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       # taz.de -- Europarat verhandelt Abkommen: KI für die Milliarden
       
       > Es könnte die weltweit größte Regulierung Künstlicher Intelligenz werden.
       > Die Konvention des Europarats würde Menschen auf mindestens drei
       > Kontinenten betreffen. Doch es gibt auch Kritik.
       
   IMG Bild: Auch das ist KI: interaktives System zur Unterstützung für Gebärdensprachdolmetscher:innen
       
       Berlin taz | Der Vergleich klingt erst einmal gewagt: „KI-Systeme kann man
       als neue Motoren der digitalen Welt betrachten“, sagte der Schweizer Ökonom
       Thomas Schneider jüngst bei einer Diskussion der Unesco über künstliche
       Intelligenz (KI).
       
       Die Analogie: Während Motoren einst repetitive körperliche Tätigkeiten
       automatisierten, werde KI repetitive kognitive Abläufe automatisieren. Und
       ebenso wenig wie Motoren von einer einzelnen weltumspannenden Gesetzgebung
       oder Vereinbarung reguliert werden, werde das bei KI-Systemen passieren.
       
       Schneider ist nicht nur Ökonom. Er war unter anderem einige Jahre in einer
       leitenden Position bei der ICANN, der Organisation der
       Internetselbstverwaltung. Und nun ist er Vorsitzender des KI-Ausschusses
       des Europarats – und in dieser Funktion eine der Schlüsselpersonen, wenn es
       um neue Regeln für die Technologie geht.
       
       Denn die [1][EU ist mit ihrem AI Act] – zu dem sich das Europaparlament im
       Juni positioniert hat – nicht die einzige Instanz, die dabei ist, ein
       Regelwerk für KI zu erarbeiten. Auch die Mitgliedstaaten des Europarats
       befinden sich derzeit in Verhandlungen über ein multilaterales
       Rahmenabkommen, eine KI-Konvention. Und neben diesen 46 Staaten sind
       weitere Nationen an den Verhandlungen beteiligt, unter anderem Mexiko,
       Israel, Japan und die USA. Damit könnte die Konvention die KI-Regulierung
       werden, die die größte Zahl an Menschen betrifft.
       
       Die Forderungen nach Regeln für künstliche Intelligenz sind in den
       vergangenen Wochen und Monaten immer lauter geworden. Zwar sind
       KI-Anwendungen schon seit Jahren im Alltag vieler Techniknutzer:innen
       integriert, zum Beispiel in manchen Spamfiltern für E-Mails oder in
       verschiedenen Apps für die Fotobearbeitung. Aber eine Ahnung des
       disruptiven Potenzials wurde erst durch die Veröffentlichung von Bild- und
       Textgeneratoren wie ChatGPT oder Midjourney Ende vergangenen Jahres
       deutlich.
       
       ## Zahlreiche Gefahren
       
       Seitdem reißen die [2][Hinweise auf die Gefahren] nicht ab: von der
       Möglichkeit, massenhaft Fake News und Propaganda zu erstellen, bis zum
       Problem von unausgewogenen Trainingsdaten und daraus resultierenden
       Verzerrungen. Regulierung soll es richten, am besten möglichst umfassend
       und multilateral. Aber wie genau?
       
       Der Ansatz der KI-Konvention ist ein umarmender und distanzierender
       zugleich: „Es muss ein gemeinsamer Rahmen sein, den jeder einzelne Staat an
       sein eigenes juristisches System anpassen kann“, skizziert Schneider das
       Ziel.
       
       So würden in dem Rahmen etwa Pflichten zur Folgeabschätzung der Systeme
       oder zu Einspruchsmöglichkeiten von Betroffenen festgelegt und
       Anforderungen an die Umsetzung der Konvention, beispielsweise mit
       Aufsichtsbehörden. Wie diese dann aber ausgestaltet werden, sei Sache der
       einzelnen Staaten, die den Rahmen in die Praxis übertragen. Dementsprechend
       werden auch Strafen für Verstöße im nationalen Recht geregelt – und somit
       uneinheitlich ausfallen.
       
       Ein [3][erstes Dokument], auf Basis dessen die beteiligten Staaten
       verhandeln, hatte das Sekretariat des KI-Ausschusses Anfang des Jahres
       veröffentlicht. Hier werden die groben Linien skizziert, die eine
       Konvention eines Tages ausmachen könnten. Etwa die Grundprinzipien, denen
       die Entwicklung und der Einsatz von KI-Systemen folgen muss. Demnach darf
       eine Software nicht diskriminieren, sie muss Anforderungen an Transparenz
       und Datenschutz erfüllen und darf keine Menschen- und Freiheitsrechte
       verletzen.
       
