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       # taz.de -- Afrikanische Politik im Ukrainekrieg: Diplomatische Reisegeste
       
       > Afrikanische Politiker taten die Ukraine lange als Bauernopfer ab.
       > Ein Besuch in Kyjiw weist auf einen Wandel hin. Der erfolgte nicht ohne
       > Druck.
       
   IMG Bild: Der ukrainischer Präsident Selenski und der südafrikanische Präsident Ramaphosa am 16. Juni in Kyjiw
       
       Dass die Friedensmission afrikanischer Staatschefs in der Ukraine und in
       Russland am vergangenen Wochenende viel erreichen würde, hatte kaum jemand
       erwartet. Und tatsächlich gab es am [1][Ende wenig Konkretes zu berichten]
       außer dem Versprechen aller Seiten, weiter im Gespräch zu bleiben.
       
       Die Friedensreise der Staatschefs war vor allem eine diplomatische Geste:
       Die Bahnfahrt von Polen nach Kyjiw signalisierte die verspätete
       afrikanische Anerkennung der ukrainischen Perspektive. Lange hatten
       hochrangige Politiker:innen etwa aus Südafrika die Ukraine als bloßes
       Bauernopfer in einem größeren Konflikt zwischen Russland, China und dem
       Westen abgetan.
       
       Im Februar 2022 verurteilten in der UN-Generalversammlung gerade mal 28 von
       55 Mitgliedsstaaten der Afrikanischen Union (AU) den russischen Überfall,
       während sich eine große Minderheit enthielt oder nicht zur Abstimmung
       erschien. Einige wenige Staaten lehnten die Resolution sogar ab und
       stellten sich damit offen [2][an die Seite Russlands]. Seit Februar 2022
       hatte nur ein einziges afrikanisches Staatsoberhaupt Kyjiw besucht, aber
       viele andere sind nach Moskau gereist.
       
       ## Putin reagierte unwirsch
       
       Die diplomatische Reisegeste versammelte nun gleich sieben hochrangige
       Politiker, um eine neue afrikanische Geschlossenheit zu vermitteln, und
       vielleicht auch um Wiedergutmachung für frühere Versäumnisse zu leisten. So
       reisten jetzt sowohl der derzeitige Vorsitzende der Afrikanischen Union
       (AU) und Präsident der Komoren, Azali Assoumani, und die Staatsoberhäupter
       und Vertreter von sechs weiteren afrikanischen Staaten nach Kyjiw.
       
       Drei dieser Staaten – Südafrika, Republik Kongo und Uganda – haben sich bei
       den verschiedenen Abstimmungen in der UN-Generalversammlung konsequent
       enthalten. In Kyjiw und anschließend in St. Petersburg stellte die
       afrikanische Delegation nun jedoch einen 10-Punkte-Plan vor, in dem sie
       sich zur internationalen Norm der staatlichen Souveränität bekennt und
       diese Anerkennung auch von den Kriegsparteien einfordert. Entsprechend
       unwirsch reagierte Putin, der seinen Gästen ins Wort fiel, auf die
       Vorschläge.
       
       Auch sonst hat die russische Seite viel dafür getan, die Besucher zu
       verprellen. Als diese gerade in Kyjiw angekommen waren, schoss das
       russische Militär mehrere Raketen auf das Stadtzentrum ab. Die afrikanische
       Delegation musste in einen Schutzraum flüchten. Während des anschließenden
       Treffens mit Putin in St. Petersburg stellte dieser klar, dass er das
       Schwarzmeer-Getreideabkommen im Juli auslaufen lassen will. Das Abkommen
       regelt die Ausfuhr ukrainischen Weizens. Durch den Wegfall des Abkommens
       würde die Ernährungssicherheit besonders in Nordafrika weiter
       eingeschränkt.
       
