URI: 
       # taz.de -- Queere Demos: Mit Pride in den Sommer
       
       > Zu Beginn des Pride Monats laufen in Berlin gleich zwei Paraden
       > gleichzeitig. Ein Zeichen, dass die Community sich weiter
       > ausdifferenziert.
       
   IMG Bild: Mehrere Hundert Menschen demonstrieren in Berlin-Marzahn für queere Gleichberechtigung
       
       Hunderte Menschen, gekleidet in bunten Farben drängen sich um den Eingang
       des S-Bahnhofs Raoul-Wallenberg-Straße. Aus Lautsprechern, die an der
       Rückseite eines kleinen LKWs angebracht sind, schallt „Rain On Me“ von Lady
       Gaga. Fröhlich warten alle in den sommerlichen Temperaturen darauf, dass
       sich der Demozug durch die von Hochhäusern gesäumten Straßen Marzahns in
       Bewegung setzt. Unter dem Motto „Pride statt Leid“ hatte der Verein
       Quarteera, eine primär russischsprachige LGBTQ+-Organisation aus dem Osten
       Berlins, an diesem Samstag zur Marzahn Pride aufgerufen.
       
       Dass sie damit bereits zum vierten Mal durch Marzahn ziehen, ist kein
       Zufall – Marzahn sei ein Ort, an dem viele Menschen mit
       Migrationsgeschichte leben, heißt es von den Veranstalter*innen. „Wir
       wollen Solidarität zeigen mit allen diesen Menschen. Wir wollen Solidarität
       zeigen mit Menschen in unseren Heimatländern“, sagt ein*e Redner*in zu
       Beginn der Pride. Gemeint ist in erster Linie Russland, aber auch Länder
       wie Polen, Ukraine oder Belarus. Gleichzeitig geht es aber auch um Probleme
       russischsprachiger Queers in Berlin.
       
       „Das ist einzigartig“, sagt Andrey Ditzel, Projektmanager bei Quarteera.
       Schließlich hätte nicht jeder Stadtteil eine eigene Pride. Marzahn würde
       oft für die Probleme stehen, die Berlin hat. „Es hat einen symbolischen
       Character, dass die Pride hier stattfindet“, meint er. Auch weil in Berlin
       so viele russischsprachige Menschen leben. „Marzahn steht für diese
       Diaspora“, sagt Ditzel. „Und die ist besonders oft anfällig für russische
       Propaganda.“ In den Jahren 2011 und 2012 hätte Russland angefangen,
       queerfeindliche Gesetze zu verabschieden. „Schwule und Lesben wurden zu
       Feinden gemacht“, sagt Ditzel. Das [1][mache sich dann auch in der
       Community in Berlin] bemerkbar.
       
       Als sich der Zug in Bewegung setzt, ist die Stimmung ausgelassen. Zu Wort
       kommen hier viele, denn zwischen Musikeinlagen wird immer wieder Pause
       gemacht, um Plakate der Demonstrierenden vorzulesen. „Trans Menschen sind
       überall!“, „Love wins, Ukraine wins!“ „Trans Frauen sind unsere Schwestern“
       und auch „Slava Ukraïni“ („Ruhm der Ukraine“). Alles Reden werden simultan
       übersetzt, aus dem Russischen ins Deutsch oder umgekehrt. Quarteera bezieht
       dabei klare Position für die Ukraine: „Wir sind für die Abschaffung der
       kolonialen Außen- und Innenpolitik der Russischen Föderation und die
       Rückgabe aller beschlagnahmten Territorien. Wir kommen in Erwartung der
       vollständigen Befreiung der Ukraine von Putins Besatzern!“, so steht es im
       Manifest der diesjährigen Pride.
       
       ## Ende mit Straßenfest
       
       Die Demonstration endet gegen 16 Uhr in einem Straßenfest auf dem
       Viktor-Klemperer-Platz mit Essen, Redebeiträgen und Auftritten von queeren
       Künstler*innen aus den Post-Ost-Ländern. Gabriel Wolkenfeld sitzt am
       Rande des Straßenfests an einem Brunnen und betrachtet die Menge. Er selbst
       ist bei der Demo mitgelaufen und hat ein grundsätzliches positives Gefühl.
       Diese CSD-Parade sei kleiner und weniger kommerziell als andere. „Das finde
       ich sympathisch“, sagt er. Außerdem seien hier konzentrierter Leute aus den
       gleichen Communities. „Wobei ich das auch manchmal schade finde. Oftmals
       laufen hier nur Menschen aus eigener Betroffenheit mit und nicht der
       Großteil der LGBTQ+ Community“, sagt er.
       
