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       # taz.de -- IS-Gefangene in Syrien: Kurden wollen selbst richten
       
       > Syriens Kurden wollen ausländische IS-Kämpfer vor Gericht stellen.
       > Staaten wie Deutschland weigern sich, ausgereiste Dschihadisten
       > zurückzuholen.
       
   IMG Bild: Auch Deutsche werden hier seit Jahren ohne Prozess festgehalten: das Al-Hol-Lager in Nordostsyrien
       
       Berlin taz | Die kurdische Selbstverwaltung in Syrien will gefangene
       Ausländer, darunter etliche deutsche Staatsbürger, vor Gericht stellen.
       Seit Jahren halten die Behörden der quasiautonomen Region im Nordosten des
       Landes mutmaßliche Kämpfer der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) in
       Gefangenenlagern fest.
       
       Immer wieder hat die Selbstverwaltung gefordert, dass die Herkunftsländer
       die Personen zurückholen und selbst strafrechtlich verfolgen. Da in vielen
       Fällen aber Beweise fehlen dürften, um die mutmaßlichen Dschihadisten zu
       Freiheitsstrafen zu verurteilen, sind bislang fast ausschließlich Frauen
       und Kinder repatriiert worden.
       
       „Um Gerechtigkeit zu erreichen und die Opfer zu würdigen, hat die
       Selbstverwaltung beschlossen, offene, faire und transparente
       Gerichtsverfahren gegen inhaftierte IS-Angehörige aus dem Ausland zu
       beginnen“, heißt es in einer [1][Mitteilung], die die Selbstverwaltung
       Mitte des Monats veröffentlichte. Die Prozesse würden im Einklang mit „den
       internationalen und lokalen Terrorismusgesetzen“ durchgeführt.
       
       Das Problem: Bei Nordostsyrien handelt es sich weder um einen Staat mit
       eigenem Justizwesen noch um eine offizielle Autonomieregion, sondern
       lediglich um eine de facto selbstständige Region in Syrien. Staaten wie
       Deutschland könnten Urteile der Selbstverwaltung gegen eigene Staatsbürger
       nicht anerkennen. Auch stellt sich die Frage, ob die Selbstverwaltung in
       der Lage ist, die voraussichtlich sehr aufwändigen Prozesse durchzuführen.
       
       Kinder werden radikalisiert 
       
       Kurdisch dominierte Kräfte hatten Nordostyrien im Zuge des Syrienkriegs
       unter ihre Kontrolle gebracht und haben seitdem ein Gemeinwesen mit eigenen
       Streitkräften aufgebaut, das weitgehend unabhängig ist vom Assad-Regime in
       der Hauptstadt Damaskus. 2019 führten kurdisch dominierte Milizen mit
       maßgeblicher internationaler Unterstützung den Kampf gegen den IS und
       beendeten damit die Herrschaft der Dschihadisten.
       
       Dabei gerieten viele IS-Kämpfer und deren Familien in Gefangenschaft.
       Insgesamt hält die kurdisch geführte Miliz der Demokratischen Kräfte
       Syriens (SDF) mehr als 10.000 mutmaßliche IS-Kämpfer in etwa zwei Dutzend
       Internierungslagern gefangen.
       
       Unter ihnen sind etwa 2.000 Ausländer. [2][Hinzu kommen nach kurdischen
       Angaben mehrere Tausend ausländische Frauen und Kinder.] Die Zustände in
       den Lagern sind miserabel, es herrschen mafiaähnliche Strukturen. Zudem
       droht eine weitere Radikalisierung der vielen Kinder in den Lagern.
       
       Rund 100 Deutsche in Gefangenschaft 
       
       Die Bundesregierung hat in sieben Rückholaktionen insgesamt 27 Frauen, 80
       Kinder und einen Jugendlichen, der als Kind nach Syrien gebracht wurde, aus
       Nordostsyrien zurückgeholt – also keinen einzigen Mann.
       
       Die nun angekündigten Prozesse kommentierte das Bundesinnenministerium auf
       taz-Anfrage: „Diese Ankündigung passt zu ähnlich gelagerten Mitteilungen
       aus den vergangenen Jahren. Es bleibt abzuwarten, wann und in welcher Form
       die Umsetzung der Prozesse erfolgt.“
       
       Auf die Frage, wie viele Deutsche vor Gericht gestellt werden könnten,
       verwies das Innenministerium auf mangelnde Informationen. Offenbar geht es
       jedoch um eine – möglicherweise hohe – zweistellige Zahl: Aktuell würden
       sich noch etwas mehr als 400 Personen im Ausland befinden, die Richtung
       Syrien oder Irak ausreisten, um sich vermutlich dem IS anzuschließen. Davon
       säßen aber nur rund 100 in Haft oder Gewahrsam in Syrien, Irak oder der
       Türkei. Die restlichen 300 Personen seien auf freiem Fuß, könnten aber auch
       getötet worden sein.
       
       Das Auswärtige Amt in Berlin teilte am Montag mit, es wisse von „einer
       niedrigen bis mittleren zweistelligen Anzahl“ deutscher Staatsangehöriger,
       die sich in kurdischem Gewahrsam befinden. Diese Angabe bezieht sich allein
       auf männliche Staatsbürger. Ob die Selbstverwaltung auch plant, Frauen vor
       Gericht zu stellen, war zunächst unklar.
       
       Dieser Artikel wurde zuletzt aktualisiert um 16.26 Uhr.
       
       26 Jun 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://nordundostsyrien.de/erklaerung-zu-gerichtsverfahren-gegen-auslaendische-is-kaempfer/
   DIR [2] /Syrisches-Lager-al-Hol-fuer-IS-Gefangene/!5895447
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jannis Hagmann
       
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