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       # taz.de -- 20 Jahre 8mm Bar in Berlin: Hort des glückseligen Chaos
       
       > Zum 20. Geburtstag hat die 8mm Bar eine Kompilation herausgebracht. Große
       > Kaliber der Berliner Rockszene sind darauf vertreten.
       
   IMG Bild: Von der 8mm Bar beeindruckt (können es nur nicht zeigen): Das Trio Gewalt um Patrick Wagner
       
       Es gibt mehrere Gründe dafür, warum die 8mm Bar, gelegen am Südende der
       Schönhauser Allee, heute einigermaßen monolithisch in der Berliner
       Clublandschaft dasteht. Erstens ist sie im cleanen und weitestgehend
       durchgentrifizierten Prenzlauer Berg einer der wenigen verbliebenen schönen
       Schmutzflecke.
       
       Zweitens ist sie dezidiert ein Ort für die (internationale) Rockszene
       inmitten einer Stadt, die heute von elektronischer Clubkultur geprägt ist.
       Und drittens zeigt sie eben, welch wunderbarer Underground noch heute in
       der Berliner Gitarrenmusik existiert. Wer die Substile des Rock mit all
       seinen Vorsilben – Punk-, Noise-, Kraut-, Psychedelic-, Avant-, Math-,
       Art-, Jazz-/Prog- – erleben will, der besuche einfach gelegentlich die 8mm
       Bar.
       
       Ende 2022 hat der Club sein 20-jähriges Jubiläum gefeiert, nun erscheint
       etwas verspätet zum runden Geburtstag eine „20 Years“-Kompilation, die all
       die genannten Stile gut abbildet. Fans verstärkter Gitarrenmusik werden
       hier reichlich fündig: das Punkrock-Trio Jealous ist etwa am Start, es
       eröffnet mit seinem angepisst-dräuenden Song „Debbie Downer“ den Sampler.
       
       Zudem sind da fast morbide anmutende Rock-Entwürfe von [1][der
       südafrikanischen Songwriterin Lucy Kruger] (Lucy Kruger and The Lost Boys)
       oder [2][der neuseeländischen Dark-Jazz-Combo The Pleasure Majenta], dann
       wieder Shoegaze-Sound von Errorr, Math-/Punkrock von den Shybits,
       [3][Industrial-Wave-Klänge von Gewalt]. Aber auch hübsche Ausreißer, etwa
       der Synthpop von Minimal Schlager oder das funky Zeug von The Tarts, sind
       auf dem Sampler vertreten.
       
       ## Schmuddelig, schrammelig, schräg
       
       Für Rock-Expats ist die 8mm Bar seit vielen Jahren die erste Adresse in
       Berlin. Die besagten Jealous etwa stammen aus dem Tel Aviver Underground,
       die Band um die Riot Grrrls Paz Bonfil und Adi Kum gründete sich 2018 in
       Berlin. „Das 8mm ist seit den Anfangstagen von Jealous unsere Homebase in
       Berlin“, sagt Bassistin und Sängerin Adi Kum, die auch das Label Baby Satan
       Records betreibt.
       
       „Die Mitarbeiter sind nett, man kann ganz leicht eine neue Band gründen mit
       Leuten, die neben dir am Tresen stehen.“ Der schmuddelige, schrammelige,
       schräge Sound von Jealous ist auf der Kompilation bestens aufgehoben.
       
       Auch für Mary Ocher, Musikerin und Schlüsselfigur des Berliner Underground
       (die keinen Beitrag auf der Kompilation hat), war das 8mm ein erster
       wichtiger Anker in Berlin: „Es hat sich so viel verändert, seit ich Ende
       2007 nach Berlin gezogen bin. Die 8mm Bar war einer der allerersten Orte,
       an den mich Freunde mitnahmen. The Virgin Tongues spielten, es war magisch,
       ein glückseliges Chaos – alles sah gefährlich und aufregend aus“, sagt sie.
       
       „Der Club vermittelte, dass wir hier endlich alles sein können, was wir uns
       erträumt haben.“ Für sie ist der Club Relikt eines mehr und mehr
       verschwindenden Berlins. „Hoffentlich werden wir 2042 zusammenkommen, um
       weitere 20 Jahre zu feiern!“
       
       ## Noch besser ist nur Hingehen
       
       Und auch Patrick Wagner, Sänger und Gitarrist von Gewalt und großer
       Antiheld des Berliner Rock, gratuliert dem Club via taz: „Die 8mm Bar hat
       unsere Leben viele Male gerettet und zerstört. Gewalt ist stolz, Teil
       dieses dreckigen Rock-’n’-Roll-Gesamtkunstwerks zu sein.“
       
       Erschaffen hat dieses Gesamtkunstwerk der US-Amerikaner Alex „Olli“ Remzi
       im Jahr 2002. Im Laufe der Jahre sind unter anderem die Quasi-Hausband
       Brian Jonestown Massacre, Gurr, Kadavar und [4][Jaakko Eino Kalevi] dort
       aufgetreten, insgesamt fanden bislang mehr als eintausend Shows statt.
       Inzwischen hat der Club mit dem Label 8mm Musik und dem
       Synästhesie-Festival noch weitere Pflanzen in den Berliner Underground
       gesetzt.
       
       Eine Ahnung vom Vibe der 8mm Bar vermittelt dieser Sampler, noch besser ist
       nur Hingehen.
       
       In der letzten Juniwoche gibt es mit der Dawuna Group (26. Juni), Ashinoa
       (27. Juni), No Home + 990X (29. Juni) und Decadent Jugend, Holly Hunted und
       Grgadorigovic (30. Juni) gleich mehrere Gelegenheiten, dort gepflegten
       subkulturellen Akten beizuwohnen.
       
       26 Jun 2023
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Jens Uthoff
       
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