       „Es ist ein sehr wichtiges Vorhaben, Menschenrechte, Demokratie und
       Rechtsstaatlichkeit, also die Werte, denen sich der Europarat verschrieben
       hat, mit einer KI-Konvention zu schützen“, sagt Angela Müller, KI-Expertin
       bei der NGO Algorithmwatch. Sie sieht die Arbeit des Europarats nicht als
       Konkurrenz zu der EU-Regulierung, sondern als Ergänzung. Schließlich sind
       mehr Staaten beteiligt. Und während die EU per Definition eine stärkere
       Binnenmarktfokussierung habe, habe der Europarat mit seinem
       wertezentrierten Ansatz eine andere Herangehensweise. Doch sie sieht auch
       Gefahren.
       
       Die erste manifestierte sich schon zu Beginn des Jahres. Da beschloss der
       Ausschuss, dass es künftig zwei parallele Verhandlungsgruppen geben wird:
       Eine, in der die beteiligten Staaten an dem konkreten Papier arbeiten. Und
       eine zweite, in der auch zivilgesellschaftliche Organisationen vertreten
       sind. Das heißt umgekehrt: Diese haben keinen unmittelbaren Einfluss mehr
       auf den Verhandlungsprozess, sondern immer erst im Nachhinein – also etwa,
       wenn etwas aus den Sitzungen nach außen dringt oder ein Zwischenstand
       veröffentlicht wird.
       
       ## Kritik von NGOs
       
       Mehrere NGOs, darunter Algorithmwatch und das Center for AI and Digital
       Policy, eine nichtkommerzielle Forschungsorganisation, kritisieren das in
       einem Statement, das am Dienstag veröffentlicht wird. Die Aufspaltung in
       zwei Gruppen „untergräbt die Transparenz und Rechenschaftspflicht des
       Europarates und steht im Widerspruch zur gängigen Praxis“, heißt es darin.
       Der Europarat ließ eine Anfrage der taz zu der Kritik an dem Verfahren
       unbeantwortet.
       
       Die zweite Gefahr: eine mögliche Abwägung von Rechten. „In den
       Verhandlungen kommen natürlich die Interessen der Nationalstaaten zum
       Tragen“, sagt Müller. Ihre Befürchtung: Deren Argumente von
       wirtschaftlichen über militärische Interessen bis hin zum Allzweckargument
       der Innovationsförderung könnten am Ende in einem Verhandlungstopf mit den
       Grundwerten landen. „Menschenrechte müssen den Rahmen für die Regulierung
       vorgeben und dürfen nicht zu Verhandlungsmasse werden“, fordert Müller.
       
       Die dritte Gefahr, die Müller sieht: ein Aufweichen der Regeln bei der
       Umsetzung in den einzelnen Staaten, die sie ratifizieren. „Es ist wichtig,
       dass es eine Konvention mit Zähnen wird“, sagt die Expertin daher. Ob das
       der Fall ist, werde sich an mehreren Faktoren zeigen: Gibt es verbindliche
       Transparenzregeln für den Einsatz von KI? Können sich Betroffene wirksam
       gegen KI-basierte Entscheidungen wehren? Können Personen für den Einsatz
       von KI und die mittels der Software getroffenen Entscheidungen in die
       Verantwortung genommen werden? Diese Fragen will Müller mit Ja beantwortet
       sehen.
       
       Die nächsten Treffen der Verhandlungsgruppen sind derzeit für Herbst
       anberaumt. Wann die KI-Konvention tatsächlich fertig ist, dürfte vom
       Fortgang der Verhandlungen beim AI Act der EU abhängen. Nachdem das
       Parlament dazu seine Position beschlossen hat, geht es nun in die
       Verhandlungen mit EU-Kommission und Rat, in dem die Mitgliedstaaten
       vertreten sind. Eine Einigung ist bis Ende des Jahres geplant.
       
       Doch auch hier werden die teilweise widerstreitenden Interessen der
       Nationalstaaten zu Konflikten führen. Absehbar ist das bereits beim Thema
       KI im Zusammenhang mit der inneren Sicherheit. Ein Punkt also, der auch bei
       der KI-Konvention noch für Diskussion sorgen könnte.
       
       4 Jul 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /EU-Parlament-zur-kuenstlichen-Intelligenz/!5937487
   DIR [2] /Forscherin-ueber-Kuenstliche-Intelligenz/!5937210
   DIR [3] https://rm.coe.int/cai-2023-01-revised-zero-draft-framework-convention-public/1680aa193f%22
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Svenja Bergt
       
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