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       # taz.de -- Der Hausbesuch: Drei, die ihren Weg gefunden haben
       
       > Was ist schöner, als irgendwo anzukommen? Die Kashefs versuchen es in
       > Hannover. Trotz aller Probleme klappt es – auch mit Hilfe von
       > Ebay-Kleinanzeigen.
       
   IMG Bild: Die Kashefs zu Hause im Wohnzimmer in Hannover
       
       Sie kamen aus Kairo und strandeten in [1][Hannover]. Hier finden sie es
       auch schön.
       
       Draußen: Wenn Mostafa und Miada Kashef ihr Wohnhaus in Hannover-Kleefeld
       verlassen, blicken sie auf die Eilenriede, den größten Stadtwald Europas.
       Das empfinden sie als großes Glück. Die Wohnung hat Mostafa vor vier Jahren
       über Ebay-Kleinanzeigen gefunden. Erst lebten er und Miada im Dachgeschoss,
       nach zwei Jahren wechselten sie in die größere Wohnung mit Garten im
       Erdgeschoss. Die Gegend ist bürgerlich, 80er-Jahre-Einfamilienhäuser
       mischen sich mit Villen.
       
       Drinnen: Die Dreizimmerwohnung ist festlich geschmückt: Bei ihrem letzten
       Besuch haben Miadas Eltern [2][Ramadan]-Dekoration mitgebracht, bunte
       Wimpel, Decken, Lichterketten. Der dreijährige Murad knabbert an einem
       Brötchen und fährt mit seinem Dreirad durchs Wohnzimmer. Miada, studierte
       Modedesignerin, hat die Wohnung liebevoll eingerichtet, besonders stolz ist
       sie auf den abgetrennten Raum für Murad, der so im Wohnzimmer fast sein
       eigenes Reich hat.
       
       Love is in the air: Das Paar lernte sich vor knapp zehn Jahren bei einem
       Fahrrad-Event in der Nähe von Kairo kennen. Etwa 100 Radfahrer sollten
       zusammen 20 Kilometer radeln. „Kein Rennen, sondern nur Spaß am Radfahren
       mit anderen.“ Im Ziel sah Mostafa Miada und wollte sie unbedingt
       kennenlernen. Aber mehr als ein schüchternes „Hallo“ war nicht drin. Er
       trifft sie zufällig an der Uni wieder. Als vor der Uni mal wieder eine Demo
       tobt, ist er in Sorge um sie, bringt sie nach Hause zu ihren Eltern. Ab da
       bleiben sie in Kontakt, telefonieren viel. Drei Monate später werden sie
       ein Paar. „Wir haben die gleichen Gedanken“, sagt er. „Ich liebe es, mit
       ihr zusammen zu sein.“
       
       Umdisponieren: Fünf Jahre studierte er in Kairo, um Ingenieur für
       Erdöl-Technik zu werden. Als er 2015 den Bachelor in der Tasche hat, ist
       klar: [3][In seiner Heimat Ägypten] wird er keinen Job finden, die Branche
       ist von der Ölpreis-Krise schwer angeschlagen, die Firmen wollen Personal
       loswerden, nicht einstellen. Er erweitert seinen Radius, weltweit, hat
       trotzdem keine Chance.
       
       Der Plan: Er entscheidet sich für einen internationalen Masterstudiengang,
       fernab der Heimat. „Ich hatte Middle East bis dahin noch nie verlassen, das
       war für mich ein krasser Schritt.“ Er und Miada sind damals schon verlobt.
       „Dass sie mit mir kommen kann, das war für mich das wichtigste Kriterium
       bei der Suche nach einer Uni.“ Auch andere Punkte sind wichtig: „Ich hatte
       nicht viel Geld, die Lebenshaltungskosten durften nicht zu hoch sein und
       ich musste arbeiten können. Außerdem wollte ich die Möglichkeit haben, nach
       dem Studium in dem Land zu bleiben. Ich wusste, dass sich die Situation in
       Ägypten erst mal nicht verbessern würde.“ Als er eine Zusage für den Master
       in Bauingenieurwesen in Hannover bekommt, ist er froh: „Das Studium in
       Deutschland ist quasi kostenlos.“
       
       Sprung ins kalte Wasser: Im September 2016 landet er in München, ohne ein
       Wort Deutsch zu können. Vieles ist anders. Im Zug nach Hannover sucht er
       den Fahrscheinautomaten, in Hannover angekommen fragt er, wo er ein Ticket
       kaufen kann. „Da haben die Leute gelacht und gesagt, jetzt ist es zu spät.
       Das war das einzige Mal, dass ich ohne Fahrschein gefahren bin.“ Was ihn
       außerdem verwundert: Dass U-Bahnen, S-Bahnen und Busse wirklich kommen,
       wenn es auf dem Plan steht.
       
       Allein in Hannover: Online hatte er ein Zimmer bei einem indischen
       Studenten gefunden. Dort angekommen, öffnet niemand. Neun Stunden sitzt er
       auf seinem Koffer und wartet vor der Tür. Schließlich stellt sich heraus:
       Es ist das falsche Haus. Als er endlich ankommt, liegt auf dem Mietvertrag
       eine Tafel Schokolade. „Das hat mir gut gefallen.“
       
       Im Turbogang: Die ersten Monate vergehen schnell: Alles ist neu; die
       Unterlagen für die Ausländerbehörde zusammensuchen, Uni, Jobsuche. Für
       Heimweh hat er keine Zeit. Der Druck ist groß: 8.640 Euro müssen
       Studierende vor Unibeginn vorweisen, damit sichergestellt ist, dass sie ein
       Jahr lang alleine über die Runden kommen. „Meine Vater ist vor zwölf Jahren
       gestorben, ich habe vier Schwestern, die auch alle studiert haben, das war
       nicht leicht.“
       