       Die Marzahn-Pride ist nur eine von mehreren Paraden und Demonstrationen zum
       Auftakt des Pride-Monats. Um 15 Uhr startete am Samstag die [2][Berliner
       East Pride, die dieses Jahr neben Queerfeindlichkeit in Osteuropa] einen
       besonderen Fokus auf die Belange der queeren Communities in Uganda legte.
       Dort hat sich die eh schon prekäre Lage für queere Menschen noch
       verschärft: Die [3][Regierung hatte ein Gesetz verabschiedet, das nun mit
       Strafen von bis zu 14 Jahren Haft] für homosexuelle Handlungen und in
       besonderen Fällen sogar mit Todesstrafe droht. Die East Pride zog durch
       Ostberliner Stadtteile rund um Mitte – vom Prenzlauer Berg über den
       Alexanderplatz bis hin zur Botschaft von Uganda in der
       Axel-Springer-Straße.
       
       Außerdem demonstrierte bereits am Freitag eine Gruppe unter dem Titel „Real
       Dyke March“ am Savignyplatz für lesbische Sichtbarkeit, wobei diese im
       Vorfeld stark als transfeindlich kritisiert wurde. Zur gleichen Zeit
       protestierte ebenfalls am Savignyplatz eine Gegendemonstration unter dem
       Motto „TERFs (kurz für „Trans ausschließende radikal Feminist*innen“)
       stören“.
       
       Während sich in Berlin die Communitiy also in immer mehr Belange
       differenziert, nimmt auch in Brandenburg die Zahl der Pride-Paraden zu. Für
       den Brandenburger Landkreis Barnim war es am Samstag die erste CSD-Parade.
       Gegen die Demonstration war im Vorfeld Drohungen im Internet aufgetaucht.
       
       ## Erster CSD in Bernau
       
       Beim Christopher Street Day in Bernau bei Berlin versammelten sich am
       Samstagmittag um die 350 Leute vor dem Bahnhof. Die LGBTQIA+ Community
       schreit „Wir sind wunderbar, Bunt und wütend und wir sind stolz darauf!“
       Eine Gruppe mit Hundemasken und Bunten T-Shirts fällt ins Auge. Einige
       Menschen haben die Haarfarben Grün, Türkis und Rosa. Die Meisten tragen
       Regenbogenflaggen aber auch Trans, Lesbisch, Schwul, Bi* und Demiboy
       Flaggen sind zusehen.
       
       Auf der Bühne erzählen zwei Menschen von ihrer Schule, wo einige Kinder den
       Hitlergruß benutzen, die Kinder die queer sind bespucken, sie verprügeln
       und beschimpfen. Nur wenige Lehrer*innen hätten die queeren Kinder
       unterstützt.
       
       Auch in Bernau sei die Situation oft schwierig: Eine Person weist darauf
       hin, dass man am besten nach der Demo mindestens zu zweit geht, damit man
       rechten Menschen nicht alleine ausgesetzt ist. Und trotzdem macht sich die
       Bunte Gruppe auf den Weg, Musik von den Ärzten wird gespielt unter anderem
       das Lied „Deine Schuld“, die Stimmung ist voller Energie, Wertschätzung und
       Liebe. Es ist eine schöne Gruppe, sie lassen sich nicht unterkriegen, sie
       wollen kämpfen, bis das Thema endlich normal geworden ist.
       
       ## Höhepunkt im Juli
       
       Die Paraden sind Teil von vielen Veranstaltungen rund um den Pride Month,
       die diesen und nächsten Monat in Berlin und Brandenburg stattfinden.
       Höhepunkt mit den meisten Teilnehmer*innen ist der CSD im Juli.
       
       Der dahinterstehende Verein hatte zu Beginn des Monats allerdings negative
       Schlagzeilen gemacht, inzwischen sind die Vorwürfe allerdings entkräftigt.
       Bei der Organisation solle es zu finanziellen Unregelmäßigkeiten gekommen
       sein, hieß es. Damals war dem Verein vorgeworfen worden, dass es
       Geldüberweisungen ohne rechtlich verbindliche Angaben wie Geschäftssitz
       oder Steuernummer gegeben hätte.
       
       Außerdem wurde Vorstandsmitglied Patrick Ehrhardt von mehreren
       Vereinsmitgliedern beschuldigt am Ende des CSD 2022 die Bargeldeinnahmen
       der Getränkewägen eingesammelt zu haben und teilweise für sich behalten zu
       haben. Aufgrund einer anonymen Anzeige hatte die Staatsanwaltschaft ein
       Ermittlungsverfahren eingeleitet. Der Verein wies die Vorwürfe zurück: „Die
       Anschuldigungen basieren auf Hören-Sagen und Halbwissen.“ Das
       Ermittlungsverfahren wurde wegen mangelnden Tatverdachtes eingestellt, wie
       die Staatsanwaltschaft mitteilte. Der Berliner CSD bestätigt, weiterhin an
       seinem Statement festzuhalten.
       
