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       # taz.de -- Wiederentdeckte Autorin Buchi Emecheta: Der große Traum vom Schreiben
       
       > Die nigerianische Autorin Buchi Emecheta war für Schwarze Autorinnen aus
       > Großbritannien ein Vorbild. 2017 starb sie. Nun wird sie wiederentdeckt.
       
   IMG Bild: Buchi Emecheta wurde 1944 in Lagos geboren und emigrierte 1962 nach London
       
       Gut vierzig Jahre trennen die nigerianischen Autorinnen Buchi Emecheta und
       [1][Oyinkan Braithwaite] – der ihnen schon als Kind eigene Traum,
       Schriftstellerin zu werden, vereint sie. Doch die Voraussetzungen für
       dessen Verwirklichung haben sich sehr verändert.
       
       Die 1988 geborene Braithwaite, in Nigeria und London aufgewachsen, hatte
       2018 einen großen Erfolg mit „Meine Schwester, die Serienkillerin“, und
       [2][Chimamanda Ngozi Adichie] oder Lesley Nneka Arimah sind auch in
       Deutschland verlegte, bekannte weibliche Stimmen nigerianischer Herkunft.
       Auch Schwarze Autorinnen und Women of Color aus anderen Ländern werden
       erfreulicherweise mit ihrer Literatur inzwischen immer sichtbarer.
       
       [3][Buchi Emecheta], die 1944 in Lagos geboren wurde und 1962 nach London
       emigrierte, begann dagegen Anfang der 70er Jahre noch in einem ganz anderen
       Umfeld mit dem Schreiben. Sie war nach Flora Nwapa eine der ersten
       Nigerianerinnen überhaupt, deren Bücher in Großbritannien veröffentlicht
       wurden. Auch Literatur von Frauen aus anderen afrikanischen Ländern oder
       Schwarzer britischer Autorinnen war so gut wie nicht präsent. Man darf sie
       daher als eine Pionierin auf diesem Feld betrachten.
       
       ## Urmutter der Schwarzen Frauenliteratur
       
       Bernardine Evaristo verehrt sie gar als „Urmutter der Schwarzen
       Frauenliteratur“, auch Chimamanda Ngozi Adichie hat jedes ihrer Bücher
       „voller Bewunderung“ gelesen. Und so ist es sehr zu begrüßen, dass der
       Blumenbar Verlag beginnt, ihr hier in Deutschland wenig bekanntes Werk
       (wieder) zugänglich zu machen.
       
       An die zwanzig Bücher hat Emecheta geschrieben, dazu Fernsehstücke,
       Artikel. Sechs Titel wurden in den 80er und 90er Jahren ins Deutsche
       übertragen und sind längst vergriffen. Nun erscheint ihr zweiter Roman
       „Second-Class Citizen“ aus dem Jahr 1974 in einer sehr gelungenen,
       sensiblen Neuübersetzung der afrodeutschen Literaturwissenschaftlerin
       Marion Kraft.
       
       „Second-Class Citizen“ ist die romanhafte Umsetzung von Buchi Emechetas
       früher Lebensgeschichte. Diese ist von Härten, Herausforderungen,
       Zumutungen geprägt, die kaum zu bewältigen scheinen. Adah, die weibliche
       Hauptfigur, darf als Alter Ego der Autorin gelesen werden.
       
       ## Kindheit in Nigeria
       
       Der Text ist als Rückblick gestaltet und setzt mit der Kindheit in Nigeria
       ein. Gegen die geltenden Traditionen erstreitet sich Adah den Schulzugang,
       der meist den Jungen vorbehalten ist. Mit 16 heiratet sie Francis, dem sie,
       erneut gegen Widerstände, zwei Jahre später mit bereits zwei Kindern und
       voller Hoffnung auf ein besseres Leben nach England folgt.
       
       Ihre Bildung ermöglichte ihr in Nigeria eine herausgehobene Stellung, in
       England nützt sie ihr allerdings wenig: „Du musst eines wissen, meine liebe
       junge Lady. In Lagos könntest du eine Million Mal eine Beamtin bei den
       Amerikanern sein. Du könntest eine Million Pfund am Tag verdienen, 100
       Dienstboten haben und wie die Elite leben. Aber an dem Tag, an dem du in
       England landest, bist du Second-Class Citizen“, mit diesen Worten begrüßt
       sie Francis in dem engen, schäbigen Zimmer ohne Bad.
       
       Emechetas Sprache ist schnörkellos, direkt. Sie habe schon früh eine
       Geschichtenerzählerin werden wollen, ganz in der sie prägenden Tradition
       des Geschichtenerzählens in Nigeria, so die Autorin in mehreren Interviews.
       Ihre Schreibweise nimmt diese Unmittelbarkeit auf. Sie nutzt eine freie
       Erzählform, gestaltet so eine Geschichte, deren Lebendigkeit die Lesenden
       mitreißt. Deren Ereignisse oft erschüttern und die zugleich einen Prozess
       nachzeichnet: den der Verwandlung Adahs von einer Frau, die mit fast nichts
       in einem zutiefst rassistischen England ankommt, hin zur werdenden
       Schriftstellerin.
       
       Eindrücklich schildert Emecheta die zunehmende Entfremdung Adahs zu ihrem
       Mann, der mit seinen Ambitionen scheitert und am in Nigeria erlernten
       Frauenbild festhält, wonach die Frau Besitz des Mannes ist. So klar Adah
       Gleichberechtigung will, mit sarkastisch-präzisen Worten das Verhalten
       Francis' benennt, so deutlich zeichnet Emecheta ihre Zerrissenheit zwischen
       den zwei Kulturen.
       
       Zugleich hat die Autorin einen genauen Blick für die gesellschaftlichen
       Verhältnisse, den unverstellten Rassismus und Klassismus; aber auch für die
       Beziehungen der nigerianischen Migrant*innen untereinander, die sie
       ebenso scharf zeichnet.
       
       ## Der Traum vom Schreiben
       
       Schließlich wird Adah Francis verlassen, seiner zunehmenden Gewalt
       entfliehen – mit fünf Kindern und fest entschlossen, den alten Traum vom
       Schreiben umzusetzen. Tagsüber arbeitet sie, abends studiert sie, im
       Morgengrauen schreibt sie. Hier endet der Roman.
       
       Emecheta machte ihren Abschluss in Soziologie, später promovierte sie. Sie
       war alleinerziehende Mutter, Sozialarbeiterin, Dozentin – und fand als
       Schriftstellerin viel Anerkennung. So wurde sie 1983 als „One of the Best
       Young British Writers“ ausgezeichnet.
       
       In ihren Büchern, sagte Emecheta, gehe es um das Überleben, ganz wie in
       ihrem eigenen Leben. Dabei nahm sie die lange unsichtbare Perspektive der
       Frauen ein, um deren Unabhängigkeit und Rechte es ihr ging. Sie erzählte
       Geschichten von Frauen in der afrikanischen Diaspora ebenso wie aus Afrika
       selbst. 2017 verstummte ihre mutige, ausdrucksstarke Stimme im Alter von 72
       Jahren.
       
       2 Jul 2023
       
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