URI: 
       # taz.de -- Freies Theater feiert Jubiläum: Quer zur elitären Bubble
       
       > Seit 2003 wagt der TD Berlin mit wenigen Mitteln viele Experimente. Am
       > Freitag begeht die freie Theaterbühne ihr 20-jähriges Jubiläum mit einer
       > Party.
       
   IMG Bild: Das TD ist in 20 Jahren selbst eine kleine Institution geworden
       
       Es ist ein kleines Abenteuer, zum [1][TD Berlin] zu gelangen. Wieder
       einmal, muss man sagen. Denn zu Gründerzeiten kurz nach der Milleniumswende
       musste man sich am Straßenstrich auf der Oranienburger Straße
       entlangschlängeln, hier dem rumpelnden Gefährt der BVG auf den holprigen
       Schienen ausweichen, dort Abstand zu den herumlungernden Zuhältern halten.
       Jetzt brandet der Verkehr auf der Grunerstraße vorbei. Der ist mal
       ausgebremst, dann wieder beschleunigt durch die Verkehrsleitung entlang der
       Baustellen. Wo einst Wege waren, sind plötzlich Zäune. Baumaschinen der
       Strabag recken sich wie Urzeittiere hinter den Barrikaden. Viel Sand wird
       aufgewirbelt durch den Wind, der über die Brachen tobt, [2][auf denen
       später das Kulturquartier Molkenmarkt entstehen soll].
       
       Dann aber schafft man es, tritt auf den Hof des früheren Fernmeldeamts in
       der Klosterstraße. Und hat man erst die oberen Etagen erklommen, eröffnet
       sich ein spektakulärer Blick hinüber zu Rotem Rathaus, Dom und Fernsehturm.
       
       Als Zugabe gibt es noch Theater. Sprechtheater zumeist. Das war in den
       2000er Jahren, als viele nur noch Performance machen wollten und
       geschriebene Texte für die Bühnenkunst regelrecht verachteten, ein
       schrilles Unterfangen. Georg Scharegg, Gründer der Bühne, die aus seiner
       freien Gruppe Theatervorrat hervorging, die im Jahr zuvor auf dem
       Narva-Turm im Friedrichshain ganz frech ein paar Kapitel aus James Joyce'
       Weltroman „Ulysses“ auf die Bühne gebracht hatte, glaubte aber an die Macht
       des Wortes. Auch nach dem performative turn in den Künsten.
       
       Mit ihm glaubten auch andere. „Unser Motto war damals: ‚Texte schnell vom
       Schreibtisch auf die Bühne‘“, erinnert sich Michael Müller, der 2004 als
       Dramaturg dazukam und mittlerweile gemeinsam mit Scharegg den TD leitet,
       gegenüber der taz. „Was wir damals imaginierten, war, dass Leute sich
       treffen, junge, zeitgenössische Dramatik lesen und sie ein paar Tage später
       an Bierbänken in einem Schaufenster in der Friedrichstraße ratzfatz
       raushauen. Das entwickelte sich dann aber ganz schnell in eine sehr schöne
       und wertschätzende Auseinandersetzung mit diesen Autor*innen“, beschreibt
       Müller die Anfänge.
       
       ## Immer neu, immer innovativ
       
       Eine ganze Reihe mittlerweile bekannter Autor*innen fand im
       Theaterdiscounter eine erste größere Öffentlichkeit. Felicia Zeller und
       Ulrike Syha sind zu nennen, Tim Staffel und Kathrin Röggla. Auch [3][Milo
       Rau] zeigte hier frühe Formen seines Dokumentartheaters. Als später die
       großen Institutionen die Autor*innen (wieder-)zuentdecken begannen,
       Preise und Stipendien auslobten und ganze Festivals für frische Texte
       einrichteten, entwickelte der Theaterdiscounter andere Formate wie etwa das
       Monolog-Festival. Und auch andere Dinge, die in den Förderlogiken des immer
       neu, immer innovativ sein müssenden freien Theaters kaum vorkommen, fanden
       hier ihren Platz: Neuinterpretationen von Klassikern zum Beispiel, ganze
       Reihen zu alten Autoren wie etwa die „Handke Trilogie“, die im letzten
       Winter von der italienisch-deutschen Compagnie Barletti/Waas gezeigt wurde.
       
