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       # taz.de -- Tiefseebergbau in Norwegen: Umstrittene Knollenernte
       
       > Vor Norwegen liegen Manganknollen mit Mineralien und seltene Erden. Die
       > Regierung plant den Abbau, die Folgen für das Ökosystem sind unbekannt.
       
   IMG Bild: Norwegens Ölplattformen wie hier in der Nordsee werden durch die Energiewende zu Auslaufmodellen
       
       Stockholm taz | Schon in einigen Jahren sollen die Tiefseeroboter vor der
       norwegischen Küste fahren. Sie werden den Meeresboden durchpflügen, um dort
       Kupfer, Nickel, Kobalt und seltene Erden abzubauen. So zumindest die
       Vorstellung der norwegischen Regierung. Am Dienstag vergangener Woche legte
       sie dem Parlament in Oslo eine Beschlussvorlage zur neuen „Meeresindustrie“
       für die „Gewinnung von Mineralien auf dem Meeresboden“ vor.
       
       Vom Nordatlantik nördlich der Inselgruppe der Lofoten und Vesterålen bis
       zur [1][Arktisinsel Spitzbergen] in der Barentssee sollen 282.000
       Quadratkilometer des Festlandsockels – das entspricht drei Viertel der
       Fläche Deutschlands – für diesen „kommerziellen Bergbau“ freigegeben
       werden. In einem 82-seitigen Weißbuch skizziert die Regierung eine
       Strategie für die Erschließung und Bewirtschaftung dieser Ressourcen.
       Darunter wird auch die Ambition genannt, „weltweit führend im fakten- und
       wissensbasierten Management von Meeresbodenmineralien“ zu werden.
       
       Praktisch soll das ähnlich gehandhabt werden wie bei der jetzigen
       Offshore-Öl- und -Gasgewinnung: Oslo schreibt nach und nach Lizenzen für
       räumlich begrenzte Felder in den fraglichen Meeresgebieten aus und
       interessierte Konzerne können Konzessionen für eine Erkundung und spätere
       Förderung erwerben. Die sollen genehmigt werden, wenn die Konzerne einen
       „nachhaltigen und verantwortungsvollen“ Abbau nachweisen können.
       
       Norwegen wurde in den vergangenen 50 Jahren [2][mit der Öl- und
       Gasförderung in der Nordsee], dem Nordatlantik und der Barentssee zu einem
       der reichsten Länder der Welt. Nun hofft man offenbar zeitlich passend zum
       sich abzeichnenden Ende der fossilen Energiegewinnung neue
       Vermarktungsmöglichkeiten zu finden. Und die erneuerbaren Energien
       verlangen geradezu Mineralien, Erze und seltene Erden.
       
       ## Nachfrage nach Rohstoffen werden steigen
       
       Ein für das Land verlockendes Szenario, das Öl- und Energieminister Terje
       Aasland gleich als verantwortungsvollen Einsatz Norwegens für eine
       weltweite grüne Energiewende anpreist: „Wir brauchen Mineralien, um die
       grüne Wende zu schaffen. Heute werden diese Ressourcen von einigen wenigen
       Ländern kontrolliert, was uns verwundbar macht. Meeresbodenmineralien
       können eine Quelle für wichtige Metalle werden.“
       
       Oslo verweist auf Berechnungen der Internationalen Energieagentur IEA,
       wonach die Nachfrage nach Kupfer und seltenen Erden um 40 Prozent, die nach
       Nickel um 60, nach Kobalt um 70 und nach Lithium um 90 Prozent steigen
       wird. Nach jahrelangen geologischen Untersuchungen ist die staatliche
       Ölbehörde Oljedirektoratet überzeugt, dass Norwegen mit den
       polymetallischen Knollen („Manganknollen“), die in seiner Wirtschaftszone
       auf dem arktischen und subarktischem Meeresboden zu finden sind, einen
       wichtigen Beitrag zur Deckung dieses Bedarfs leisten könnte.
       