       Nun ließe sich einwenden, dass eine siebenköpfige Gruppenreise für eine
       bloße Geste nicht nur einen übertriebenen Aufwand darstellt, sondern dass
       insbesondere Südafrika nicht aus freien Stücken zu der Einsicht gekommen
       ist, die eigene Haltung zum Krieg korrigieren zu müssen.
       
       Die USA haben in den letzten Wochen deutlich gemacht, dass sie die Geduld
       mit der russlandfreundlichen Politik Pretorias verlieren: zunächst
       beschuldigte der US-Botschafter in Südafrika das Land, ein sanktioniertes
       russisches Schiff in einer Nacht-und-Nebel-Aktion mit Waffen beladen zu
       haben. Wenig später forderten Kongressabgeordnete, den Ausschluss
       Südafrikas aus dem lukrativen AGOA-Handelsabkommen zu prüfen, das Südafrika
       bevorzugten Zugang für seine Exportprodukte auf dem amerikanischen Markt
       gewährt.
       
       Manche fragten, warum Südafrika unter Druck gesetzt, während Indiens
       Staatschef in Washington besondere Ehre zuteil wird – obgleich die
       Russland-Politik beider Länder durchaus vergleichbar ist. Die Antwort liegt
       nahe: Südafrika ist das wirtschaftlich schwächste Glied des
       BRICS-Staatenbündnisses, zu dem neben Indien auch China, Russland und
       Brasilien gehören. Der amerikanische Druck wegen der südafrikanischen
       Russland-Politik zielt letztlich auf den großen Rivalen China und den
       Zusammenhalt des BRICS-Bündnisses.
       
       ## Indirekte Verurteilung der Verbrechen Putins
       
       Ohnehin steht Südafrika durch seine Gastgeberrolle beim nächsten
       BRICS-Gipfel Ende August in Johannesburg unter Druck. Die Entscheidung,
       [3][ob und wie Putin am Gipfel teilnehmen kann, obwohl ein Haftbefehl des
       Internationalen Strafgerichtshofs gegen ihn vorliegt, schiebt Pretoria seit
       Wochen vor sich her]. Dass im afrikanischen 10-Punkte-Plan auch die
       Rückkehr der durch Russland entführten ukrainischen Kinder zu ihren
       Familien gefordert wird, stellt eine indirekte Verurteilung dieser
       Verbrechen Putins und eine Anerkennung der Begründung des Haftbefehls dar.
       
       Europäische Hauptstädte reagierten unterschiedlich auf den Besuch. Selenski
       nahm sich Zeit für die afrikanischen Gäste, zeigte aber auch sein
       Unverständnis darüber, dass sie nach ihrem Besuch in Kyjiw nach St.
       Petersburg weiterreisten. [4][Die polnische Regierung stichelte gegenüber
       Südafrika, indem sie mit Verweis auf fehlende Dokumente ein Flugzeug
       mitsamt Ramaphosas Leibwächtern und Journalisten in Warschau festhielt].
       Dass dadurch eine unabhängige südafrikanische mediale Berichterstattung
       verhindert wurde, nahm die rechtsgerichtete Regierung in Warschau in Kauf.
       
       Westeuropäische Diplomat:innen, darunter die deutsche Außenministerin
       Annalena Baerbock, äußerten hingegen die Hoffnung, dass auf die
       afrikanische Geste weitere Schritte folgen. Zeigen wird sich dies als
       nächstes beim russisch-afrikanischen Gipfel, zu dem Putin Ende Juli
       eingeladen hat. Sollten viele afrikanische Staatsmänner dort erscheinen,
       ohne zuvor hochrangige Vertreter nach Kyjiw zu senden, bliebe die
       afrikanische Friedensinitiative nicht viel mehr als einen Wochenendausflug
       ins Kriegsgebiet. Können die afrikanischen Diplomaten jedoch akzeptable und
       praktikable Ideen für Verhandlungsansätze vorlegen, könnten sie in Zukunft
       eine Brückenfunktion zwischen Russland und der Ukraine übernehmen.
       
       30 Jun 2023
       
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