URI: 
       # taz.de -- Griechenlands Justiz gegen Schlepper: Harte Urteile gegen Geflüchtete
       
       > Prozesse gegen mutmaßliche Schmuggler in Griechenland dauern im Schnitt
       > 37 Minuten – und enden mit 46 Jahren Haft. Das zeigt eine aktuelle
       > Studie.
       
   IMG Bild: Ankommendes Boot auf Lesbos mit Geflüchteten aus Syrien und dem Irak
       
       Berlin taz | Griechenland geht immer häufiger mit drakonischen Urteilen
       gegen Geflüchtete vor. Das ergab eine neue Auswertung der
       Nichtregierungsorganisation Borderline Europe im Auftrag des grünen
       Europaparlaments-Abgeordneten Erik Marquardt.
       
       Demnach wurden allein im Jahr 2022 mindestens 1.374 Personen wegen
       angeblichen Schmuggels verhaftet. Eine Auswertung von 81 Gerichtsprozessen
       an acht Orten in Griechenland ergab, dass die Gerichtsverfahren im
       Durchschnitt nur 37 Minuten dauern. In Verfahren mit
       Pflichtverteidiger*innen sind es sogar lediglich 17 Minuten. Das
       kürzeste der dokumentierten Verfahren brauchte 6 Minuten.
       
       Umso härter fielen aber die Strafen aus: Im Schnitt stand am Ende eine
       durchschnittliche Haftstrafe von 46 Jahren und eine Geldstrafe in Höhe von
       332.209 Euro. Mehr als die Hälfte der Verurteilten soll eine Haftstrafe von
       15 Jahren bis lebenslänglich verbüßen.
       
       „Urteile werden auf der Grundlage unzureichender und fragwürdiger Beweise
       erlassen“, heißt es in dem Bericht. Häufig genüge die Aussage einer
       einzigen Person von Polizei oder Küstenwache. Die Beamt:innen, auf deren
       Aussagen sich die Anklagen stützten, erschienen demnach in 68 Prozent aller
       dokumentierten Fälle nicht einmal vor Gericht.
       
       ## Willkürliche Verhaftungen
       
       Griechenland hat – wie auch andere EU-Staaten – seit 2015 die Strafmaße für
       Beihilfe zur illegalen Einreise immer weiter herauf gesetzt. Schleuser
       steuern deshalb Boote oder Kleinbusse nicht mehr selbst, stattdessen
       überlassen sie dies den Geflüchteten. Dadurch kommt es immer wieder zu
       teils tödlichen Unfällen, weil diese nicht wissen, wie man etwa ein Boot
       steuert. Den Geflüchteten ist weiter meist nicht klar, dass sie sich der
       Schlepperei schuldig machen – und welche Strafen drohen.
       
       Die Gesetzgeber haben – nicht nur in Griechenland – das sogenannte
       Tatbestandsmerkmal der Gewinnerzielungsabsicht abgeschafft: Als Schlepper
       bestraft werden kann auch der, der kein Geld kassiert. Ankommende werden
       von der Polizei oft so lange verhört und häufig unter Druck gesetzt, bis
       sie einen der Mitreisenden etwa als Fahrer oder Steuermann benennen.
       
       Der Studie zufolge befanden sich Ende Februar 2023 insgesamt 2.154 Personen
       in griechischen Gefängnissen, die des Schmuggels beschuldigt wurden – die
       zweitgrößte Gruppe nach Straftat. Fast 90 Prozent waren sogenannte
       Drittstaatsangehörige – also Menschen aus Nicht-EU-Staaten, die in der
       Regel selbst geflüchtet sind.
       
       ## Immer wieder Menschenrechtsverletzungen
       
       Die Verhaftung wegen Schmuggels sei „eine gängige Praxis der
       Strafverfolgungsbehörden“, heißt es in dem Bericht, wobei die tatsächliche
       Absicht der Beschuldigten kaum berücksichtigt wird. Geschmuggelte Personen
       selbst, darunter auch Asylsuchende, würden systematisch wegen Schmuggels
       verurteilt, weil sie – angeblich – das Boot oder das Auto gefahren oder
       dabei assistiert hätten.
       
       Immer wieder kommt es außerdem zu Menschenrechtsverletzungen, darunter
       willkürliche Verhaftungen, Gewalt und Nötigung, wenig oder kein Zugang zu
       Dolmetscher*innen oder rechtlicher Unterstützung sowie Probleme beim
       Zugang zu Asylverfahren während der Haft.
       
       „Es wäre die Aufgabe der EU-Kommission, Druck auf Griechenland auszuüben,
       damit dort wieder rechtsstaatliche Standards eingehalten werden“, sagt
       Marquardt. „Leider hat die Kommission sich bislang auf die Seite
       Griechenlands gestellt.“ Sie unterstütze die Abschreckungs- und
       Abschottungspolitik der Außengrenzstaaten, obwohl das „eher dem Vorgehen
       einer kriminellen Mafia-Organisation entspricht und viele Leben zerstört
       werden“.
       
       12 Jul 2023
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Jakob
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Flucht
   DIR Griechenland
   DIR Schlepper
   DIR Mittelmeerroute
   DIR EU-Außengrenzen
   DIR EU-Kommission
   DIR IG
   DIR IG
   DIR Hamburg
   DIR Griechenland
   DIR Schwerpunkt Flucht
   DIR Schwerpunkt Flucht
   DIR Schwerpunkt Flucht
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kriminalisierung von Flucht: 37 Minuten im Gericht, 46 Jahre Knast
       
       Die Kriminalisierung von Migrant:innen und Helfer:innen in der EU
       nimmt zu. Das Steuern eines Boots kann Jahrzehnte im Gefängnis nach sich
       ziehen.
       
   DIR Warten auf die Zahlung vom Amt: Eine Behörde schottet sich ab
       
       In Hamburg warten Geflüchtete monatelang auf Zahlungen, die ihnen zustehen.
       Sofiya S. und ihre Schwester haben dagegen geklagt.
       
   DIR Spartaner-Partei in Griechenland: „Wir sind Nationalisten“
       
       Bei der jüngsten Wahl ist die Partei Spartaner auf Anhieb ins griechische
       Parlament eingezogen. Ein Besuch am rechten, verschwörungstheoretischen
       Rand.
       
   DIR Geflüchtete in Libyen: Frei nach Monaten Zwangsarbeit
       
       Der UNHCR hatte nach Protesten in Libyen festgenomme Geflüchtete als
       schutzbedürftig eingestuft, doch unterstützte sie nicht. Nun sind sie frei.
       
   DIR Flüchtlinge auf dem Atlantik vermisst: Drei Boote weiterhin nicht gefunden
       
       Spanische Retter haben vor den Kanaren 78 Bootsflüchtlinge gefunden, 300
       werden noch vermisst. Die Todeszahlen steigen rasant.
       
   DIR Proteste in Brüssel gegen EU-Asylpolitik: Das Mittelmeer ist „ein Tatort“
       
       Geflüchtete und NGOs protestieren in Brüssel gegen die EU. Während sich die
       Regierungschefs treffen, werden Notruf-Mails bis Samstag vorgelesen.