       Als besonders vielversprechend gelten die Ergebnisse einer 2018 gemachten
       Expedition am vulkanischen Mohns-Riff zwischen dem Eiland Jan Mayen und der
       Bäreninsel. Man schätzt beispielsweise die Vorkommen von Kupfer und Zink
       auf 38 und 45 Millionen Tonnen. „Und Norwegen verfügt bereits über eine
       umfassende Erfahrung bei der nachhaltigen und verantwortungsvollen
       Bewirtschaftung von Meeresressourcen“, betont Aasland.
       
       „Dieser Vorschlag ist eine Katastrophe. Die Regierung beweist damit, dass
       sie die Probleme solcher Aktivitäten in Bezug auf die Natur und die
       Klimakrise nicht verstanden hat“, reagierte Lars Haltbrekken, der
       Vorsitzende der sozialistischen Linkspartei, auf die Vorlage. Offenbar
       glaube man keine Rücksicht darauf nehmen zu müssen, dass „das Leben im Meer
       bereits durch die globale Erwärmung bedroht und der Meeresboden ein
       wichtiger Kohlenstoffspeicher ist“.
       
       ## Ex-Umweltminister: Norwegen werde umweltfeindlich
       
       Einen „neuen Tiefpunkt beim Umgang Norwegens mit dem Meer und der Umwelt“
       beklagt Fredric Hauge, Vorsitzender der Umweltorganisation Bellona: „Wir
       kennen die Ökosysteme gar nicht, die wir jetzt zerstören wollen.“ Von einem
       „schwarzen Tag“ spricht Karoline Andaur, Generalsekretärin des [3][WWF]
       Norwegen: Angesichts der „vielen Wissenslücken, die wir heute haben, und
       trotz aller Warnungen der weltweit führenden Meereswissenschaftler so einen
       Schritt tun zu wollen ist nicht weniger als ein Skandal“.
       
       „Die Behauptung, dass wir diese Mineralien für den grünen Übergang
       brauchen, ist Unsinn“, kritisiert auch der liberale Ex-Umweltminister Ola
       Elvestuen: „Die Regierung macht Norwegen zu einem der umweltfeindlichsten
       Länder der Welt, zusammen mit dem Inselstaat Nauru. Das ist haarsträubend.“
       
       Der sozialdemokratische Ministerpräsident Jonas Gahr Støre wirft solcher
       Kritik vor, sich vor dem Dilemma eines grünen Übergangs zu drücken.
       Natürlich gebe es ein „Spannungsverhältnis zwischen der Bekämpfung des
       Klimawandels und dem Schutz der Natur“. Aber da gelte es eben abzuwägen.
       
       Zwangsläufig würden durch die Abbauaktivitäten Lebensräume bestimmter Arten
       verschwinden, heißt es auch im Weißbuch. Solche Folgen seien aber nur
       zeitweilig, räumlich „im Verhältnis zur Gesamtfläche des Meeresbodens sehr
       begrenzt“ und nicht vergleichbar mit den Umweltschäden, die beispielsweise
       durch eine größere Ölpest entstehen könnten.
       
       ## Nicht mal die Regierung ist einig
       
       Solche Argumentation konnte allerdings nicht einmal Gahr Støres eigene
       Partei zur Gänze überzeugen. Sie ist zur Frage des Tiefseebergbaus
       gespalten, die Jungsozialisten fordern ein Verbot. Auch [4][in der
       Koalition aus Sozialdemokraten und Zentrumspartei] ist man uneinig: Kritik
       gibt es vor allem aus dem Umwelt-, dem Fischerei- und dem Außenministerium.
       Im Parlament wäre die Minderheitsregierung auf Stimmen der Opposition
       angewiesen. Einige Parteien sind noch unschlüssig. „Natürlich ist es
       einfach, dagegen zu sein“, appelliert Terje Aasland: „Aber dann erwarte ich
       auch Alternativen, wo wir die Mineralien für die grüne Wende herbekommen
       wollen.“
       
       4 Jul 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Karge-Landschaften-auf-Spitzbergen/!5693780
   DIR [2] /Greenpeace-gegen-Norwegens-Regierung/!5944078
   DIR [3] /Fuehrung-des-Umweltverbands-WWF/!5850257
   DIR [4] /Fuehrung-des-Umweltverbands-WWF/!5850257
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reinhard Wolff
       
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