URI: 
       # taz.de -- EU-Plan für Entwicklungsländer: Zollbonus für Rücknahme Geflüchteter
       
       > Der Europäische Rat und die Kommission wollen Zollbegünstigungen an die
       > Rücknahme Geflüchteter koppeln. Das Parlament ist empört.
       
   IMG Bild: Kampong Speu, Kambodscha: Textilarbeiterinnen auf dem Weg zur Arbeit
       
       Berlin taz | EU-Vertreter verhandeln heute über Sonderregeln für Zölle, die
       für ärmere Länder gelten. Mit dem [1][Allgemeinen Präferenzsystem (APS) der
       Europäischen Union (EU)] bekommen Entwicklungsländer mit geringem Einkommen
       Zollbegünstigungen, auf einige Produkte fallen Zölle ganz weg. Im Gegenzug
       müssen sich Länder zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards
       verpflichten. Das bestehende System läuft Ende 2023 aus und muss daher neu
       beschlossen werden. Die Trilogverhandlungen dazu laufen zwischen der
       Europäischen Kommission, den Mitgliederstaaten im Rat und dem Europäischen
       Parlament.
       
       Dort gibt es gerade mächtig Krach. Denn die Europäische Kommission und der
       Rat wollen eine neue Bedingung für die Zollvergünstigungen einführen:
       Empfängerländer müssen abgelehnte Asylbewerber zurücknehmen. Staaten, die
       nicht ausreichend kooperieren, könnten Handelspräferenzen verlieren. 
       
       Das hat für Empörung im Europäischen Parlament gesorgt: „Es ist falsch,
       dieses wichtige entwicklungs- und handelspolitische Instrument als
       [2][migrationspolitisches Werkzeug] zu missbrauchen“, sagte Bernd Lange
       (SPD), Vorsitzender des Handelsausschusses, der taz. Das Parlament werde
       die Vorschläge der Kommission und des Rats diesbezüglich nicht akzeptieren.
       
       Für Montagabend sind weitere Trilogverhandlungen angesetzt. Lange hofft,
       dass es die letzten sind. Die Verhandlungsführenden des EU-Parlaments sind
       einen Schritt auf Kommission und Rat zugegangen: Rückführungen könnten als
       Erwartung für die Länder formuliert werden – nicht aber als Bedingung.
       
       ## Nachhaltigkeit soll wichtiger werden
       
       Das Allgemeine Präferenzsystem wurde auf Empfehlung der Konferenz der
       Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) ins Leben gerufen.
       Viele Industriestaaten folgten der Aufforderung, ärmere Länder bei der
       Entwicklung durch Zollbegünstigungen zu unterstützen. Damit sollte Armut
       verringert werden.
       
       In der neuen Fassung der EU soll Nachhaltigkeit eine größere Rolle spielen.
       Empfängerländer müssen etwa das Pariser Klimaabkommen unterzeichnen und
       Maßnahmen ergreifen, die Ziele umzusetzen. Bei schwerwiegenden Verstößen
       können Sanktionen folgen.
       
       Das APS soll zudem flexibler werden, zum Beispiel mit mehr Spielraum bei
       den Ursprungsregeln. Dabei geht um es den Status des sogenannten
       „präferenziellen Ursprungs“ eines Produkts: Der wird einer Ware bisher nur
       dann verliehen, wenn diese zu festgelegten Teilen in der betreffenden
       Region gewonnen oder hergestellt wurde. Künftig sollen die Inhaltsstoffe
       auch aus mehreren Regionen kommen dürfen.
       
       Außerdem soll besser kontrolliert werden, ob Empfängerländer die
       Konventionen zu Menschenrechten, Arbeitsschutz oder Nachhaltigkeit auch
       wirklich umsetzen und nicht nur unterzeichnen.
       
       ## Stärkung der Zivilgesellschaft bei der Kontrolle
       
       „Das Allgemeine Präferenzsystem ist eine Maßnahme der EU, die vielen
       Ländern hilft. Wenn man partnerschaftlich die Umsetzung der Regeln zu
       Menschenrechten, Arbeitnehmerrechten und Umweltschutz stärkt, kann es noch
       mehr Menschen vor Ort helfen“, meinte Lange.
       
       Bei der Umsetzung soll es deshalb mehr Transparenz über Ziele und Maßnahmen
       geben, mehr Dialog bei Verfehlungen und eine stärkere Einbeziehung von
       Gewerkschaften, NGOs und Unternehmen vor Ort. Das begrüßen auch viele
       Akteure aus der Zivilgesellschaft.
       
