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       # taz.de -- Kunst aus Israel: In Auflösung begriffen
       
       > Die Berliner Ausstellung "Who By Fire" ist ungewöhnlich. Sie zeigt
       > kritische Kunst aus Israel. 13 Künstler:innen zeichnen ein komplexes Bild
       > des Landes.
       
   IMG Bild: Wirft Steine, bis das Glas zerbirst: Avner Pinchover in seiner Videoprojektion „Riot Glass“, 2019
       
       Überraschend, aber es ist etwas Besonderes, dass es gerade eine
       Kunstausstellung gibt, die von Israel erzählt und deren
       Teilnehmer:innen alle einen biografischen Bezug zum jüdischen Staat
       haben. In der Schau „Who By Fire. On Israel“ lassen momentan 13
       Künstler:innen in das Innere des Landes blicken und auf seine ungelösten
       Konflikte. Sie zeichnen das komplexe Bild von einem Land, [1][das hier so
       viel und unter Beschwernissen diskutiert wird]. Die Schau wird nicht etwa
       in einem jüdischen Museum gezeigt, sondern in einer Institution für
       Gegenwartskunst, dem kleinen Haus am Lützowplatz in Berlin.
       
       Und weil solch eine Ausstellung selten ist, deckt sie den unschönen Umstand
       im Kunstbetrieb auf, dass dort zuletzt viel Israelkritik geübt, aber nur
       wenig Kunst aus Israel gezeigt wurde. Die documenta fifteen, das Auftreten
       antisemitischer Zerrbilder und die Vermutung, [2][eine BDS-Nähe der
       documenta-Macher:innen habe zu einem Boykott israelischer Künstler:innen
       geführt], war dann sein Kristallisationspunkt. Und so füllt „Who By Fire“,
       betitelt [3][nach Leonard Cohens Songversion] eines hebräischen Gebets,
       auch eine Leerstelle.
       
       In Israel würde man diese Ausstellung nur in Privaträumen zeigen, nicht in
       einem öffentlichen Museum, meint ihr Kurator Liav Mizrahi. Unter Benjamin
       Netanjahus rechtsreligiöser Regierung fließen die Kulturgelder ohnehin
       kaum einer unbequemen zeitgenössischen Kunst zu, lässt sich einem
       Informationsblatt zu der Berliner Schau entnehmen. Die 13 Stimmen, die
       Mizrahi hier nun versammelt, sind kritisch, geradezu aktivistisch.
       
       Avner Pinchover wirft in seiner neunminütigen Videoprojektion vor der
       Kulisse einer sonnenergrauten judäischen Wüste immer wieder Steine gegen
       monumentale Glaswände. Doch das Panzerglas zerbricht nicht bei seiner
       kräftezehrenden Aktion, die an ausufernde Proteste, aber unweigerlich auch
       an Steine werfende Jugendliche an Grenzanlagen zu Palästina denken lässt.
       Mit einem Brecheisen bringt Avner das Glas schließlich zum Zerbersten.
       Laut, bildlich beeindruckend ist seine Metapher dafür, wie Gebietskonflikte
       Israels zu explodieren drohen.
       
       ## Terrazzo als materielle Erinnerung
       
       Ironisch, zugleich bedrückend ist Dina Shenhavs Merkava-Panzer aus
       Schaumstoff. Ihr Nachbau eines besonders gesicherten Modells der
       israelischen Armee, dessen martialische Präsenz in vielen Teilen Israels
       zum Alltag gehört, wirkt wie eine gigantische Marzipanfigur, sackt in der
       Ecke des Galerieraums unter der weichen, täuschend süßen Masse ein.
       
       „Die kreative Klasse Israels scheint nur so zu explodieren vor Ideen, wie
       sie ihre großen Ängste und ihre Wut zum Ausdruck bringen kann“, schreibt
       der Kritiker der Jerusalem Post, Hagay Hacohen. Schon seit Wochen wird in
       Israel demonstriert: Es geht auch um den Erhalt der Demokratie. [4][Ariel
       Reichman] ruft dann in der Ausstellung mit seinen hochpräzisen Zeichnungen
       von Terrazzokacheln eine materielle Erinnerung an optimistische Zeiten des
       Landes hervor. Mit derartigem Terrazzo baute man einst in Israel viel,
       häufig mit Facharbeiter:innen aus den palästinensischen Gebieten.
       
       Subtil wird Fatma Shanan. Die Künstlerin, die der Minderheit der Drusen
       angehört, fragt auf ihren Malereien nach den Bewegungen von Menschen im
       Öffentlichen wie im Privaten. Auf ihrem Bild sieht man einen Teppich, wie
       man ihn im traditionellen Haushalt der Drusen findet, ausgerollt in einem
       Park, darauf ein kleines Mädchen – doch Körper und Raum lösen sich zu einem
       Ornament auf.
       
       16 Jun 2023
       
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