       Der TD steht quer zur elitären Bubble in den darstellenden Künsten. Er
       erlaubt sich auch mit weit weniger Mitteln mehr Experimente als viele
       Stadt- und Staatstheater. Und damit ist er mittlerweile selbst zu einer
       kleinen Institution geworden. Etwa ein Dutzend Menschen arbeiten auf sieben
       Vollzeitarbeitsstellen für das Haus. „Allesamt
       sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse“, betont Müller,
       sichtlich stolz. Mehr als 500 verschiedene Produktionen sind in all den
       Jahren entstanden.
       
       Und wenn sich etwas geändert hat, dann ist der kritische Habitus von einst
       einer utopisch-bejahenden Haltung gewichen. „Anfangs waren wir noch ein
       bisschen mehr auf der Suche nach dem Absonderlichen. Das haben wir auch bis
       heute nicht verloren. Wir suchen immer noch Stoffe, die interessant erzählt
       werden können. Gleichzeitig ist in unser Theater mehr dieser utopische
       Charakter reingewachsen, dass man sagt: ‚Wir performen auch die
       Gesellschaft, die wir sein möchten‘“, konstatiert Müller und nennt Themen
       wie Antirassismus, Antisexismus und Diversität.
       
       Zuletzt wurde hier der Defa-Schmachtfetzen „Die Legende von Paul und Paula“
       mit George Batailles sehr drastischen Theoremen zu Sexualität und Begehren
       gegen den Strich gebürstet. Zum 20-jährigen Jubiläum ist vor allem Party
       mit einigen Pop-up-Reden und grandiosen Blicken auf die zu Füßen liegende
       Stadtmitte angesagt.
       
       5 Jul 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://td.berlin/
   DIR [2] /Stadtumbau-in-Berlin/!5882329
   DIR [3] /Milo-Raus-Antigone-im-Theaterbetrieb/!5934939
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tom Mustroph
       
       ## TAGS
       
   DIR Theater
   DIR Kultur in Berlin
   DIR Theater Berlin
   DIR Bühne
   DIR Theater
   DIR Kolumne Diskurspogo
   DIR Bühne
   DIR Theater
   DIR Theater
   DIR Kunst Berlin
   DIR Theater Berlin
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Immersives Theater: Über die Lüge als Instrument des Krieges
       
       Beschädigt und betrogen sind am Ende alle. In „Trojan Horse“ spielt das
       Post Theater Szenarien der Manipulation in kriegerischen Zeiten durch.
       
   DIR Weniger Geld für freies Theater: Stroh, das wir uns leisten müssen
       
       Die freien darstellenden Künste sind von massiven Kürzungen bedroht. Dabei
       machen sie Kunst für Menschen, für die sonst kaum welche gemacht wird.
       
   DIR Aufklärungstheater am TD: Die Ressource Boden
       
       „Wem gehört das Land?“ Helge Schmidt und Team suchen im TD Berlin nach
       Antworten auf diese Frage. Das Recherchestück fordert volle Aufmerksamkeit.
       
   DIR Theater über queeres Leben im Barock: In den Augen der anderen
       
       Eine Frau in Männerkleidung? Vor vierhundert Jahren war Moll Cutpurse dafür
       berühmt und berüchtigt. Ihre Story erzählt das Theaterstück „Roaring“.
       
   DIR Performance von Florentina Holzinger: Mensch, Natur, Maschine, Pommes
       
       Die Uraufführung von Florentina Holzingers Performance „Kranetude“ am
       Berliner Müggelsee war unvergesslich, verstörend – und ließ Fragen offen.
       
   DIR Festival der Projekträume: Durch Beton gucken
       
       Seit Anfang Juni bietet das Project Space Festival jeden Abend des Monats
       ein Kunstevent an den wunderbar abseitigen Orten informeller Ausstellungen.
       
   DIR Performance über Reptiloide: Gefährliche Infektionen
       
       Eine Annäherung an die Welt der Verschwörungen und der Manipulation bietet
       die Performance „Schöpferwissen“ von Internil im td Berlin.