       Sie sehen in dem Präferenzsystem einen Hebel, um ihre Rechte besser
       durchzusetzen. Oft argumentieren sie, dass die EU zu wenig von Sanktionen
       Gebrauch machen würde, selbst bei schweren Menschenrechtsverletzungen.
       Zuletzt strich die EU 2019 etwa die Zöllbegünstigungen von [3][Kambodscha]
       wegen „systematischer Verletzungen der grundlegenden Menschen- und
       Arbeitnehmerrechte“.
       
       Allerdings wurde das größte Exportgut ausgenommen: Textilien durften
       weiterhin günstig auf den europäischen Markt. Nach den neuen Regeln sollen
       aber auch die negativen Auswirkungen von Sanktionen, etwa auf
       Arbeitnehmerrechte, besser analysiert werden.
       
       ## Folgen des exportorientierten Wirtschaftswachstums
       
       Es gibt aber auch andere Kritik. Zum einen heißt es, das APS sei eine
       einseitige Gesetzesinitiative von der EU: Betroffene Entwicklungsländer
       werden konsultiert, aber von einer „partnerschaftlichen“ Ausgestaltung
       könne keine Rede sein. Zum anderen wird das marktwirtschaftliche, vor allem
       exportorientierte Verständnis von Entwicklung kritisiert – verbunden mit
       der Frage, ob die Maßnahmen tatsächlich der Bevölkerung oder nur
       exportierenden Unternehmen zugutekommen.
       
       Die [4][Halbzeitbewertung des Allgemeinen Präferenzsystem der Europäischen
       Kommission] von 2019 kommt zu dem Schluss, dass das System positive Effekte
       auf Menschenrechte habe. Exporte hätten „Wirtschaftswachstum, Beschäftigung
       und soziale Entwicklung in den Empfängerländern“ erhöht, heißt es weiter.
       
       Kurz danach räumt der Bericht aber ein, dass exportorientiertes
       Wirtschaftswachstum „einen negativen Einfluss auf die Umwelt“ habe, in
       manchen Fällen in Zusammenhang mit Landvertreibungen stehe oder dass
       Unternehmen aus Wettbewerbsgründen gegen Arbeitsrechte verstoßen. Kritiker
       zweifeln ebenso, ob es eine direkte Verbindung zwischen Wirtschaftswachstum
       im Zuge von Handelsliberalisierung und Armutsbekämpfung gibt.
       
       12 Jun 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://taxation-customs.ec.europa.eu/generalised-system-preferences_de
   DIR [2] /Zaehes-Ringen-um-neues-Asyl-System/!5939573
   DIR [3] /Kambodscha-vor-den-Wahlen/!5933663
   DIR [4] https://op.europa.eu/en/publication-detail/-/publication/5638e809-ebfb-11ea-b3c6-01aa75ed71a1/language-en/format-PDF/source-231888188
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Leila van Rinsum
       
       ## TAGS
       
   DIR Entwicklungspolitik
   DIR Europäische Union
   DIR Zölle
   DIR Handel
   DIR Migration
   DIR Entwicklungspolitik
   DIR Hamburg
   DIR Geflüchtete
   DIR Freihandel
   DIR Schwerpunkt Flucht
   DIR EU-Kommission
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Entwicklungspolitik der EU: Streit über Zollboni
       
       Der europäische Rat will Tarifrabatte für Entwicklungsländer an die
       Rücknahme Geflüchteter koppeln. Das Parlament ist dagegen, die
       Verhandlungen pausieren.
       
   DIR Warten auf die Zahlung vom Amt: Eine Behörde schottet sich ab
       
       In Hamburg warten Geflüchtete monatelang auf Zahlungen, die ihnen zustehen.
       Sofiya S. und ihre Schwester haben dagegen geklagt.
       
   DIR Wohnpflicht für Geflüchtete: Immer im Blick
       
       Geflüchtete dürfen in Hamburg nicht privat unterkommen, obwohl die
       Erstaufnahmen überbelegt sind. Der Senat möchte sie unter Kontrolle halten.
       
   DIR Handelsexperte über EU-Afrika-Beziehung: „Die EU sollte Afrika in Ruhe lassen“
       
       Die Wirtschaftsabkommen zwischen EU und afrikanischen Regionalblöcken
       schaden dem Projekt einer Afrikanischen Freihandelszone, sagt Boniface
       Mabanza.
       
   DIR EU-Gipfel zu Migration: Gift für die Beziehungen zu Afrika
       
       Mit immer mehr Zäunen und Mauern will die EU Flüchtende abwehren. Die
       brutale Migrationspolitik kommt in Afrika nicht gut an.
       
   DIR EU will Sanktionen verhängen: Instrumentenkasten gegen Erpressung
       
       Die EU will bei Handelskonflikten nicht länger den Launen Chinas oder
       anderer Mächte ausgesetzt sein. Sie will bei Streit etwa Zölle verhängen
       können.