       Das Motto dieses Jahr ist „Be their voice – and ours! …für mehr Empathie
       und Solidarität!“ Die Organisator*innen rechnen am 22. Juli mit circa
       500.000 Demonstrant*innen. Es ist der 44. Berliner CSD. 1979, beim
       allerersten, waren rund 450 Menschen durch Schöneberg gezogen – eine
       Größenordnung, die heute allein der Marzahn-Pride schon auf die Beine
       stellt.
       
       Mitarbeit: Charlotte Handorf und Mei Messmer
       
       25 Jun 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Pride-Parade-in-Marzahn/!5695070
   DIR [2] /Aktivist-ueber-1-East-Pride-Berlin/!5782684
   DIR [3] /Anti-LGBTIQ-Gesetz-in-Uganda/!5937750
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Max Leyendecker
       
       ## TAGS
       
   DIR Queer
   DIR Brandenburg
   DIR Pride Parade
   DIR Berlin Marzahn-Hellersdorf
   DIR Christopher Street Day
   DIR Christopher Street Day
   DIR Queer
   DIR Migration
   DIR Christopher Street Day
   DIR Aktivismus
   DIR Schwerpunkt Stadtland
   DIR Christopher Street Day
   DIR Schwerpunkt Türkei unter Erdoğan 
   DIR Queer
   DIR Queer
   DIR Christopher Street Day
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Queere Szene und Nahost: Gesprengter Kneipenabend
       
       Ein Soli-Abend für den Dyke* March in der Möbel Olfe musste abgebrochen
       werden. Eine Regenbogenfahne mit Davidstern löste Auseinandersetzungen aus.
       
   DIR Berlins Queerbeauftragter über Pride: „Schutzschild der Community“
       
       Queerbeauftragter Alfonso Pantisano will allen Teilen der Community Raum
       verschaffen. Gegen den gesellschaftlichen Rollback setzt er auf
       Sichtbarkeit.
       
   DIR Preis für migrantisierte Menschen: Eine Bühne für die Unsichtbaren
       
       Der in Bremen etablierte Diaspora-Preis wird jetzt erstmals auch in
       Wilhelmshaven verliehen. Es geht darum, das Engagement von Migranten zu
       würdigen.
       
   DIR Dyke* March in Berlin: Auf die Straßen!
       
       Schon zum 10.Mal zieht am Freitagabend der Dyke* March durch die Stadt. Auf
       Motorrädern und zu Fuß fordern Demonstrierende lesbische Sichtbarkeit.
       
   DIR Politisches Engagement der Queeren: Es darf diverser sein
       
       Bei den CSDs feiern die Communities sich selbst. Doch wie steht es um das
       politische Engagement queerer Menschen in verschiedenen Generationen?
       
   DIR CSD im Wendland: Das bewegte Land
       
       Seit zehn Jahren gehen auch im Wendland Menschen zum CSD auf die Straße.
       Die Stimmung ist gut, doch im Hintergrund gärt ein Generationskonflikt.
       
   DIR Berlin Pride: Wider den Regenbogenkapitalismus
       
       Marzahn-Pride und East-Pride zeigen, dass sich die queere Szene
       ausdifferenziert. Alternative CSD-Demonstrationen wie diese sind bitter
       nötig.
       
   DIR LGBTQ in der Türkei: Über 100 Festnahmen bei Pride
       
       Die türkische Polizei ist am Sonntag rigoros gegen Teilnehmende einer
       LGBTQ-Demonstration vorgegangen. Teile Istanbuls waren abgeriegelt.
       
   DIR Queere Parade in Berlin-Marzahn: Gegen Vorurteile und gegen Krieg
       
       Die Veranstalter der Marzahn Pride rufen in diesem Jahr zur Solidarität mit
       der Ukraine auf. Sie richten sich dezidiert an die russische Community.
       
   DIR Marzahn Pride am 17. Juli: „Das bunte Miteinander“
       
       Der Marzahn Pride zieht zum zweiten Mal durch den Stadtbezirk, in dem der
       größte Teil der russischsprachigen Bevölkerung Berlins lebt.
       
   DIR Aktivist über 1. East-Pride Berlin: „Keine ostalgische Beschönigung“
       
       Wolfgang Beyer organisiert am CSD gemeinsam mit anderen den ersten „East
       Pride“, auch zur Erinnerung an die homosexuelle Bewegung der DDR.