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       # taz.de -- Bosnien und Herzegowina: Schmidt stellt sich gegen Dodik
       
       > Der internationale Bosnien-Beauftragte hat Beschlüsse des
       > bosnisch-serbischen Parlaments aufgehoben. Schmidt sah Verstöße gegen das
       > Dayton-Abkommen.
       
   IMG Bild: Wurde für seinen Kuschelkurs gegenüber den Nationalisten kritisiert: Christian Schmidt (Archivfoto)
       
       Sarajevo taz | Jetzt hat er sich doch getraut und ist dem serbischen
       Nationalistenchef in Bosnien und Herzegowina entgegengetreten:
       [1][Christian Schmidt, der Hohe Repräsentant der internationalen
       Gemeinschaft für Bosnien und Herzegowina], hat am Freitag entschieden, dass
       die von Milorad Dodik im Parlament des serbisch kontrollierten Teilstaats
       durchgesetzte Blockade von Bosniens Verfassungsgericht und andere Gesetze
       nichtig seien.
       
       Zudem sollen alle Verfügungen des Hohen Repräsentanten gegen den Willen
       Dodiks und seiner Regierung im Gesetzesblatt der serbischen Teilrepublik
       veröffentlicht werden. Schmidt erklärte, die kürzlich erlassenen
       Gesetzesänderungen in der serbischen Teilrepublik seien gegen die
       Verfassung Bosnien und Herzegowinas und somit gegen das Abkommen von Dayton
       von 1995 gerichtet. Viele sehen in Dodiks Politik den Versuch, den
       serbischen Teilstaat aus Bosnien und Herzegowina herauszulösen.
       
       Bosnien und Herzegowina ist aufgeteilt in die überwiegend von bosnischen
       Serben bewohnte Republika Srpska und die Föderation Bosnien und
       Herzegowina, in der mehrheitlich muslimische Bosnier und Kroaten leben.
       Beide Landesteile sind durch eine schwache Zentralregierung verbunden.
       
       Mit seiner Entscheidung vom Freitag hat Schmidt Dodik den Fehdehandschuh
       zurückgeworfen. Am Wochenende antwortete dieser darauf und behauptete, die
       internationale Gemeinschaft versuche mit diesen Maßnahmen, die Serben in
       Bosnien zu schwächen und ihre Identität zu zerstören. Er werde sich nicht
       einem bosniakischen Staatsanwalt oder einem bosniakischen Richter fügen.
       Man wolle Bosniens Hauptstadt Sarajevo, aus der 157.000 Serben zu Beginn
       des Krieges 1992 vertrieben worden seien, zum Zentrum des Landes machen.
       
       Geschichtslügen sind gang und gäbe 
       
       Diese Position Dodiks wird von Sarajevo als Geschichtslüge zurückgewiesen.
       Schon vor seinen jüngsten Äußerungen hatte Sarajevos Bürgermeisterin
       Benjamina Karić gegen die Errichtung einer Tafel an der Grenze zu Sarajevo
       protestiert, auf der dies behauptet wird. Zeitzeugen und internationale
       Journalisten wissen jedoch, dass serbische Politiker um Radovan Karadžić
       vor dem Angriff auf Sarajevo serbische Bewohner aufgerufen hatten, die
       Stadt zu verlassen. Sie könnten nach dem Sieg der Serben wieder
       zurückkehren, hieß es.
       
       Geschichtslügen gehören zum Repertoire der Nationalisten und sind nach
       Meinung von Historikern gang und gäbe. Erst am Freitag soll Dodik zudem mit
       der angeblichen Aussage „Fuck Srebrenica“ die Opfer der serbischen
       Soldateska im Jahr 1995 erneut beleidigt haben. Auch hat er jüngst
       versucht, serbische Opfer aus dem Zweiten Weltkrieg als Beweis dafür
       anzuführen, dass bis heute vor allem Serben Opfer des Faschismus gewesen
       seien. Das Pro-Hitler-Regime unter General Nedić in Serbien erwähnte Dodik
       in diesem Zusammenhang nicht.
       
       Unterdessen sind nun in Sarajevo viele, die Schmidt wegen dessen Kungelei
       mit den Nationalisten kritisiert hatten, etwas erleichtert. Vor allem die
       nicht-nationalistische und die bosniakische Szenerie waren nach der im
       Frühjahr erfolgten [2][Wahlrechtsänderung zugunsten der kroatischen
       Nationalisten] beunruhigt über die Position der internationalen
       Gemeinschaft, der USA und vor allem Schmidts.
       
       Bosniakisch-muslimische Kreise hatten offen mit einem Plan B gedroht,
       sollte Dodik nicht in die Schranken gewiesen werden. Sogar das
       sozialdemokratische Mitglied des Staatspräsidiums, Denis Bećirović, setzte
       der internationalen Gemeinschaft eine Frist von einer Woche, um Dodik zur
       Vernunft zu bringen.
       
       2 Jul 2023
       
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