realen
       Personen handelte], im Unterschied zu toten Monarchen oder gleich
       göttlichem Personal. Und auch die Inspiration stiftende Handlung war ja ein
       gern als „historisch“ bezeichnetes erstes Mal gewesen: der Staatsbesuch des
       konservativen US-Präsidenten Richard Nixon in der Volksrepublik China im
       Jahr 1972. Von einem Moment so einzigartig „wie die Mondlandung“ soll Nixon
       selbst gesprochen haben. Außenpolitische Erfolgsbilder brauchte der Mann da
       aber auch dringend.
       
       Erklären solche Hinweise die Popularität des nicht arg erfolgreich
       gestarteten Stücks? Die Inszenierung in Hannover ist allein in Deutschland
       nur eine von mehreren in diesem Jahr: Es gab eine [5][in Dortmund], in
       Koblenz wurde das Stück gar [6][in einer Mehrzweckarena] aufgeführt; Anfang
       2024 steht es [7][in Stuttgart] wieder auf dem Spielplan, in rund einem
       Jahr [8][in Berlin]. Auch in Paris und Madrid kam es im Frühjahr auf die
       Bühnen.
       
       Adams, Jahrgang 1947 und allgemein unter die großen Vier der Minimal Music
       gezählt, spricht von einer „heroischen Oper“ – was sich aber nicht erst als
       trügerisch herausstellt, wenn man ihn mal darüber reden hört, dass der
       echte Nixon Leute wie ihn ja nach Vietnam schicken wollte. Nein, es ist
       einfach wenig Heldenhaftes zu sehen auf der Bühne: Die großen,
       Geschichtsbücherseiten füllenden Figuren – Nixon (Mark Stone), Mao (Daniel
       Norman), [9][Kissinger] (Michael Kupfer-Radecky) – kommen als ziemliche
       Trottel daher.
       
       Das Heroische tritt hier vor allem als Fassade auf, den Gesetzmäßigkeiten
       des (noch geradezu unschuldig wirkenden) Zeitalters der elektronischen
       Massenmedien folgend: „Just now, the world was listening“, das ist eine von
       Nixons ersten Zeilen, noch bei der Ankunft in Peking.
       
       „Die Inszenierung hat wenig zu tun mit der Realität des Staatsbesuchs
       1972“, lässt nun Regisseur Daniel Kramer [10][im Programmheft] wissen.
       „Mein Interesse als Regisseur ist es, den heutigen Kontext, die Bezüge zu
       unserer heutigen Realität zu suchen.“
       
       Erst mal setzen Bühne (Lizzie Clachan) und Kostüm (Esther Bialas) aber sehr
       wohl darauf, alte Bilder in Erinnerung zu rufen – denn das ist ja auch so
       ein Effekt von Stoff und Alter des Stücks: Es können im Publikum noch
       Menschen sitzen, die all das demonstrative Händeschütteln damals gesehen
       haben. Das giftige Grün, das das Produktionsdesign dominiert, verweist just
       auf 1972: Da wurde der Farbton festgelegt, der bis heute für den
       Greenscreen genutzt wird – eine Möglichkeit, ganze Weltreisen im TV-Studio
       zu behaupten.
       
       Ein Weg aus der sachte drohenden Retrofalle? Ausdrücklich anzuspielen aufs
       heutige, immer noch komplizierte Verhältnis zwischen Washington und Peking
       (und, im Hintergrund, auch Russland beziehungsweise der Sowjetunion). Zumal
       bei einem respektlos bis clownesk angelegten US-Präsidenten als Hauptfigur
       muss post 2016 die Versuchung groß sein, irgendwas mit Trump reinzurühren.
       Beides geschieht nicht – zum Glück.
       
       Am Ende ist das Stück (Libretto: Alice Goodman) keine politische Analyse,
       auch wenn wir danach nie wieder solche Erörterungen über den wahren
       Marxismus oder das Links-Rechts-Schema vorgesungen bekommen haben dürften.
       So wie Adams’ Musik [11][die reine Minimalismus-Lehre] aufweicht in mehrere
       Richtungen – neben beinahe wagnereskem Dröhnen auch zum Jazz etwa –, so
       gerät die Weltpolitik zunehmend zum Klamauk, grundiert von ganz privater
       Befindlichkeit.
       
       Kommt man historisch belehrt aus diesen ereignisreichen, auch lauten,
       überzeugenden knapp drei Stunden? Hat man etwas gelernt übers Politische an
       sich? Nur vielleicht – aber das ist kein Nachteil.
       
       22 Jun 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.youtube.com/watch?v=2YvXt3tlFPo
   DIR [2] /Archiv-Suche/!277979/
   DIR [3] https://www.musicwithease.com/adams-nixon-in-china.html
   DIR [4] http://files.coc.ca/studyguides/cocnixoninchinastudyguide10-11.pdf
   DIR [5] https://www.nmz.de/online/politik-braucht-die-grosse-buehne-nixon-in-china-von-john-adams-in-dortmund
   DIR [6] https://www.nmz.de/online/auch-in-koblenz-ueberzeugt-nixon-in-china-am-ungewoehnlichen-ort
   DIR [7] https://www.staatsoper-stuttgart.de/spielplan/a-z/nixon-in-china/
   DIR [8] https://deutscheoperberlin.de/de_DE/calendar/nixon-in-china.17580481
   DIR [9] /Archiv-Suche/!269914
   DIR [10] https://doc.culturebase.org/dox/3/b/7/3/2/3b732aba1d4cad8dc619e123a3c065c964760e44eaeaa7.32033839.pdf
   DIR [11] /Minimal-Music/!t5630064
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alexander Diehl
       
       ## TAGS
       
   DIR Oper
   DIR Minimal Music
   DIR Hannover
   DIR China
   DIR US-Außenpolitik
   DIR Diplomatie
   DIR Oper
   DIR Klassische Musik
   DIR Tischtennis
   DIR Oper
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Bremer Oppenheimer-Oper „Doctor Atomic“: Der ganz große Countdown
       
       Zwei Tage, die die Welt veränderten: John Adams' Oper „Doctor Atomic“
       überzeugt mit starken visuellen Ideen und einem umwerfenden
       Hauptdarsteller.
       
   DIR Musikfestival in Hamburg: American Tension
       
       Beim Festival „Age of Anxiety“ spielte das NDR-Orchester US-amerikanische
       Musik des 20 Jahrhunderts. Mit dabei: Miles Davis und Chet Baker.
       
   DIR Diplomatische Annäherung durch Sport: Mal ping, mal pong
       
       Olympia könnte zur Annäherung von Süd- und Nordkorea führen. Neu ist ein
       solcher Versuch nicht – und er funktioniert längst nicht immer.
       
   DIR Antisemitismus in der Oper: Die Romantisierung der Mörder
       
       In New York protestieren hunderte Juden gegen ein Musikstück, in dem ein
       Jude ermordet wird. Sie werfen den Machern die Glorifizierung von
       Terrorismus vor.