       Zu viele Baustellen: Die Kommilitoninnen sind fast alle international.
       Zeit, sich mit ihnen anzufreunden, hat er nicht, er muss Geld verdienen.
       Schnell findet er einen Job in einem Lager, wo er Produkte scannt, heuert
       zusätzlich bei VW an. „Alle zwei Minuten ein Auto.“ Er installiert Kabel
       und Schläuche, 164 Autos am Tag. „Es waren zu viele Themen, man kann sich
       nicht auf alles konzentrieren, irgendwann ist der Kopf kaputt.“
       
       Nicht allein: Als er beschließt, ins Ausland zu gehen, ist für seine
       Verlobte klar, dass sie mitgehen wird. Einfach wird das nicht. Miadas Vater
       ist Ingenieur, ihre Mutter Ingenieurin; mit ihnen und ihren beiden
       Schwestern lebte sie lange in Kuwait. „Für mich war es nicht völlig neu, in
       einem anderen Land zu leben.“ In Kuwait sei es ihr zu heiß gewesen, sagt
       sie. „Ich habe mich auch auf die Kälte in Deutschland gefreut. Aber jetzt
       weiß ich die Sonne wieder zu schätzen.“ Sie liebt die Natur in Deutschland,
       sagt sie, das viele Grün. Mostafa nickt. „Nur zehn Prozent von Ägypten ist
       bevölkert, der Rest ist Wüste.
       
       Bürokratie: Es war nicht einfach, seine Verlobte nach Hannover zu holen.
       Nach einem Jahr in Deutschland flog er zurück nach Kairo, zu seiner eigenen
       Hochzeit; seine Schwiegereltern hatten sie organisiert. Zurück in Hannover
       fällt es ihm immer schwerer, ohne seine Frau zu sein. Er stockt auf
       Vollzeit auf und lässt die Uni schleifen, er muss Geld sparen, damit sie
       nach Hannover kommen kann. Doch es ist nicht so einfach, wie gedacht, vier
       Absagen kassiert er von der Ausländerbehörde; sieben Monate lang passiert
       nichts. „Die dachten, das sei eine Scheinehe.“ Zwischenzeitlich wohnte er
       bei einer alleinstehenden Frau, die ihm zur mütterlichen Freundin wurde und
       bei Behördengängen hilft. Sie finden heraus, dass Miada ein Visum bekommt,
       wenn sie selbst in Deutschland studiert.
       
       Ehrgeiz: Als sie in Kairo ihr Modedesign-Studium abgeschlossen hatte, fing
       sie wie wild an, Deutsch zu lernen, mit Online-Kursen. 2019 kommt sie nach
       Deutschland. Ihr Deutsch ist besser als das ihres Mannes. Sie lernt weiter,
       macht Deutschkurse. Er sagt: „Ich habe nie einen Kurs gemacht, den
       Unterschied merkt man enorm. Ich mache viele Fehler.“
       
       Was fehlt: Hier sei es schwerer, Freundschaften aufzubauen, finden beide.
       „In Ägypten ist immer was los auf der Straße, alles spielt sich draußen ab.
       Hier bleiben die Menschen lieber unter sich.“ Sie hat die Freundinnen aus
       ihrem Sprachkurs behalten, sie kommen aus Syrien, Polen, China, Mexiko.
       Außerdem hat das Paar viele ägyptische Freund:innen gefunden, über
       Facebook, aber auch im Supermarkt. „Es macht mich glücklich, wenn ich
       Ägyptisch höre, dann spreche ich die Leute einfach an“, sagt er. Was er
       liebt: Ebay-Kleinanzeigen. „Das gibt es bei uns nicht. Ich finde es toll,
       dass man nicht alles neu kaufen muss.“
       
       Ihr schwerer Start: In Hannover beginnt Miada ein Mediendesignstudium. Die
       Kommiliton:innen sind deutsche Muttersprachler:innen. „Es war sehr
       schwer, sie haben sehr schnell gesprochen, umgangssprachlich.“ Als sie
       wenig später schwanger wird, muss sie das Studium unterbrechen. „Ich hatte
       eine schwere Schwangerschaft, von Anfang an, war bettlägerig, musste ins
       Krankenhaus.“ Für sie ist das die schwerste Zeit in Deutschland. „Ich
       musste im Internet recherchieren, um herauszufinden, was diese
       medizinischen Begriffe bedeuten, ich habe die Ärzt:innen nicht
       verstanden.“ Zuvor hatte sie schon eine Fehlgeburt. Ihre Familie fehlte ihr
       damals sehr.
       
       Angekommen: Ab September wird Murad in den Kindergarten gehen, Miada
       besucht Online-Kurse in Textildesign, entwirft Kleider. Sie will unbedingt
       arbeiten, sagt sie. „Bei uns in Ägypten gibt es wenige Mütter, die nicht
       arbeiten, das gehört dazu.“ Sie sei wahnsinnig talentiert, schwärmt er.
       „Ich bin mir hundertprozentig sicher, sie wird Karriere machen.“ Mostafa
       hat einen Job als Technischer Support bei einem Landvermesser, der ihm Spaß
       macht und gut bezahlt wird. „Ich habe tolle Kolleg:innen und einen
       netten Chef.“
       
       Familie ist alles: Sie wollen in Deutschland bleiben, erst mal. „Hier
       entwickelt sich alles zum Guten, alle Anstrengungen haben sich gelohnt.“
       Sie nickt und lächelt dabei. „Ich würde aber gerne noch mehr Kulturen
       entdecken, andere Länder kennenlernen.“
       
       11 Jul 2023
       
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