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       # taz.de -- Die Wahrheit: Wirre Inselesel
       
       > Tagebuch einer Teilzeitkeltin: Auf der Grünen Insel leben nicht nur so
       > manche sympathisch verschrobenen Zwei-, sondern auch Vierbeiner.
       
       Irland! Nach pandemiebedingter Unterbrechung zog es mich endlich wieder in
       den beruhigenden Kosmos aus grüner Monochromie, klimatischer
       Unberechenbarkeit und begrenzter kulinarischer Vielfalt. Leider hatte ich
       mit der Aussicht auf derart gepflegte Unaufgeregtheit vergessen, dass mich
       nach der Ankunft in Dublin bis zu meinem Ziel am Atlantik noch 250
       Kilometer Linksverkehr erwarteten. Ungeachtet meiner Kleinwagenbuchung
       begrüßte mich ein strahlender Autoverleihmitarbeiter mit der Botschaft: „I
       have a bigger car for you!“
       
       Für jeden, der sich schon mal auf engen Rumpelstraßen durch die Landschaft
       gequält hat, ist das eine schlechte Nachricht; fortan durfte ich in einem
       SUV-Kampfpanzer anderen angstschlotternden Touristen und unbarmherzig
       anrückenden Traktoren rückwärts bergab ausweichen.
       
       Irland ist aber nicht nur das Zentrum herausfordernder
       Verkehrsverhältnisse, sondern auch begabter Fabulierer. Ihre Stories werden
       in der Kategorie „he/she’s a character“ verbucht, was so viel bedeutet wie
       „sympathisch verschroben, neigt zu Übertreibung“.
       
       Als ein Schild am Wegesrand auf eine Eselfarm hinwies – Eseln kann ich
       nicht widerstehen –, begegnete ich Willie, einem „character“ erster Güte,
       der außer für seine Farm noch für einen berüchtigten Heiratsmarkt Reklame
       machte. Auf just diesem hatte, wie ich später erfuhr, mein deutscher Freund
       R., von dem noch die Rede sein wird, vor Jahren eher zufällig seine irische
       Frau kennengelernt. Willie knöpfte mir also 10 Euro für die Erhaltung
       seiner verzottelten Herde ab und erklärte in religiösem Singsang, für das
       Kreuzmuster im Rückenfell seiner Esel sei „Baby Jesus“ verantwortlich,
       Genaueres war nicht aus ihm rauszuholen.
       
       Pflegt man als Zugezogener lange genug Umgang mit „characters“, also mit
       Iren als solchen, färbt das unweigerlich ab. Sehr gut zu beobachten ist das
       bei R. Eines Tages rief er in Panik bei meinen ihm benachbarten
       Herbergseltern an: „Auf meine Wiese ist ein Esel eingedrungen! Kennt ihr
       den? Er terrorisiert mein Pferd!“
       
       Das Pferd war, so muss man wissen, bereits vor Jahren von R. selbst
       terrorisiert worden, als er auf die glorreiche Idee kam, seine wenig
       abenteuerlustige Stute zu ihrer Sicherheit mit einem Elektrozaun
       einzuhegen. Dabei schaffte er es, einen durch ein Metallteil seiner
       Kleidung ausgelösten Stromschlag großzügig an ihre empfindlichen Nüstern
       weiterzugeben. Das traumatisierte Tier hielt jahrelang Sicherheitsabstand
       zu R., der E-Zaun wurde abgebaut und durch Seile ersetzt, was nun offenbar
       den graufelligen Bewohner der Nachbarwiese zu einem Besuch inspiriert
       hatte. Nichts wie hin!
       
       Ich war bereit, mich als Eselflüsterin anzubieten, aber der tierische
       Terrorist erwies sich als hormonell verwirrtes Jungpferd, offenbar ein
       „character“, der sein Glück bei einer reifen, aber sehr unwilligen Lady
       versuchte. Auch Pferdeteenager können echte Esel sein.
       
       6 Jul 2023
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Pia Frankenberg
       
       ## TAGS
       
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