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       # taz.de -- Lauterbach startet „Hitzegipfel“: Erst die Hitze, dann der Plan
       
       > Immer wieder Hitzerekorde, andere Länder Europas haben längst reagiert.
       > Am Montag beginnen auch hierzulande Beratungen für einen Hitzeschutzplan.
       
   IMG Bild: Gegen Hitze hilft frei verfügbares Trinkwasser – nicht nur beim Festival
       
       Berlin taz | 13 Tage dauerte die Jahrhunderthitze in Europa im Jahr 2003.
       Damals sollen zwischen 35.000 und 70.000 Menschen ums Leben gekommen sein,
       der volkswirtschaftliche Schaden wurde auf knapp 12 Milliarden Euro
       geschätzt. Bis zur nächsten „Jahrhunderthitze“ vergingen dann nur 12 Jahre:
       2015 gab es gleich zwei massive Hitzewellen mit Temperaturen über 40 Grad.
       Und der Sommer 2018 knackte wieder neue Hitzerekorde, das Wort „Heißzeit“
       wurde deutsches Wort des Jahres.
       
       [1][Von 2018 bis 2020] war die hitzebedingte Übersterblichkeit in
       Deutschland dann drei Jahre in Folge deutlich erhöht. Auch [2][im
       vergangenen Jahr] starben laut Robert-Koch-Institut [3][4.500 Menschen
       einen Hitzetod]. Und Expert*innen rechnen mit immer mehr, womöglich noch
       heißeren Hitzewellen.
       
       „Vorbereitet sind wir darauf nicht“, sagt Martin Herrmann von der Deutschen
       Allianz Klimawandel und Gesundheit, einer Initiative aus dem
       Gesundheitswesen.
       
       Länger anhaltende Temperaturen von über 35 Grad gelten als
       gesundheitsgefährdend. Besonders bedroht von Hitzestress, Hitzeerschöpfung
       und Hitzetod sind ältere Menschen, Personen mit bestimmten Vorerkrankungen,
       Schwangere und kleine Kinder. Auch Schlaganfälle und psychische
       Erkrankungen können Folge großer Hitze sein.
       
       ## Frankreich reagierte schnell
       
       Frankreich war von der Jahrhunderthitze im Jahr 2003 besonders betroffen.
       Es starben so viele, vor allem ältere Menschen, dass bei Paris eine
       Lebensmittelkühlhalle zur Leichenhalle umfunktioniert werden musste.
       Angesichts dieses Schocks trat in Frankreich bereits im Folgejahr ein
       nationaler Hitzeschutzplan in Kraft, der bis heute verschiedene Warnstufen
       vorsieht, mit denen zum Beispiel die Arbeit im Freien eingeschränkt wird
       und Schutzmaßnahmen in Pflegeheimen eingeleitet werden. Es gibt außerdem in
       Städten besondere Kälteräume, etwa für obdachlose Menschen.
       
       Deutschland ist – genau wie Frankreich – mit seiner kontinentalen Lage und
       der hohen Anzahl älterer Menschen – besonders gefährdet für
       Hitzeereignisse. Doch anders als in Frankreich mit seiner zentralistischen
       Struktur scheint die Umsetzung eines Hitzschutzplans hier deutlich
       komplexer zu sein.
       
       Im Jahr 2020 hatte die Gesundheitsminister*innenkonferenz
       gefordert, in allen Kommunen solle es auf die jeweilige Lage zugeschnittene
       Hitzeschutzpläne geben. Bis jetzt seien aber nur wenige Kommunen dem
       nachgekommen, so Lauterbach Mitte Juni, als er die Erstellung eines
       nationalen Hitzeschutzplans ankündigte.
       
       Die Initiative dafür kommt vor allem von Ärzt*innen und Pflegekräften.
       So befürchtet Jana Luntz vom Deutschen Pflegerat zusätzliche Belastungen
       durch Hitzebetroffene in ohnehin schon überlasteten Krankenhäusern und
       Pflegeheimen. Sie weist auch darauf hin, dass viele Innenräume in diesen
       Einrichtungen im Sommer zu heiß würden. Martin Herrmann fordert,
       Hitzeschutz müsse gesetzlich verankerte Pflichtaufgabe werden, mit klaren
       Vorgaben für Gesundheitseinrichtungen, Schulen, Kitas, der Bauwirtschaft.
       Auch der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, betonte Mitte
       Juni die hohe Dringlichkeit. Die Stiftung Patientenschutz fordert
       Investitionen in Milliardenhöhe, besonders im Gebäudebereich.
       
       ## Lauterbach startet „Hitzegipfel“
       
       Am Montagnachmittag will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD)
       nun mit Vertreter*innen aus Kommunen, Ärzteschaft, Pflege und
       Wissenschaft zusammensetzen, um in einem „Hitzegipfel“ über einen
       nationalen Hitzeschutzplan zu beraten. Auch Bundesumwelt- und
       Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke (Grüne) wird dabei sein. Vorbild
       soll Frankreich mit seinem dreistufigen Warnsystem sein. In den kommenden
       Wochen sollen konkrete Maßnahmen und Vorgaben abgestimmt werden, die
       anschließend teils noch gesetzlich verankert werden müssen.
       
       Bereits seit der vergangenen Woche veröffentlicht das Robert-Koch-Institut
       [4][Wochenberichte zur hitzebedingten Sterblichkeit]. In Vorbereitung, so
       das Bundesgesundheitsministerium am Montag, sei außerdem eine vom
       Ministerium geförderte Webseite der Ludwig-Maximilians-Universität München.
       Dort sollen Städte und Kommunen, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen
       Tipps für Hitzeaktionspläne und Notfallpläne erhalten.
       
       26 Jun 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.aerzteblatt.de/archiv/225954/Hitzebedingte-Mortalitaet-in-Deutschland-zwischen-1992-und-2021
   DIR [2] /Deutscher-Wetterdienst-zieht-Bilanz/!5905804
   DIR [3] https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2022/42/Art_01.html?nn=13282292
   DIR [4] https://www.rki.de/DE/Content/GesundAZ/H/Hitzefolgekrankheiten/Bericht_Hitzemortalitaet.html?nn=13282292
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Manuela Heim
       
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