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       # taz.de -- Bundesjugendspiele, Thüringen und Bundestag: Ich reg' mich nicht auf!
       
       > Je lauter man in den Thüringer Wald hineinruft: „Ihr seid scheiße“, desto
       > mehr wählen dort erst recht rechts. Deshalb gilt: nur immer die Ruhe
       > bewahren.
       
   IMG Bild: Nicht alles war schlecht: Die Bundesjugendspiele sind jetzt frei von Leistungsdruck
       
       Am Ende dieser Woche ist mir eines klar geworden: Wir müssen uns abregen.
       Dringend. Alles andere führt ins Verderben. Die ständigen Empörungswellen
       von links und rechts scheinen ja nur Rechten Erfolg zu bringen. Weltweit,
       auch in Deutschland, ist die [1][Tendenz eindeutig]. Grüne und SPD
       verlieren, die Union liegt vorn. Die AfD steht bei 20, die Linke bei 4 (!)
       Prozent. Und je lauter man in den Thüringer Wald hineinruft: „Ihr seid
       scheiße“, desto mehr wählen dort erst recht rechts. So kann, so darf das
       nicht weitergehen.
       
       Stopp! So weit, so einfach. Abregen ist leider schwieriger. Eine
       Möglichkeit, die ich erwogen habe, ist, auf [2][Sahra Wagenknechts]
       Parteiaustritt zu warten, weil dann die Linke vielleicht wieder für Linke
       wählbar wird, ein Linksruck im Land entstehen oder wenigstens ein paar
       AfD-Fans zu Wagenknechts neuer Partei abwandern könnten. Aber das dauert
       wohl noch etwas und scheint mir bei näherer Betrachtung auch keine
       hinreichende Perspektive, um die Weltlage oder wenigstens mich persönlich
       zu beruhigen.
       
       Also habe ich versucht, mich in dieser Woche über gar nichts aufzuregen und
       alles gut zu finden. Zum Beispiel die neue Kindergrundsicherung, die
       endlich beschlossen wurde, um wenigstens den Kleinsten in diesen harten
       Zeiten beizustehen: Jedes Kind bekommt ab sofort garantiert eine Urkunde
       bei den [3][Bundesjugendspielen], ohne strenge Punktwertung, egal wie weit
       es genau gesprungen, gerannt oder gestolpert ist. Wenn das nichts ist!
       
       Damit helfen die KultusministerInnen auch der Ampel, weil die armen Kleinen
       und ihre Familien jetzt sicher dankbar sind und gern auf das schnöde Geld
       verzichten, das die Regierung einst versprochen hatte, aber leider auch
       nach zwei Jahren noch nicht zusammenkratzen konnte, weil …, weil …, ja weil
       halt. Irgendwas Wichtigeres ist immer, und seien es Spionageschiffe.
       Immerhin bekommt das Prekariat als Inflationsausgleich [4][41 Cent mehr
       Mindestlohn]! Wer will da noch klagen?
       
       ## Einmal vorn sein
       
       Trotzdem gab es auch in dieser Woche wieder einige Wutausbrüche. Viele
       JournalistInnen empörten sich, weil Eltern, die mehr als ein Jahresbrutto
       von 180.000 Euro verdienen, [5][kein Elterngeld] mehr bekommen! Soll keiner
       sagen, dass nicht über echte Not berichtet wird. Andere sahen das
       Vater-Jahn-Land in Gefahr, weil die Kleinen ohne knallharten Wettbewerb an
       der Sprunggrube ab der ersten Klasse nicht ausreichend auf die real
       existierende Leistungsgesellschaft vorbereitet werden.
       
       Die Sportnation Deutschland schafft sich ab! Echt jetzt? Ich gebe zu, ich
       schwanke noch, weil das mit der Gerechtigkeit auch hier leider nicht so
       einfach ist. Einerseits stellten die Bundesjugendspiele unsportliche Kinder
       vor eine Herausforderung und mögliche Blamage, die ihnen nun zum Glück
       erspart bleibt – auch wenn es für manche StreberInnen die einzige Pleite im
       Jahr war.
       
       Andererseits bietet gerade dieser Wettkampf bisher den
       bildungshintergründlich Gehandicapten und deshalb schulisch Schwächsten
       eine Chance, wenigstens einmal im Jahr aufzutrumpfen. Aber der Kulturkampf
       wird hier sicher nicht entschieden, und ich will mich ja nicht aufregen!
       Jedenfalls nicht so sehr wie Herr Heilmann von der CDU, der in Karlsruhe
       geklagt hat, weil ihm das mit dem Heizungsgesetz im Bundestag zu schnell
       ging, und der damit auch noch recht bekam. Völlig unverständlich!
       
       Zu schnell? Das muss ein Witz sein. Wer das Wort Heizungsgesetz nach all
       dem ewigen Hin und Her noch hören kann, muss in den letzten Monaten in
       einem anderen Land gelebt haben. Mit ihrem endlosen Gezänk, anfangs ohne
       Rücksicht auf Verluste der monetär Schwachen, hat die Ampel doch längst
       alles dafür getan, dass selbst die Gutwilligsten die Klimapolitik nicht
       mehr verstehen. Mit ihrem genialen Gesetzdurchdrückversuch hat sie dann
       auch noch gewissenhaft die Rechte des Parlaments gestärkt: Union und AfD.
       
       Nein, ich rege mich gar nicht auf! Und schlage zur Beruhigung vor: Bei der
       nächsten Wahl werden die Stimmen nicht gezählt, und alle, die noch
       teilnehmen, bekommen eine Urkunde.
       
       9 Jul 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend/deutschlandtrend-3372.html
   DIR [2] /Sahra-Wagenknecht/!t5013304
   DIR [3] /Bundesjugendspiele-gehoeren-abgeschafft/!5931115
   DIR [4] /Erhoehung-des-Mindestlohns-um-41-Cent/!5941553
   DIR [5] /Umstrittene-Elterngeld-Kuerzungen/!5942065
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lukas Wallraff
       
       ## TAGS
       
   DIR Kolumne Der rote Faden
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